Schweißnähte

Beruflich und privat viel verhandelt, als Verkäuferin und potentielle Käuferin. Ich denke von mir, dass ich das nicht besonders gut kann: handeln, feilschen, bluffen. Auf dem Basar fühle ich mich nicht besonders wohl. Madam! Madam!, rief mir mal einer hinterher, Handbags! Gucci Prada Hermes! Handbags! HANDBAGS! Aber der Glitzer, das Gold und die Marken, das interessiert mich nicht so. Mir geht es eher um das nicht-haptische, wie Leistung, oder die großen Beträge, eine halbe Million, und dann schiebt man noch 20k links oder rechts.

Das mit dem nicht-haptischen stimmt nicht ganz, denn ich interessiere mich gerade für ein Auto, schwarz und geschwungen, geschmeidig und elegant. Ich bin dafür heute nach Mannheim gefahren, vorbei an Industrieanlagen, gewundenen Leitungen aus Metall, der Horizont verbaut mit rätselhaften Gebilden, und obendrauf brennt eine Flamme. Die Luft schmeckt ein bisschen sauer, und am Straßenrand warten die Menschen auf den Bus, oder fahren Fahrrad. Es heißt ja so schön, dass die Menschen heute entweder in einem Email-Beruf arbeiten, oder in einem Karton-Beruf, aber es gibt auch noch andere, die in großen Werksgebäuden verschwinden und dort weder das eine noch das andere tun.

Ich habe ja eher einen Email-Job, 150 sind es pro Tag, wenn es kein guter Tag ist. Aktuell habe ich eher einen Videokonferenz-Job, fünf bis sieben hintereinander, man wird dann die, die immer sagt „sorry for being late, the previous meeting has run over„, und ist ganz froh, wenn man zwischendurch mal aufs Klo kann. Die wirkliche Arbeit macht man an solchen Tagen morgens um sieben oder abends um acht.

Ich würde über mich selbst sagen, dass ich einen nicht-haptischen Job habe. Die Emails, die ich produziere, sind nicht das wichtigste, und nichts von dem, was ich tue, passt in einen Karton. Ich stelle Strategien her, ich verfolge sie, ohne nachzulassen, und ich verändere ganz leise, zart und langsam, Werte und Kultur.

Dabei hätte gar nicht viel gefehlt, und ich hätte im weißen Kittel in einem dieser Werke gearbeitet, mit einer kleinen Flamme obendrauf. Ich denke da manchmal drüber nach, an welchen Stellen mein Leben ganz anders weitergegangen wäre, wenn eine winzige kleine Veränderung passiert oder nicht passiert wäre, eine Verschiebung nach links oder rechts, wenn die Würfel ein klein wenig anders aus dem Würfelbecher gefallen wären. Vielleicht würde ich dann dasselbe Auto kaufen wollen, bei demselben Autohändler, aber ich selbst wäre eine ganz andere.

Sollbruchstellen, nannte das mal Hotelmama, ich denke eher an Schweißnähte, die die Fragmente zusammenhalten. Sollbruchstellen, Schweißnähte, eine rauhe Stelle, an der man hängenbleibt, wenn man mit dem Finger drüber fährt. Ich überlege, wo es in mir drin Schweißnähte gibt, oder bei so einem Auto, das von außen schwarz und glänzend, geschwungen und ganz glatt aussieht.

Ich kann nicht besonders gut handeln, aber ich kann gut zuhören, Pausen zulassen, etwas unausgesprochenes mitschwingen lassen, Druck widerstehen, Risiko eingehen und bin erfahren in delayed gratification. Ich glaube, am Ende werden wir beide einen guten Deal gemacht haben.

2 Gedanken zu „Schweißnähte

  1. „…Schweißnähte, eine rauhe Stelle, an der man hängenbleibt, wenn man mit dem Finger drüber fährt. Ich überlege, wo es in mir drin Schweißnähte gibt…“

    Ich lese einige Blogs hier „im Umkreis“, mit lebendigem Interesse. Niemand aber schafft es wie Sie, mich innerlich anzusprechen, mitzunehmen. Egal welches Thema, es muss mich nicht einmal interessieren. Ich frage mich, wie Sie das machen und weiß es nicht genau. Irgendwo vermute ich ein sehr feines Gespür. Vielleicht wissen Sie es nicht einmal selbst.

    Würden Sie ein Buch schreiben, ich würde es dringend lesen wollen. Ganz dringend.

  2. Da muss ich zustimmen, also ich kenne den Grund auch nicht aber der Effekt ist eindeutig. Es sind vielleicht die raren Momente der Erleuchtung die durchschimmern, denen man sonst so selten begegnet. Weil Erleuchtung ein zu großes Wort ist, per se, nur jemand der das nicht von sich annimmt, es überhaupt sein könnte.

    Ich finde das Bild das hier entsteht sehr stringent. Vielleicht täusche ich mich völlig aber ich fühle keine Show. Weil sie integriert ist.

    Langer Rede kurzer Sinn: hier zu lesen ist groß. Danke für das Teilen der Gedanken und Worte.

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