hoch, runter

Ich sitze in der Küche von Novemberregen und blogge. Hatte heute sowohl meinen Geldbeutel (andere Tasche) als auch mein iPad (mit Tastatur), über das ich normalerweise blogge, wenn ich bei Frau N. bin, zuhause vergessen. Zum Glück hat sie mich zu einem Mezze-Teller und Schawarma eingeladen, und jetzt darf ich auf dem Endgerät eines Haushaltsmitglieds bloggen.

Ich werde selten so verwöhnt wie bei Frau N. Ich war seit Oktober nicht mehr bei ihr zuhause, wir haben uns nur draußen oder per Video gesehen.

Bisschen über meinen Streit mit einem Empfangsmitarbeiter gesprochen. Es stellt sich heraus, dass mein Ärger ganz berechtigt ist, und auch nicht. Es ist schlechte Dienstleistung, wirklich sehr schlechte Dienstleistung. Ich fühle mich darüber hinaus auch gemaßregelt, vorgeführt, geschulmeistert. Ich kann die mangelnde Dienstleistung addressieren, aber nicht meine Gefühle, die muss ich wegatmen, wieder mal, ganz professionell.

Frau N. lacht, nicht über mich, nicht mit mir. Über die Situation, über das absurde, über das Theaterstück, das andere aufführen und in dem man unvermittelt eine Rolle zu spielen hat, die man nicht wollte.

Ich will, dass einmal irgendetwas einfach einfach ist.

Vor ein paar Jahren habe ich Frau N. gefragt, was sie noch für Ziele hat. Ich hatte das Gefühl, selbst alles erreicht zu haben – wobei alles hier ein großes Wort ist – zumindest: einen Sättigungszustand erreicht zu haben: Job war gut, Freundschaften gut, Wohnung war gut, Geld war gut, jede Menge Reisen, ich war mit mir ganz zufrieden, und doch unzufrieden, denn: was nun? Was als nächstes? Frau N. hat damals zu mir gesagt, sie wünscht sich einfach, dass alles so bleibt wie es ist.

Dann kam die Pandemie, und jetzt der Krieg, und wir sind dabei, mehr zu verlieren, als wir uns je hätten vorstellen können.

Stellen Sie sich vor, was mir heute Abend passiert ist: ich gehe aus dem Büro raus, rufe den Aufzug, die Aufzugtür geht auf und ein junger Mann mit Maske ist gerade dabei sich den Pullover über das Hemd zu ziehen. Ich glaube, er hat kurz gequietscht, als die Tür aufgegangen ist, und mir einen Blick zugeworfen wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich habe dann höflich gefragt, ob ich zusteigen darf, wir haben beide ein bisschen gelacht, ich meinte, dass ich hoffe, dass er noch bekleidet ist, wenn wir unten ankommen, haha. Es war aber auch ein bisschen süß, ich habe mich beim Aussteigen bedankt, dass er mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat.

Überhaupt, Aufzüge. Ich könnte lange über Aufzüge sprechen oder schreiben. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass zwischen der Aufzugtür und dem Boden ein schmaler Schlitz ist, der tückischerweise genau breit genug ist für ein Mobiltelefon oder eine Broschüre oder ein kleiner Dokumentenpack? Unter den Aufzügen gibt es eine Art von Käfig, in dem alles gesammelt wird, was da so unterfällt – oder zumindest die Splitter davon. Wer mal The time traveler’s wife gelesen hat, weiß, wovon ich spreche.

Ich denke da gelegentlich dran: einen Ort, an dem alles gesammelt wird, was wir je verloren haben, während wir hoch fahren oder runter, mitfahren oder aussteigen, aufbrechen oder ankommen.

Das klingt jetzt schon wieder so melancholisch, dabei geht es mir eigentlich ganz gut.

3 Gedanken zu „hoch, runter

  1. Ja, durch die Pandemie bin ich gut gekommen, keine Kinder, Home-Office Erfahrung schon vorher, geimpft kann also alles machen. Der Krieg, der so weit weg scheint macht mir Angst ist so unwägbar. Die Flut an Nachrichten macht mich wahnsinnig, aber ich kann auch nicht abschalten

  2. Wieder ein sehr schöner, ins sich melodiöser Blog-Post.
    Ich lese sie alle und freue mich jedesmal.

    Liebe Grüße
    An Frau N.
    Petra Schulte

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