Umwege

Ich kenne mich hier aus, es ist mein Viertel – und doch, ich verpasse eine Abzweigung. Meine Freundin Ruth bog niemals links ab, aus Prinzip nicht. Eine ihrer liebenswerten Schrullen. Sie bog einfach so oft rechts ab, bis sie dennoch an ihr Ziel gelangte.
Ich fahre geradeaus; komme an seltsamen Gewerbegebieten vorbei. Deutsche Post Immobilienverwaltung. Gleise, abgestellte Züge und Waggons. Flachdachbauten. Ein halb abgerissenes Haus, die Bagger stehen still. Schließlich, die Frankfurter Allee, eine große, drei- bis vierspurige Bundesstraße, die schnurgerade durch die Stadt schneidet. Das Linksabbiegen ist verboten. Also biege ich rechts ab, linke Spur, hoffe auf die Möglichkeit, einen U-Turn machen zu können. Es geht geradeaus, immer geradeaus, die beiden Richtungen durch einen weißen Zaun getrennt. Jeder Meter bringt mich weiter weg von dort, wo ich hin will, aber das ist Luxus: an einem sonnigen Spätnachmittag im Auto sitzen, ohne daß es zu etwas nütze sein muß. Ich fühle mich gut, ein wohliges Katzengefühl, ein wenig dekadent vielleicht. Friedrichshain liegt hinter mir, rechts und links von mir die Plattenbauten von Lichtenberg, tausend kleine, identische Fenster. Alt-Biesdorf schließlich, das ist weniger Vorstadt, sondern eher ein Dorf am Rande der Stadt. Wilde Grünflächen zwischen den Häusern. Letztes Jahr im Sommer bin ich hier mit dem Fahrrad entlang gefahren, ich erinnere mich an das Zirpen der Heuschrecken. Ich wäre damals fast gestorben vor Erschöpfung; ich hatte die Distanz unterschätzt.
Dann drehe ich um, fahre zurück in die Stadt, die Plattenbauten wie Riesen, die mich begrüßen.

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