Ich habe DocDee eine Geschichte versprochen, ohne zu berücksichtigen, daß sie nicht leicht zu erzählen ist. Ich weiß schon jetzt, daß meine Sprache unzureichend ist, um das Erlebte auszudrücken. Naja. Los geht’s.
Als ich 13 war, kaufte ich Disintegration, und seitdem bin ich ein Fan von The Cure. Nach
einigen Jahren strikten Taschengeldsparens hatte ich alle Alben beisammen, ich sammelte Aktenordner volle Zeitungsausschnitte und als ich endlich an die Uni ging, eröffnete sich mir eine neue Welt: Internet! The Cure haben eine unerschütterliche Fangemeinde und waren auch immer schon stark im Internet repräsentiert. Ich tauchte ein in die Cure-Community, las begeistert die Berichte über „following The Cure on Tour“ und wußte: das will ich auch. Das brauche ich, wie eine Häutung, wie ein Initiationsritual in die Welt der Erwachsenen, ich kann nicht sein, ohne diese Erfahrung gemacht zu haben.
Im Jahr 2000 brachten The Cure ihr Album „Bloodflowers“ heraus, die dazugehörige Tour nannte sich „Dream Tour“. Durch virtuell geknüpfte Kontakte kam ich an Karten zu zwei Promoshows: in Hamburg (Markthalle) und in Brüssel (Ancienne Belgique). Beide Konzerte waren fantastisch, die Atmosphäre der kleinen Hallen vertraulich. Ich hatte Blut geleckt.
München, Olympiahalle. Mein viertes Cure-Konzert im Jahr 2000, mein sechstes insgesamt. Natürlich war ich auf ein Treffen aus, in Brüssel hätte es fast geklappt. Immerhin hatte ich das Gesicht des Gitarristen durch eine halb geöffnete Tür gesehen; eine Freundin ließ sich mit ihm fotografieren, bis ein anderer Fan schrie: „let us in! Let us in! We buy your record, we pay your salary!“. Kam nicht so gut an.
Das Konzert in München war schön, wenn auch sehr groß. Danach tranken meine Freundin und ich noch etwas, ließen die Atmosphäre auf uns nachwirken, bis wir – recht früh, fand ich – von den Ordnern rausgeschissen wurden. Uns war noch nicht danach, heimzugehen. Wir gingen zum Auto, ich holte meinen Mantel raus, die Nächte im April sind kühl, und später würde sich dieser Mantel als Rettung erweisen. Ich sagte zur meiner Freundin: „laß uns doch einfach mal um die Olympiahalle rumlaufen“. Natürlich schwang die Hoffnung mit, vielleicht die Band zu treffen, aber wir waren uns sicher: die sind schon ins Hotel gefahren. Zumal es in der Olypmiahalle eine Tiefgarage gibt, in die der Bus fahren kann, so daß die jeweiligen Bands ohne Fankontakt einsteigen können.
Wir hatten Glück. Zum einen, weil The Cure tatsächlich noch da waren und feierten, eine der seltenen Aftershow Parties überhaupt auf dieser Tour. Zum anderen, daß sie einen Doppeldecker als Tourbus haben; ob der Bus nicht in die Tiefgarage reinpaßte oder ob sie in Laune für Fankontakt waren, vermag ich nicht zu sagen.
Die Freundin und ich stellten uns also zu der anderen Gruppe von Fans, die den Backstage Ausgang belagerten. Anfangs vielleicht vierzig oder fünfzig, schmolz die Gruppe zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens auf zwanzig bis dreißig zusammen, weil es kalt war und weil jeder der Roadies, der aus dem Ausgang rauskam, sagte: „die sind schon weg“. Ich glaubte an den Bus, ich kannte die Masche mit „die sind schon weg“ und wir waren beide satt, warm angezogen und viel zu aufgekratzt, um ins Bett zu gehen, also blieben wir.
Dann öffnete sich die Tür, und Roger kam heraus, ging zielstrebig zum Bus, der in einigen Metern Entfernung geparkt war, und sagte etwas in die Richtung von „bringe nur was in den Bus und gebe dann Autogramme“. Sprachs, und signierte. Zu gerne hätte ich ihn etwas gefragt, über sein Soloalbum zum Beispiel, aber ein anderer Fan hatte ihn in Beschlag genommen. Roger signierte mein Ticket, und ich drehte mich um und sah einen wirren Haarschopf, umringt von Fans. Eines von zwei Bildern, die sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt haben: wie ich mich umdrehe, und Robert Smith sehe, nicht auf einer Bühne, sondern auf gleicher Höhe. Er kam mir klein vor, und gar nicht so dick wie alle immer sagen. Zerbrechlich, feenhaft, in einen fluffigen, weichen Pullover gekleidet. Zwanzig oder mehr Fans standen im lockeren Halbkreis um ihn herum, alle respektvoll, nicht zu nah, hielten ihre Tickets oder Bilder hin und er signierte, ohne den Kopf zu heben. Robert Smith schaut viel auf den Boden, auf seine Schuhe, das ist wahr. Und alle diese Leute waren still, es fehlte sogar die normale Geräuschkulisse von knisternder Kleidung, Räuspern und Husten, Schritten. Es war nicht die Stille wie bei einer Beerdigung oder in einer Kirche, sondern eher wie das Warten auf einen großen Moment: die ersten Takte eines klassischen Konzertes, das Auftauchen eines Wals aus dem Meer, der Farbumschlag einer chemischen Reaktion.
Und Robert Smith signierte, ohne aufzuschauen, ich wußte, gleich bin ich an der Reihe, und dann war es soweit. Ich gab ihm meinen Stift, höre das Kratzen des Eddings auf der Rückseite meines Tickets, und stellte meine Frage. Er tratt einen Schritt zurück, und schaute mir ins Gesicht, und der Moment des Wahrnehmens wurde greifbar wie Materie. Man möchte es sich in Gläser einfüllen und aufbewahren für all die grauen Tage, in denen man nur einer von vielen ist, eine Nummer, unsichtbar. Dies ist das zweite Bild, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hat. Dann antwortete er, nicht so wie ich es erwartet hätte, sondern mit einem kleinen Witz, vielleicht die einzig richtige Antwort für ernste Fragen. Ich sagte noch etwas, ein Kompliment, meine Stimme wurde dünn am Ende, und dann war mein Moment vorbei. Fast. Nachdem ich mir noch ein Autogramm von Perry geholt hatte, stieg die Band in den Bus ein. Robert, noch immer umringt von Fans, fragte: „who owns this pen?“. Ich war verwundert, daß er sich die Mühe macht, wieso nicht einfach mitnehmen? Ich guckte dumm, und streckte dann die Hand aus. Er gab mir den Stift, schaute mich nochmals an, und hielt den Stift fest. Ich denke, er war ein bisschen betrunken, aber es war ein schönes Gefühl, wir beide, sanft den Stift festhaltend.
Am Sonntag spielen The Cure in Berlin. Ich glaube, es ist mein siebzehntes Konzert.
Gehen Sie hin. Es gibt noch Karten. Es wird magisch, ich verspreche es.
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