Ich liebe meine Wohnung. Das Parkett, der Balkon, die Nachtmittagssonne, die großen Fenster, das frisch renovierte Bad, der Aufzug, warmes Wasser, gute Heizung.
Was ich aber am allermeisten liebe, das ist die Stille. Es gibt sicherlich stillere Orte, aber mir kommt es still vor. Die Straßenbahn hört sich an wie ein Rauschen, und dazwischen ist es so still, dass ich den Lüfter des Notebooks höre oder den Kompressor des Kühlschrankes. Am schönsten ist die Stille, wenn ich sie nicht höre, weil ich schlafe. Kein Basswummern von HipHopBaby, kein Fernseher der Alkoholikerin, keine Polizei mehr, auch kein stilles Erdulden, keine Furcht mehr.
Seit einigen Wochen höre ich aber auch in der neuen Wohnung etwas. Ich höre eine Frau beim Sex. Sie sagt: „es ist so geil! Ja! So geil ist das! So geil! Ja! Das ist so geil!“. Wenn es besonders geil ist, erzählt sie es fünfundvierzig Minuten lang, ohne Pause. Manchmal stöhnt sie auch ein bisschen. Einen Mann hört man nie. Welche Nachbarin das ist, blieb mir bislang verborgen, auch, warum man den Mann nicht hört. Oralsex? Für einen Pornofilm variiert es zu sehr. Eine Webcam oder Telefonsex? Es bleibt ein Rätsel. Nur eines weiß ich: sie begehren einander ziemlich oft – nachts um halb zwei, morgens um fünf, vormittags um neun. Nicht jeden Tag, aber gelegentlich mit nur ein paar Stunden Abstand. Manchmal wache ich auf, das T-Shirt halb hochgeschoben, und höre sie. Manchmal denke ich an Schultern, Schlüsselbeine, Hände zwischen meinen Beinen, und höre sie. Und manchmal fühle ich mich allein, wenn ich sie höre, während ich im Bett liege, der Wand zugewandt, aber meistens muß ich schmunzeln, und kann es ganz gut aushalten.
Es ist eben nichts perfekt, auch nicht die Stille.