Der Wecker geht um 06:00 Uhr runter, der Körper kommt um 06:15 Uhr hoch. Gestern war es spät, erst mit @novemberregen gebloggt, dann zuhause noch an einem Beitrag auf Reddit festgelesen. Hätte gerne länger geschlafen, aber weil ich vor ein paar Tagen eine Email übersehen hatte, musste ich heute wirklich pünktlich ins Büro.
Jetzt erst einmal Kaffee & Internet & rumtrödeln. Dann Dusche, Fönfrisur, Hose angezogen (nicht die Donnerstagshose, sondern eine Vintage Hose), was zu essen fürs Büro gemacht, das Haus verlassen. Ich fahre ins Büro und nutze den Stau für eine Nachricht an @francine, vorher bisschen Deutschlandfunk gehört, natürlich zum Virus. Um 08:30 Uhr bin ich im Büro und erstelle erst einmal eine To-do-Liste, die im Laufe des Tages hinfällig werden wird. Ich beruhige eine junge Kollegin, die sich Sorgen macht.
Halbstündige Telefonkonferenz, anschließend Telefonat mit einem Dienstleister. Dann Austausch mit meiner Kollegin und Freigabe einiger Rechnungen. Kurzes, effektives Meeting mit einer Mitarbeiterin, so mag ich das. Gespräch mit dem Geschäftsführer (GF), Überarbeitung eines Dokumentes, das an den CEO in London gehen wird. Noch ein Telefonat mit einem Dienstleister.
Telefonkonferenz zum Virus mit verschiedenen Teilnehmern aus Europa zusammen mit dem stellvertretenden Geschäftsführer (sGF). Ich hatte hier gestern einen Sitz im Krisenteam gewonnen und tue mich heute mit Expertise hervor. Sofortiger unfreiwilliger Aufstieg, sGF lehnt sich mit einem Lächeln zurück, das wird zukünftig wohl mein Projekt. Gefordert ist die Erarbeitung verschiedener Notfallpläne für unterschiedliche Szenarien und das Herunterbrechen von Geschäftsprozessen. Im Prinzip haben wir sowas natürlich schon, aber in der Praxis sind jetzt alle sehr aufgeregt. Es fallen ein paar Stichworte, bei denen klar wird, dass das Thema sehr hohe interne und externe Aufmerksamkeit bekommt. Schluck. Anschließend Risikoeinschätzung mit GF und einer Mitarbeiterin, ob sie auf Dienstreise gehen soll.
Besprechung einer Email, die der GF aus London erhalten hat und die neben einigen sinnvollen Aspekten auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse in einem kleinen, aber nicht unwichtigen Arbeitsbereich bedeuten. Wir möchten uns dagegen positionieren, ich erstelle dazu einen ersten Entwurf. Politik ist das, und hat der jungen Mitarbeiterin heute morgen Sorgen bereitet.
Die Vorschläge für die Bonuszahlungen sind gekommen. Der GF bespricht sie mit dem sGF und – für mich leicht unerwartet – auch mit mir. Ich mache ein paar konstruktive Vorschläge. Meine eigene Bonuszahl sieht ganz gut aus. Ich bin lange genug dabei, um mich daran gewöhnt zu haben, aber finde die Zahlen immer noch ein wenig pervers.
GF telefoniert mit London, ich telefoniere privat (im Pausenraum! In meiner Pause!) mit meiner syrischen Freundin, der es gerade nicht so gut geht. GF holt mich aus dem Pausenraum raus, es geht weiter mit den Bonsuzahlen und internen Diskussionen dazu.
Ich bekomme Blumen geliefert.
Email einer Mitarbeiterin (X), die uns bittet, einen wiederkehrenden Konflikt mit einer anderen Mitarbeiterin (Y) zu addressieren. In der Vergangenheit hat X bei Konflikten sehr emotional reagiert. Ich habe einiges unternommen, damit sich das bessert, und stelle erfreut fest, dass ihre Email sachlich und souverän ist. Der sGF und ich führen ein gutes Gespräch dazu, stimmen uns aber ab, nicht ohne den GF zu handeln.
Besprechung mit einem Kollegen, der bald in Rente geht und von dem ich einige Aufgaben übernehmen werde.
18:00 Uhr. Ich möchte früher nach Hause gehen, damit ich noch aufräumen kann und sich nicht alles wieder am Wochenende staut. Als ich schon fast aus der Stadt raus bin, stelle ich fest, dass ich den Blumenstrauß vergessen habe. Ich drehe das Auto wieder um und bin ein bisschen nachdenklich. Ich weiß, dass ich jetzt in dem Bereich bin, in dem die Fehlerhäufigkeit sprunghaft steigt, weil ich zu viel zu tun habe. 175 ungelesene Emails. Ich hole den Blumenstrauß, und begegne Mitarbeiterin X. Ich sage ihr, dass ich ihre Email gesehen habe, dass ich ihren Punkt gegenüber Mitarbeiterin Y gut nachvollziehen kann, dass ich ihr Vorgehen souverän und gut finde, und dass ich sie ermutigen möchte, Grenzen zu ziehen. Guter Moment zwischen uns beiden.
Ich fahre nach Hause. Es regnet. Ich höre Sufjan Stevens und Stellardrone, und denke ein bisschen zu viel über die Arbeit nach, und merke es, und wische die Tabellen vor meinem inneren Auge wieder weg, und denke an etwas anderes.
19:15 Uhr. Ich schaue noch bei meiner Mutter vorbei. Sie hat viel erlebt heute. Sie möchte die Wohnung verkaufen, in der sie mit meinem Vater gewohnt hat, bevor er gestorben ist, und die jetzt vermietet ist. Es gibt einen Kaufinteressenten und viel zu organisieren.
20:00 Uhr. Zuhause. Ich esse einen Laugenzopf, entsorge den alten Blumenstrauß, spüle die Vase aus, schneide die Blumen und arrangiere sie. Meditativ ist das. Schön sehen die Blumen aus, da auf dem Esstisch, den ich aufgeräumt habe. Dahinter der Wäscheständer mit der Wäsche, die ich am Wochenende gewaschen und noch nicht abgenommen habe.
Ich mache ein Dokument für meine Mutter fertig und schicke es per Email an die Kaufinteressenten.
Ich schreibe diesen Text.