Ich sitze am Küchentisch von Frau Novemberregen und blogge. Frau Novemberregen telefoniert mit ihrer Mutter und macht User Support („was ist denn in der linken unteren Ecke?“… „ist der Bildschirm grün oder ist das so ein grünes Muster?“.. „wenn du das Kennwort eingibst, ist ja ganz rechts ein Pfeil,und vor dem Pfeil ist noch ein Kreis… jetzt sag mir bitte noch einmal, was genau dort steht…“). Um meine Beine schleicht der schwarze Kater, denn er weiß, dass ich weiß, wo die Schublade mit den Leckerchen ist, er lässt sich ein bisschen streicheln, und schon öffnet sie sich.
Ich bin müde gerade, auf so eine ganz wohlige Art. Frau N. und ich sind durch den Regen zum Steakrestaurant gelaufen, ein großer Regen, so groß, dass wir uns einen Moment in einen Hauseingang stellen mussten. Wir hatten beide Regenschirme dabei, das ist selbstverständlich, ich einen Schirm, den mein Vater mal vor ein paar Jahren bei einer Veranstaltung hat mitgehen lassen, es ist nicht ganz klar, ob es ein Versehen war oder ob er ihn schlichtweg geklaut hat. Es ist ein toller Schirm, groß und mit Holzgriff, mit grünem Stoff bezogen, für den großen Regen. Die Tropfen machen tock tock tock darauf, aber die Hosenbeine werden trotzdem nass, wenn es so dolle regnet, deshalb bleiben wir einen Moment stehen, während die Stadt im Schleudergang gewaschen wird, alles leer bis auf vereinzelte Gestalten, die irgendwo hin müssen oder wollen oder gänzlich über den Dingen stehen.
Ich mag es sehr, wenn es in der Stadt regnet, weil sich für eine kurze Zeit fast so eine Art von Parallellwelt öffnet, etwas leicht magisches, aber ich wiederhole mich. In der Autowaschanlage mit dem gigantischen Staubsaugerplatz war heute nichts magisch, aber ich konnte einem der Mitarbeiter ein Trinkgeld geben, und sein Lächeln hat hell gestrahlt. Es sind so feine soziale Konventionen, die es manchmal möglich machen, etwas zu geben, und manchmal gar nicht – neben dem magischen Realismus der Stadt auch ein spannendes Thema für einen kleinen Aufsatz, sollte ich irgendwann einmal dafür Zeit haben.
Im Steakrestaurant habe ich vor etwas mehr als einem Jahr das beste Steak meines Lebens gegessen. Ich habe dies sogar für die Ewigkeit mit einem Tweet festgehalten:
Ich habe seitdem mehrfach versucht, dieses Erlebnis zu replizieren. In diesem Lokal, in seinem Schwesterlokal, in anderen Lokalen. Es war nie wieder so gut, auch heute nicht. Ich beklage dies nicht, denn es war nichtsdestotrotz ein wirklich sehr gutes Essen, ich stelle es nur fest, denn es ist ja oft so, dass die wirklich magischen Momente nicht käuflich sind oder planbar oder herbeiführbar. Man kann nur versuchen, offen zu bleiben, Gelegenheiten zu schaffen, wie Frau N. immer so schön sagt, und es wertzuschätzen, wenn es passiert.
Auf dem Rückweg kein Regen mehr, wir schlendern vorbei an dem Einrichtungsgeschäft mit den sehr ausdrucksstarken, pompösen orientalischen Möbeln, dem großen libanesischen Imbiss mit separater Baklava-Theke, und dem Hinterhof, der sich plötzlich zwischen den Bäumen öffnet, und in dem sich letztes Jahr ein paar Jungs gerauft haben, weißt du das noch, frage ich Frau N, und sie haben uns mit einem lachen gefragt, ob wir die Polizei rufen werden, es bleibt im Gedächtnis, weil es nicht so recht einzuordnen ist, vielleicht als erster Satz in einem Roman.
Ich bin müde, auf eine angenehme Weise, satt von allem, auf die beste Art. Im Büro heute viel nachgedacht, so richtig tief überlegt, so dass auch mein Gehirn angenehm müde ist, wie ein Greyhound, der mal wieder kilometerweit gerannt ist. Viele Eindrücke heute, vergangenes wie auch gegenwärtiges. In den letzten Tagen hatte ich hin und wieder den Gedanken, dass ein glückliches und erfülltes Leben daraus besteht, das Glück und die Erfüllung im Alltag zu finden, im ganz gewöhnlichen – und nicht primär in den Errungenschaften, Meilensteinen oder Gipfeln, die wir erklimmen. Vielleicht ist da was dran, mal sehen, was ich darüber in 15 Jahren denke.
Frau N. sagt:“ dann ist euer Passwort jetzt geändert! Mach‘s gut, Küsschen, Grüße!“, legt auf, seufzt leicht und verschwindet im Badezimmer. Sie ist eine gute Tochter. Dann kommt sie zurück und fängt sehr schnell an zu tippen. Sie ist bestimmt gleich fertig, und ich – naja, ich auch.
Ein Text mit Streichelpailletten – schön.
Trinkgeld: H. gibt den Müllmännern ab und an Geld für eine Brotzeit.
Diese Woche war ein neuer dabei und er sagte gleich: „Das dürfen wir nicht nehmen, das ist Bestechung. Wir dürfen nur Gutscheine annehmen.“
H. weiß das, setzt sich aber darüber hinweg. Die Oberen feiern nämlich, stand sogar mal in der Zeitung? und zahlen nicht selbst, die unten dürfen seit Jahren nichts annehmen.
Der bekannte Müllwerker und H. blinzelten sich zu und werden es demnächst unter sich regeln.