Lenken

Heute zum zweiten Mal in meinem Leben Motorboot gefahren, und zwar im Rahmen meiner Fahrstunde zur Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung Motorboot Binnen am Samstag. Das mit dem Führerschein ist eigentlich keine große Sache: man bimst sich 253 Multiple-Choice-Fragen ins Hirn, von denen dann 30 in der theoretischen Prüfung drankommen, davon dürfen 7 falsch sein. Man lernt 12 Knoten und ihre Verwendung, vielleicht sind es aber auch nur 9. Und man absolviert eine etwa fünfminütige praktische Prüfung, in der geprüft wird, was mir durchaus wichtig erscheint: ablegen, Kurs ansteuern, Mann über Bord („Mensch über Bord“, wird mit einer Boje simuliert), wenden, anlegen.

Leider hat sich heute gezeigt, dass ich kein Naturtalent bin. Die einzelnen Ablaufschritte, zum Beispiel fürs Ablegen, kann ich mir so einigermaßen merken. Mensch über Bord klappt sehr gut. Ich habe aber ein fundamentales Problem: ich kann nicht gerade aus fahren.

Sehen Sie: so ein Motorboot reagiert anders auf die Lenkung als ein Auto, nämlich mit einiger Verzögerung (weil, naja, Wasser). Das Steuer des Motorboots, mit dem wir üben, ist wie das Steuer eines Autos (rund), und ich drehe und drehe, und es passiert nichts, und dann passiert ganz viel, und dann drehe ich wieder in die andere Richtung, und wir fahren Schlangenlinien. Das ist, wenn man in einem engen Hafen anlegen möchte, recht blöd.

Der Fahrlehrer war so, wie auch manche Fahrlehrer beim Autofahren sind, oder Reitlehrer oder vielleicht auch Klavierlehrer, zumindest in meiner Jugend: dass es falsch ist, was ich mache, hat er mir deutlich gesagt. Warum machst du das? Du sollst nicht so drehen! Halte doch mal den Kurs! Und warum hast du jetzt das gemacht?? (Ja, man duzt sich in der Motorbootszene). Aber wie ich es anders hätte machen können, das habe ich heute nicht gelernt. Du denkst zu viel, ja, da hat er mich gut erkannt.

Als Krönung habe ich nicht nur einmal, sondern zweimal versehentlich Vollgas gegeben (man hat so einen Hebel, als würde man im Auto den ersten Gang einlegen, nur: danach ist nicht Schluss, sondern Vollgas). Riesenstreß beim Fahrlehrer und auch bei mir, und, äh, Kollisionsgefahr.

Nach anderthalb Stunden war ich einfach nur froh, dass es vorbei war. Ich darf – oder muss – noch einmal zur Fahrstunde kommen, viel Zeit ist ja nicht mehr. Der Fahrschüler, der heute mit mir auf dem Boot unterrichtet wurde, braucht auch noch eine Stunde, das ist ein Trost, obwohl er viel besser geradeaus fahren kann, bzw. überhaupt. Er sagt, er macht die Prüfung vielleicht nicht.

Wie ich mich fühle, hat mich heute jemand gefragt, und ich habe geantwortet: niedergeschlagen. Ich stecke das nicht so einfach weg, zumindest jetzt noch nicht. Es kommen alle Prüfungen wieder hoch, durch die ich gefühlt oder real durchgefallen bin: anorganische Chemie im Studium, wo mir heute noch im Traum manchmal der gekachelte Terracottaboden vor dem Aushang mit den Prüfungergebnissen erscheint. Diverse Vorträge während meiner akademischen Laufbahn, bei denen ich lausig vorbereitet war. Die Verteidigung, natürlich. Dann aber im gleichen Atemzug alles, wo ich erfolgreich war: 15 Punkte im Abitur, unter den besten 10% der Mitarbeiter/innen bei meinem Arbeitgeber, Bürgermeisterin von Gurkfeld. Gestern noch den COO von einer Genehmigung einer wichtigen Sache überzeugt.

Bisschen an diesen Eintrag gedacht, wo ich mir schwöre, in nächster Zeit keine Prüfung mehr abzulegen. Und jetzt stehe ich hier, und möchte mit meiner Mutter über Rhein und Main tuckern, der Wind sanft in unserem Haar, ein Lächeln auf dem Gesicht.

Nach der Fahrstunde habe ich mir einen Plan gemacht: ich werde mir die Manöver aufschreiben und gedanklich einüben, ich werde noch eine Fahrstunde absolvieren, ich werde die Prüfung antreten und vielleicht reicht es. Wenn ich durchfalle, werde ich noch eine Fahrstunde nehmen, vielleicht auch ein Skippertraining, dreieinhalb Stunden sind das, und dann werde ich die Prüfung noch einmal machen.

Es gibt also wirklich gar keinen Grund, sich aufzuregen, sich so niedergeschlagen zu fühlen. Aber ich merke, dass da eine Diskrepanz in mir ist, zwischen zwei Wahrheiten vielleicht, zwischen backbord und steuerbord, und ich möchte so gerne dagegenlenken, denn es ist eigentlich gar nicht die Prüfung, die mich so aufregt, sondern meine eigene nicht angepasste emotionale Reaktion. Ich möchte mich so nicht fühlen, ich möchte die Mitte finden, gerade aus blicken, lenken, aber ich weiß gerade nicht, wie.

2 Gedanken zu „Lenken

  1. Zitat: Ich möchte mich so nicht fühlen, ich möchte die Mitte finden, gerade aus blicken, lenken, aber ich weiß gerade nicht, wie.

    Darf ich den Gedanken mitnehmen und verwenden?

    In so wenigen und einfachen Worten ist alles gesagt. So schön…

  2. Aus der Reihe ungebetene Ratschläge: Der Bootsrumpf und damit die Fahrtrichtung wird bestimmt durch Wasser und Wind, Ihr Motor arbeitet dagegen mit dem Ruder. Mathematisch: Vektorrechnung. Die Faktoren können Sie mit etwas Übung sehen und über die Füße und das Gesicht spüren; Schauen Sie sich das Wasser an: wie läuft die Strömung, kräuselt sich die Oberfläche (Windböe), wo kommen Wellen her (Windrichtung), gibt es seitliche Wasserzuflüsse (Querströmung). Manöver trocken üben hilft, letztendlich ist es „Wasserlesen“… viel Erfolg!

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