Gut und tief geschlafen, den Vormittag angenehm vertrödelt, aber unangenehm überrascht gewesen vom unfassbar raschen Verstreichen der Zeit. Wenn man älter wird, vergeht die Zeit insgesamt ja immer schneller – das hat damit zu tun, dass die Zeit proportional zu den Lebensjahren kürzer wird und uns daher schneller vorkommt. Freie Zeit vergeht dann noch einmal schneller, und freie Zeit, für die man viele gute Ideen hat, echt rasend.
Nachmittags auf dringenden Wunsch von Muttern einen Spaziergang gemacht. Sehr schöne Strecke unter blauem Himmel durch bunt gefärbte Bäume und Weinberge. Die Gegend hatten wir im ersten Lockdown* entdeckt, bittersüße Erinnerungen daran, wie wir damals dachten, dass all das nur ein paar Wochen gehen wird, höchstens ein paar Monate. Gutes Wort gefunden für den Schwermut, der mit dem Lockdown verbunden ist: Verlust an Teilhabe. Durch diesen Verlust an Möglichkeiten wird es schwieriger, in Resonanz mit der Welt zu treten, sich in ihr zu spüren und mit ihr eine Antwortbeziehung einzugehen. Die Dissonanz schlägt aufs Gemüt, dagegen hilft nur, mir sofort all meine Privilegien aufzuzählen, mir andere, kreative Möglichkeiten zur Resonanz zu überlegen, meine Durchhaltefähigkeit zu beschwören. Es ist, was es ist, und es wird vorübergehen.
Abends noch einen Film angeschaut. Das Aussuchen des Filmes im regulären Fernsehen, auf Prime und auf Netflix, oder im Abo des BBC Players hat länger gedauert als das Film gucken selbst. Ärgerlich, dass sogar im BBC Player manche Filme nicht im englischen Original verfügbar sind, sondern nur in der deutschen Synchronisation. Wo ist die Globalisierung, wenn man sie braucht?
Es gilt als nahezu sicher, dass Biden die Wahl gewonnen hat. Ob er auch Präsident wird, ist eine andere Frage, aber Trump scheint ein bisschen die Puste auszugehen für den Putsch.
Kontakttagebuch habe ich gestern vergessen, weil ich niemanden getroffen habe außer Muttern, heute noch zusätzlich den Paketboten, dem ich FFP2-Maske tragend Trinkgeld gegeben habe. Für meinen Geschmack zu viele Menschen auf dem Spaziergang, unter anderem ein Instagram-fotografierendes Paar, das ist natürlich viel verwerflicher als ich für Twitter**. Mehrere Mountainbiker, einer davon hat Muttern angeatmet, als er den Berg hochgekeucht ist. Ich habe dann im Brustton der Überzeugung gesagt, dass erst ab 15 Minuten Ansteckungsgefahr besteht.
*): es ist natürlich kein echter Lockdown, sondern nur eine Kontaktbeschränkung.
**): wenn wir gemeinsam irgendwo vorbeikommen, das besonders oder pittoresk ist, fragt mich meine Mutter manchmal, ob ich ein Bild machen möchte „für mein Social Media“. Sie fragt auch manchmal, „was hörst du so von deinem Social Media?“. Sie kennt Blog und Twitter nicht (hoffe ich), aber ich finde das so süß von ihr, und es rührt mich, dass sie sich so für mich interessiert.