Sonntagsausflug mit meiner Mutter in den Wald, ordentlich Schnee, leider machen auch alle anderen Menschen einen Sonntagsausflug in den Wald, deshalb ist es nicht so leer, wie meine Fotos auf Twitter vermuten lassen. Was will man sonst auch machen, an einem Sonntag.
Beim Einsteigen ins Auto, während wir Mäntel auszogen und Schneeschuhe zu Autofahrschuhen wechselten, über Knöpfchen nachgedacht. In meiner Kindheit war das ein häufig gesprochener Satz, mach doch mal das Knöpfchen hoch, oder mach doch mal das Knöpfchen runter, oder das Knöpfchen ist oben!, und es bezeichnete das Entriegeln der Autotüren. Ich hatte noch relativ lange, bis etwa 2008, ein solches Auto. Nach Konzertbesuchen oder nach dem Club sagte ich manchmal zu meiner Beifahrerin: mach sofort das Knöpfchen runter nach dem Einsteigen, das war so eine Urangst, dass jemand hinten eine Tür aufmacht und einsteigt, ungefragt, ungewollt, bedrohlich.
Auf der Rückfahrt mit meiner Mutter über Knöpfchen gesprochen, sie ergänzt noch ist überall das Knöpfchen unten?, häufige Panik bei diversen Urlaubsreisen. Ich hab ja so eine kleine Zwangshandlung, nach dem Abschließen immer überprüfen zu müssen, ob das Auto auch wirklich abgeschlossen ist, und mir wird gerade klar, woher das kommt. Einklappende Seitenspiegel haben mir hier sehr geholfen.
Frau N. hat heute auch schon über Autos gesprochen, morgen darf sie nämlich ins Büro, sie ist schon ein bisschen aufgeregt und sehr gut gelaunt, im Anschluß noch in die Werkstatt, Rücklicht reparieren lassen, dass man das auch selbst machen kann, spare ich mir ihr zu sagen, irgendwann will man im Leben manche Sachen nicht mehr selbst machen. Außerdem möchte sie noch durch die Waschstraße und ist total entzückt, weil wohl wahrscheinlich auch die Innenreinigung geöffnet ist. Wir reden eine Weile gleichzeitig über Börsengänge und Waschstraßen, beides gleich wichtig.
Meine Mutter hat auch eine Autogeschichte, und zwar erzählt sie mir, während wir nach Hause fahren und der Schnee immer weniger wird und entfärbten Februarwiesen weicht, vom ersten Auto ihrer Mutter, also meiner Großmutter. Das erste Auto war natürlich ein VW Käfer, interessanterweise war es auch das letzte Auto, allerdings ein moderneres Modell. Meine Großmutter hat recht früh den Führerschein gemacht, 1955 oder so, ungewöhnlich für eine Frau, aber sie war ja auch verwitwet und wusste, dass Mobilität der Schlüssel zur Unabhängigkeit ist. Meine Mutter erzählte, dass sie als Kind in jenem ersten VW Käfer beim Abbiegen einen Knopf drücke durfte, und dann sprang an der Seite der Blinker heraus, also ein gelbes, reflektierendes Teil, das den Richtungswechsel anzeigte.
Ich staune. Ich frage meine Mutter, ob der Käfer damals Sicherheitsgurte hatte, und sie verneint.
Ich kann mir keine Welt vorstellen, in denen es keine Sicherheitsgurte gibt. Ich meine – und vielleicht irre ich mich da – dass ich mich mein ganzes Leben lang anschnallen musste, auch auf der Rückbank, und zumindest, wenn man nicht in der Mitte sitzen musste, auch schon mit einen Dreipunktgurt.
Als ich Kind war, gab es noch kein Internet.
Noch so ein Gedanke, der mir neulich kam, eine Feststellung irgendwo auf den kleinen Wegen zwischen Schreibtisch, Kühlschrank, Badezimmer und Bett, die einem gerade noch so bleiben: dass ich mich an das Leben, wie es gerade ist, gewöhnt habe. Zuhause arbeiten, Videokonferenzen, niemanden treffen, nirgendwo hingehen. Es ist normal geworden, ich nehme es schulterzuckend hin. Resilienz ist das, eigentlich gut, aber sollte ich nicht mehr Rage haben, wütender sein – nur, wogegen?
Alles ändert sich, immer. Wenn ich darüber nachdenke, bin ich damit grundsätzlich unzufrieden, aber wenn ich nicht darüber nachdenke, dann nehme ich es hin, einfach so, ohne es so richtig zu merken.
Wir haben lange geglaubt, dass alle Änderungen eher Verbesserungen sein würden: Zentralverriegelungen, Internet, Streaming-Dienste, Handyticket. Es könnte auch eine Zukunft kommen, in der wir viel mehr verlieren als nur die Möglichkeit, zum Friseur zu gehen.
Besser nicht drüber nachdenken.
Bei manchen Modellen bewegte sich der Blinker rauf und runter. Das war toll.
Oh, daran erinnere ich mich überhaupt nicht, und ich bin alt! Das erste Auto, das wir hatten, war ein Opel, Baujahr 1938. Ungelogen. Ja, und er war uralt als wir hin bekamen, in den 50ziger Jahren.