am Nachmittag.

Am nächsten Tag stehen die Meghars vor meiner Wohnungstür und wollen wissen, was in der Nacht passiert ist. Ich hatte schon damit gerechnet und lade sie zu Kaffee und Kuchen ein, denn ich brauche Verbündete.

Einen Bäckereibesuch später sitze ich im Meghar’schen Wohnzimmer und erfahre hilfreiches. Die Frau mit dem Hang zu lauter, nächtlicher Musik – nennen wir sie: Frau Berger – ist kein unbeschriebenes Blatt. Mit Gisela gab es Streit und böse Briefe, bis Gisela Frau Berger eines Tages androhte, ihr die Fresse zu polieren. Ein Vorgehen, das Gisela als erfolgreich preist und auch mir ans Herz legt. (Ich zweifle, ob es für mich das richtige ist…) Eine Nachbarin im dritten Stock hat ihren Fußabstreifer am Boden festgeschraubt, der Grund: Frau Berger und des Fußabstreifers Reisen in die Mülltonne. Frau Berger, so wird mir erzählt, ist arbeitslos oder arbeitsunfähig, verwitwet und trinkt viel.
Ich fühle mich nicht mehr ganz so schuldig ob meines harten Durchgreifens und hoffe, daß die Fronten zwischen mir und Frau Berger nun geklärt sind.

Später sitze ich mit Herr Meghar in der Küche und er zeigt mir, wie er Tee kocht. Arabisch, sehr süß, etwas bitter, mit Pfefferminze. Dann flüstert er mir zu, ob er nach Schnaps rieche. Ich verneine. Er fragt mich, ob ich mich mal mit ihm betrinken würde. Innerlich muß ich lächeln. Noch nie hat mich jemand sowas gefragt. Äußerlich bleibe ich ernst und verweise auf Tee. Ich habe nämlich ein wenig das Gefühl, daß sich Herr Meghar auf mehr als nur nachbarschaftliche Weise zu mir hingezogen fühlt. Er faßt mich gerne an – am Arm oder auch schon mal am Nacken – und schenkt mir gerne Sachen bis zu einem Punkt, an dem es mir beinahe peinlich ist („ob ich nicht mal mit ihm nach Algerien fahren möchte?“). Herr Meghar ist Mitte 60.
„Wie geht es Ihren Kindern“, frage ich ihn und erfahre, daß er einen Sohn und eine Tochter hat, beide in den Dreißigern. Sie tragen ihm nach, daß er sich von der Mutter hat scheiden lassen, zwanzig Jahre ist das her. Mit seinem Sohn hat er Kontakt (aber nur, wenn er, der Sohn, dazu Lust hat), aber mit der Tochter gar nicht mehr, obwohl sie ganz in der Nähe wohnt. Ich frage mich, ob er eine Art von Tochter in mir sieht. Das wäre mir lieber, als die Alternative.

Es gefällt mir bei Meghars, ich mag sie. Ich fühle mich wohl in ihrem Wohnzimmer. Im Hintergrund versucht Barbara Salesch die Wahrheit herauszufinden, Gisela gibt einen Löffel Schlagsahne auf den Pflaumenkuchen und dann kommt die Frage, die mir immer gestellt wird, wenn ich neue Leute kennenlerne: ob ich einen Freund habe?
Ich weiß nicht so recht, was ich darauf antworten soll. „Nein“, spricht mein Mund, und innen drin denke ich: er entgleitet mir.

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