Geben und Nehmen

Ich sitze in meinem Auto vor dem Parkplatz von Lidl und tippe eine SMS an mein Date. Gesprächsfetzen dringen zu mir: ein Mann bittet eine Frau um Geld – er sei obdachlos, beziehe keine Leistungen vom Amt – und sie lehnt wortreich ab.
Es ist ein Mann mittleren Alters, relativ gepflegt in roter Weste, seine Aussprache klar und gebildet. Als ich mit meinen Einkäufen zurückkomme, spricht er auch mich an, und ich gebe ihm eine Münze. In ihm leuchtet etwas auf, als hätte ihm schon längere Zeit niemand mehr etwas gegeben. Er beginnt ein Gespräch mit mir, versucht es jedenfalls: so ein schönes Auto, meint er, fährt bestimmt ziemlich schnell, und wofür steht das seltsame Autokennzeichen? Ich lächle und antworte sehr knapp. Was soll ich auch sagen? Alles Fassade: das Auto gehört meine Mutter, und ich trage ein Jackett und meinen Doktortitel. Gestern war eine Absage auf eine meiner Bewerbungen in der Post.

Es heißt, das schlimmste an der Obdachlosigkeit sei die Einsamkeit. Vielleicht geht es den Menschen, die betteln, nicht nur um Geld, sondern auch um den Kontakt, um ein Gespräch, um Aufmerksamkeit und menschliche Wärme. Es fällt mir leicht, eine Münze zu geben, aber mit allem, was darüber hinaus geht, tue ich mich schwer: ich bin geizig.

Seit ein paar Wochen bin ich raus aus dem Job. Manchmal bin ich mehrere Tage hintereinander allein. Ich finde das schön und bin überrascht, wie leicht mir die Einsamkeit fällt.

„Du magst also Kuchen!“, sagt mein Date. Wir essen Pflaumenkuchen. „Das ist nicht so ganz richtig,“ antworte ich. „Ich mag manchmal Kuchen, zu bestimmten Gelegenheiten. Eigentlich eher selten.“

Was ist mein Kuchen, und was ist mein täglich Brot?

Am Morgen, als die Sonne schon ins Zimmer scheint und ich den Wecker bereits ausgestellt habe, träume ich. Ein Alptraum. Ich träume von Würmern, Maden, halb durchsichtige Parasiten, die sich über den Boden schlängeln, auf mich zu. Ich bin barfuß. In Panik und Verzweiflung versuche ich zu entrinnen, aber es gibt kein Entkommen, und die Parasiten bohren sich in die Haut meiner Füße, die mein Date so gerne küßt.
Ich zwinge mich mit aller Macht, aufzuwachen, und finde mich doch nur in einem weiteren Traum wieder.

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