dolce

Der Koffer ist gepackt. Ich war beim Coaching und habe viel geweint. Ich war beim Arzt und bin ein bisschen fitter geworden. Ich lasse die Dinge im Büro auch mal liegen, und habe mal wieder die European Head of Stelle angeboten bekommen. Vielleicht wird es diesmal was, vielleicht auch nicht.

Ich schaue aus dem Fenster und sehe noch einen Rest der Abenddämmerung. Morgen bin ich selbst im Himmel, irgendwo über Grönland. Vorher putze ich noch das Bad fertig. Und freue mich auf das, was kommt: nicht immer süß, aber voller Leben.

Cortisol

Das waren ein paar schwierige Wochen mit allerschlechtester Laune. Dauernd so eine kleine Stimme in meinem Kopf: bin ich depressiv? Fühlt sich so eine Depression an? War aber eher so eine Kombination aus krasser Überarbeitung und körperlicher Themen. Ich habe nach wie vor Lust und Interesse an den Dingen und am Leben. Aber keine Zeit und keine Löffel.

Überarbeitung heißt: spätabends beruflich angerufen werden, am Wochenende arbeiten, zu viele Stunden arbeiten, jede Menge Druck. Alle wollen dauernd was von mir, nie ist es genug, und niemand sagt danke. Beleidigungen aushalten, Gezicke und divenhaftes Verhalten. Auf den Gerichtstermin hätte ich auch verzichten können. Und das blöde ist, dass ich mich selbst wie eine Memme fühle, weil ich nicht alles immer professionell wegstecke.

Letzte Woche habe ich den Benachrichtigungston auf dem beruflichen Mobiltelefon ausgestellt. Jede Email und jede Teams-Message hat vorher einen kleinen Ton gemacht, und ich konnte, wenn ich abends auf dem Sofa saß, so richtig spüren, wie mir das Cortisol durch den Körper jagte. Der Druck kommt natürlich nicht vom Ton, sondern von den Inhalten.

Laut TikTok geht meine Generation (X) nicht genug zur Therapie. Wir leiden lieber, und machen die Sachen mit uns selbst aus. Oder bloggen drüber. Francine hat ja vor ein paar Jahren mal einen magischen Satz zu mir gesagt: “…hast du das mal therapeutisch aufgearbeitet?”. Vielleicht ist es Zeit.

Die Arbeitsbelastung lässt gerade etwas nach, weil zwei bis drei größere Themen abgeschlossen sind. Aber der Druck kommt wieder, auch, weil ich ihn mir selbst mache. Nur funktionieren, den Druck aushalten, die Steuererklärung machen und die Wohnung putzen – das kann es nicht gewesen sein. Das ist mir zu wenig. Es muss auch etwas bleiben für mich. Dolce vita. Dolce far niente.

Januar

Ein zäher Monat. Ich war krank, bin es noch. Erst akut, jetzt nur noch hin und wieder Schmerzen, aber schlapp, müde, zermürbt, kraftlos. Nicht ganz rien ne va plus, jedoch peu est possible. Und keine klare Diagnose.

Unverhoffte Geschenke: die Zugewandheit der Freundinnen, die Güte & Großzügigkeit von Novemberregen, und mein Chef, wie er sich in meinem Büro an die Wand lehnt, schlacksig, und mir mit verschmitzem Lächeln das eine oder andere berichtet.

Das Alleinsein, Verlassensein, ist am schwierigsten, wenn man krank ist. Wenn wirklich gar nichts mehr geht, und niemand da ist, der einem hilft. Überlege so ein bisschen daran herum, ob dieses Gefühl des Verlassenseins vielleicht eine Art human condition ist. Es begegnet mir jedenfalls – und das ist das Glück – nur vorübergehend, und wird abgelöst durch Hinwendung und Zuwendung derer, die mir wichtig sind.

Das Rad dreht sich, die Kugel finde eine Zahl. Der Croupier zahlt die Gewinne aus, und zieht die Verluste ein. Ein neues Spiel beginnt. Faites vos jeux! Die Bank gewinnt immer.

Auf in den Februar.

2022

Es war ein schlechtes Jahr, es war ein gutes Jahr. Ein schlechtes Jahr für die Welt, voll mit schlechten Nachrichten. Und ein gutes Jahr für mich, mit Glücksmomenten, Staunen, Sternen und Musik.

Ich habe eine ganze Weile gebraucht, mich damit abzufinden, dass die Kontrolle und Prävention von Covid-Erkrankungen keine politische oder gesellschaftliche Rolle mehr spielen wird. Wir haben aufgehört zu testen, aufgehört, Fallzahlen zu erheben. N-TV stellte den Covid-Nachrichtenticker ein, die Maskenpflicht in Supermärkten fiel, dann auch die Pflicht zur Quarantäne. Das Gesundheitssystem kollabiert leise vor sich hin. Ich selbst trage weiterhin häufig Maske, vermeide Restaurantbesuche in Innenräumen, habe mich im Februar viertimpfen, im Juni fünftimpfen, und im September gegen BA.5 boostern lassen. Bisher habe ich mich nicht angesteckt, das ist aber wahrscheinlich auch stark durch Glück und Privileg bedingt.

Der Beginn des Ukrainekrieges im Februar war ein Schock. Ich denke, der Krieg wird noch fünf Jahre dauern, und hoffe, dass ich Unrecht habe. Anderswo ist es auch nicht besser: im Libanon bricht das Stromnetz zusammen, über Syrien spricht niemand mehr, aber ich weiß, dass die Menschen hungern. Die USA kippten Roe vs Wade. Die Klimakatastrophe rückt näher: Schnee im April, Dürre und Waldbrände im Sommer, Fischsterben in der Oder, ganz Pakistan unter Wasser. Heute, an Silvester, haben wir T-Shirt Wetter mit 18 Grad. Affenpocken waren auch ein Thema. Und dann starb auch noch die Queen.

Vielleicht als Gegenmaßnahme zur äußeren Instabilität habe ich dieses Jahr viel aufgeräumt. Erst den Keller, dann alles andere. Viel aussortiert, vor allem in der Küche. Es ist jetzt deutlich leichter, Ordnung zu halten. Gut fünf Jahre nach meinem Einzug hat ein Elektriker die letzten Lampen installiert. Ich habe die WLAN-Situation verbessert, das ist ein großes Plus.

Ich war viel auf Reisen und unterwegs. Als ein Wendepunkt ist mir das Konzert von Sam Fender im Mai in Erinnerung geblieben, danach folgte ein wunderbarer Sommer. Schön waren nicht nur die großen Reisen, sondern auch die kleineren Unternehmungen: ein Wochenende in Hildesheim mit Internet-Freundinnen, ein anderes Wochenende in Frankreich. Boot fahren mit Francine. Perseiden, mehrmals. Mondbeobachtungen mit einem Teleskop auf meinem Balkon, und viele lange Abende draußen, während über mir die Fledermäuse durch den Himmel huschten. Ein Sommer voll mit Badesee-Besuchen und jeden Sonntag ein Ausflug in die Umgebung. Viele Freunde getroffen. Vielleicht meine beste Entscheidung dieses Jahr, so viel zu unternehmen, auch ein bisschen geboren aus der Einsicht, dass es karrieremäßig erst einmal nicht wirklich weitergehen wird für mich. Also mehr Work-Life-Balance, das war gut und richtig so.

Ein unglaubliches Highlight waren die Konzerte von The Cure, von denen ich nicht so richtig geglaubt hatte, dass sie tatsächlich stattfinden würden. Wir erlebten eine Band, die sich nicht auf dem Ruhm vergangener Tage ausruht, sondern die in absoluter kreativer Bestform ist. Ein unvergesslicher Moment, wie wir aus der Konzerthalle in Wembley rauskommen, und es schneit…

Was bleibt sonst noch in Erinnerung? Gesundheit hätte besser sein können, daran muss ich im neuen Jahr was ändern, auch in Hinblick auf das zusammenbrechende Gesundheitssystem. Auch interessant zu Archivzwecken: ich habe den Campus meiner alten Universität besucht und ein bisschen an dem einen oder anderen Trauma gearbeitet. Außerdem mildly interesting: ich habe 500 Tage am Stück mit Duolingo eine Sprache geübt, und dann aufgehört. Fühlt sich sehr on brand für mich an.

Die Zersetzung von Twitter bedauere ich sehr. Ich habe diesen virtuellen Ort immer sehr geschätzt. Es gibt doch viele, deren tägliches Tun ich gerne auf Twitter verfolgt habe. Twitter war auch immer eine gute Möglichkeit, in den Austausch mit anderen zu kommen, unverbindlich, aber nicht oberflächlich. Es war die beste Version eines Schulhofs, wo man miteinander abhängt, belangloses redet, und dann doch unverhofft Momente der Tiefe und der Verbundenheit entstehen. Vielleicht erholt sich die Plattform ja noch einmal.

Es war trotz allem also ein gutes Jahr. Ich war oft glücklich – vielleicht werde ich im Alter generell besser darin, trotz widriger Umstände glücklich zu sein. Auf jeden Fall scheine ein bisschen besser verstanden zu haben, was mir gut tut, und kümmere mich besser darum, Momente zu schaffen, die das Eintreten von Glück wahrscheinlicher machen.

something good

Der Herbst hat mich etwas überrascht. Über Nacht war der Sommer vorbei, mit einer Endgültigkeit, von der ich manchmal denke: vielleicht ist es mit dem Sterben genauso.

Ich werde es rausfinden, irgendwann. Aber noch nicht jetzt.

Ich höre Gottfried John in meinem Ohr, wie er sagt: “der Sommer war sehr groß”. Das war er wirklich. Ich habe ihn genutzt, als wüsste ich von der Endlichkeit. Tatsächlich hat mich eher die Erfahrung des letzten Sommers getrieben, in dem ich so viel verpasst, so vieles nicht gemacht habe. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, warum, aber das Gefühl, dass mir das Leben schmerzlich zwischen den Fingern zerrinnt, hatte sich eingebrannt.

Es hätte gut nach hinten los gehen können, diese Entschlossenheit, das beste aus der Zeit machen zu wollen. Ein Glück, dass es geklappt hat.

Ich bin womöglich angekommen. Ich weiß, was ich will, was ich nicht will, was mir gut tut, und wie ich es erreiche. Es ist langweilig, darüber zu schreiben. Es ist schön, es zu leben. Vielleicht hält es, bis die Blätter treiben.

ölig

Kurz gedacht: Ölpreis, und dann, dass ich die Welt verstanden hätte. Habe ich aber nicht.

Saudi Arabien importiert alktuell russisches Heizöl zur Stromproduktion für die Klimaanlagen. Das saudische Öl selbst wird exportiert und zu Benzin raffiniert. Biden war gestern oder vorgestern zu Besuch beim Kronprinzen, zu sagen, Biden hätte den Kotau gemacht wegen Öl wäre wahrscheinlich ungenau.

Man könnte überrascht sein, dass Saudi Arabien nicht sanktioniert ist wegen der Ermordung von Jamal Khashoggi. Ich erinnere mich noch an die Stimmung unter meinen syrischen und libanesischen Kollegen am Tag nach der Tat. Auch ihre Regierungen würden Staatsfeinde ermorden, aber sie würden sich nicht erwischen lassen. Es war kein Stolz in dieser Feststellung, nur Fatalismus und schwarzer Humor.

Man könnte überrascht sein, dass die USA nicht sanktioniert sind wegen Guantanamo.

Während der Lockdown-Phase der Pandemie war der Ölpreis sehr niedrig. Der Ölverbrauch ist in der Regel ein Zeichen von Konsum. Wir konsumieren Produkte, deren Plastikverpackungen aus Erdöl hergestellt sind, oder die selbst aus Plastik bestehen: die Tastatur, auf der ich gerade tippe, die Synthetikfasern in meiner Kleidung. Die Produkte werden über die Weltmeere verschifft und die Tanker verbrennen Schweröl. Wenn wir Erlebnisse konsumieren, oder touristisch unterwegs sind, bringt uns ein Auto oder ein Bus oder ein Flugzeug von A nach B: mit Benzin oder Kerosin.

2020 war der Ölpreis einen kurzen Moment sogar negativ, unter anderem, weil es am Umschlagplatz in Cushing, USA, keine Lagerkapazitäten mehr gab.

In einer Rezession sinkt der Ölpreis, weil der Konsum zurückgeht. Vielleicht sind wir schon in einer Rezession, und merken es nur am Ölpreis nicht, weil die Verknappung durch die Sanktionen den Preis verzerrt. Gibt aber sicher auch andere Indikatoren, müsste ich mal recherchieren.

Saudi Arabien geht es jedenfalls gerade ziemlich gut, nehme ich an. Die Gewinne sprudeln. Russland ist geschwächt. Die Türkei hat Inflation. Der Libanon ist am Boden. In Syrien hungern die Leute. Die EU-Sanktionen gegen den Erzfeind Iran sind zwar aufgehoben. Der Iran ist aber nach wie vor von Swift ausgeschlossen. Und wer mit dem Iran handelt, kann in den USA keine Geschäfte mehr machen.

An den Flughäfen, die gerade wegen Personalabbau in der Lockdown-Phase und Covid-19-Erkrankungen des Personals im Chaos versinken, muss man immer noch die Schuhe ausziehen und darf nicht mehr als 100 ml Flüssigkeiten im Handgepäck haben. Das mit den Flüssigkeiten kommt aus der Zeit nach dem Terroranschlag des 11. Septembers durch Al Qaida, die übrigens unter anderem von Saudi Arabien finanziert wurden. Das mit den Schuhen vielleicht von Lockerby, ich bin mir da nicht so ganz sicher.

Wir müssen also die Schuhe ausziehen und die Flüssigkeiten in kleine Ziplock-Beutel packen. Maske tragen müssen wir nicht mehr, das ist Eigenverantwortung.

Den Nachrichten entnehme ich, dass in Deutschland über Fracking nachgedacht wird. Windräder wollte ja, wenn ich das richtig erinnere, die FDP nicht, weil es die Schönheit der Landschaft verschandelt.

Ich habe neulich versucht, das mit den schwarzen Kassen der CDU nachzurecherieren. Es gab sie länger, als ich gedacht hätte. Die Spender, oder wie soll man sagen, Geldgeber, wurden nur zu einem sehr kleinen Teil aufgedeckt. Vielleicht ist es so wie mit Khashoggi: alle Regierungen machen es, und nur die ungeschickten lassen sich erwischen.

Wir wissen, was das richtige ist. Bei Covid und bei der Klimakrise. Aber wir tun es nicht. Es hilft auch nicht, so meine ich, die Verantwortung auf die rein individuelle Ebene zu verschieben. Es würde alle brauchen, den ganzen Staat, ein konzertiertes Handeln.

Die Welt wird enden, und das Ende kommt näher.

weiß

Der Juni war sehr schön. Bin bisschen überrascht, dass der Monat schon vorbei ist. Er könnte sich ruhig noch einmal wiederholen, mit seinem hellen Licht und den weißen Nächten.

Glücklich gerade. Nicht immer, aber häufig, und wenn, dann mit einer Intensität, als würde es aus mir herausdrücken wie Knete aus einem Kinderspielzeug. Ich sitze auf dem Balkon, oder im Auto, oder in einem Lokal, oder am Badesee, und es ist ein perfekter Moment. Banal auch, ja, banal und bieder, der Wind weht, der Himmel ist blau, und dieses weiße Licht. In der Ferne singt ein Rasenmäher.

“Ich habe alles, was ich je wollte“, denke ich dann, und das stimmt natürlich nicht, aber ich denke es trotzdem, und das ist es ja, was zählt. Es kommt aus einem Teil von mir, der sehr gelitten hat, vor einer Dekade oder so, und sich nichts schöneres vorstellen konnte als auf dem Balkon zu sitzen, dem Oleander beim Blühen zusehen zu können und keine Sorgen zu haben.

Ich habe auch etwas mehr Zeit, jetzt, wo ich keine Karriere mehr mache.

Das Glücksgefühl hat immer auch einen leicht metallischen Geschmack, eine Schärfe oder vielleicht auch eine Würze. Es ist ein Glück in einer sehr instabilen Welt. Die Nachrichten kommen mir oft dystopisch vor. Ukrainekrieg, Energiekrise, Klimawandel, Inflation, Roe v. Wade, Boris Johnson, Jeffrey Epstein, und alle haben Covid, bis auf Epstein, der ist tot.

Neulich mit SGMaus über unsere Jugend geredet, wir sind gleich alt. Als ich Abiturientin war, hatte ich das Gefühl, dass die Welt immer besser wird. Jetzt wird sie immer schlechter. Oder liegt es an meinem Blick auf die Welt, dass ich die Dinge klarer sehe?

SGMaus erinnert an die Kohl-Jahre, jene bleierne Zeit. Ich spüre fast eine Nostalgie, dann aber doch nicht: ich wünsche sie mir nicht zurück.

Vibrationen

Kürzlich einen beruflichen Termin gehabt, der – nunja – nicht meinen Erwartungen entsprochen hat. Ich bin da karrieremäßig an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr so richtig weiter geht, zumindest nicht leicht und einfach. “Die Tür steht nicht offen“, sagt Frau N., „aber sie ist auch nicht so richtig zu“. Das fasst es eigentlich sehr gut zusammen, es flutscht nicht mehr einfach, sondern wird Mühe kosten, beschwerlich sein, und zwar nicht nur auf der Sachebene, sondern auf allen Ebenen.

Frau N. und ich sitzen im Außenbereich eines persischen Restaurants, die Luft ist zart und warm, eine Ankündigung der drückenden Sommerhitze, die kommen wird. Wir haben ein gutes Gespräch, ein sehr gutes vielleicht, Frau N. kennt mich eben gut, und wir sind uns wohl auch hier und da recht ähnlich.

Oder sind es immer nur die ähnlichen Fragen, die alle haben? Was man vom Leben will, und was man bereit ist zu zahlen?

„Man kann seine Meinung ja jederzeit ändern“, sagt Frau N., und hat natürlich Recht, zumindest im großen und ganzen. Ich kann an diesem Punkt meines Lebens auch mal was ausprobieren, anfangen und nicht fertig machen, abbrechen, die Rchtung wechseln. Es liegt nicht in meiner Natur, aber es ist eine Möglichkeit unter vielen.

Wir reden ein bisschen über Gehirnchemie, den Adrenalinrausch, den Ausnahmezustand. Wir haben beide einiges an Ausnahmezuständen erlebt, Frau N. sicherlich noch mehr als ich. Ob das so normal ist, frage ich mich manchmal, so ein ganz normales Leben war und ist es nicht, keines von beiden. Gar nicht so einfach, umzuschalten von diesen Ausnahmezuständen, von den Dreifachbelastungen, von den mit Bindfaden und Klebeband zusammengehaltenen Provisorien hin zu einem Leben mit Gartencenter und Hollywoodschaukeln und Autowaschanlagen.

Wir reden über unsere Pläne, und mir fällt erstaunlich viel ein. Sprachunterricht und Reisen und Konzerte und Motorbootfahren und Karaoke und so einiges mehr. Ich werde ruhiger und der Schmerz wird weniger, diese kleine bis mittelgroße narzistische Kränkung, keine Einserschülerin zu sein in den Augen von jemand, dessen Meinung für mich zählt.

Frau N. tippt schnell und der Tisch vibriert ein bisschen.

Wer weiß, was noch alles in diesem Leben steckt. Es scheint doch immer für eine Überraschung gut zu sein.

am Straßenrand

Ein Frühlingsabend war das heute, wie aus dem Lehrbuch. T-Shirt-Wetter, aber noch nicht heiß. Sehr helles Licht, besonders, weil ich etwas früher als sonst aus dem Büro nach Hause gefahren bin.

An der roten Ampel stehe ich und warte, und sehe ein junges Paar, vielleicht Mitte zwanzig. Sie hat ein Fahrrad dabei, er einen großen Rucksack auf dem Rücken, er könnte von einer Reise zurückgekommen sein oder auch einfach nur aus dem Fitnessstudio. Er ist nicht übermäßig muskulös, aber durchaus sportlich, man würde ihm aber auch zutrauen, gelegentlich Belletristik zu lesen. Die junge Frau trägt eine gestreifte Hemdbluse, die ihr sehr gut steht. Sie ist keine Schönheit im klassischen Sinne, dafür fehlt es ihren Gesichtszügen an Symmetrie, aber es geht ein Leuchten von ihr aus. Die beiden stehen sehr nah beieinander, ich frage mich, ob sie sich gleich küssen werden, und dann tun sie es. Schnell und ein bisschen verstohlen auf den Mund. Dann schauen sie sich an, lächeln beide, reden. Er zieht sie mit seiner Hand in ihrem Nacken zu sich, küsst sie wieder. Sie lächeln wieder beide und reden, küssen sich noch einmal und noch einmal. Ich mag die Art, wie das Küssen von der jungen Frau ausgeht, wie sie ihn einlädt, subtil und doch unmissverständlich, durch die Haltung ihres Gesichtes, ihre Körpersprache. Dabei hält sie die Hände bei sich, vielleicht, weil sie ihr Fahrrad festhalten muss. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die beiden ihr erster Kuss ist als Paar, ob sie sich gerade eben zueinander bekannt haben, oder ob sie sich schon vorher geküsst haben. Allzu viele Küsse hat es noch nicht gegeben, es ist alles neu zwischen ihnen. Verzaubert. Man ahnt, wie süß es schmeckt.

Die Ampel wird grün, ich fahre weiter. Als ich das nächste Mal anhalte, fällt mein Blick auf eine Pflanze, immerhin schon so hoch wie ein kleiner Hund, und kräftig. Sie hat sich zwischen dem Rinnstein und dem Beton einen Weg gesucht, und wächst da jetzt, und gedeiht.

So ist es ja auch manchmal mit den Menschen.

Grief is like that sometimes

Seltsam, dass ich meinen Vater meistens an den schönen Tagen vermisse, und nicht an den schlechten. Ich wünschte, du wärest hier. Es würde dir gut gefallen, jetzt gerade, hier.

Ich vermisse ihn nicht “an den meisten schönen Tagen”, sondern, wenn ich ihn vermisse, dann meistens an einem schönen Tag.

Es sind jetzt sieben Jahre. Wenn man jemanden geliebt hat, hört man nie auf, ihn zu vermissen. Das Vermissen wird aber weniger, vor allem nach dem ersten Jahr, es stabilisiert sich auf einem Niveau, das man wohl “gelegentlich” nennen könnte. Es wird süßer, melancholischer, ein feiner dunkler Faden in dem Stoff, aus dem der Alltag gewebt ist.