22/31 – Popcorn

Mit Uber vom Flughafen in die Stadt hineingefahren bzw. hineinfahren lassen.

Es gibt bei Taxi- und Uberfahrern immer so eine Zwischenphase, wo noch nicht ganz klar ist, wieviel Gespraech erwuenscht ist. Von den Fahrern (Fahrerinnen begegne ich praktisch nie) kommen immer so Anstandsfragen: wo komme ich her, wieso bin ich hier (fast schon philosophisch}, wie ist das Wetter dort, wo ich herkomme. Ich versuche, das Gespraech dann ein bisschen auslaufen zu lassen, so auch heute. Der Fahrer hörte gute Musik, es war kein Radio. Er trommelte dazu auf dem Lenkrad. Ich schaute aus dem Fenster, und plötzlich: ein Lied von The Cure.

Schön war das, und wir hatten dann beide Lust auf ein Gespraech. Ich erzaehlte, dass ich The Cure dieses Jahr in den USA gehoert hatte (das hat ihn nicht so interessiert, ich habe erst spaeter verstanden, warum nicht). Er erzaehlte, dass er in seinem Kinderzimmer ein Poster von Robert Smith hatte (ich habe erst spaeter verstanden, wie bedeutsam das war). Wir hörten uns gemeinsam durch die Red Hot Chilli Peppers, Tears for Fears, Prince, America (horse with no name), INXS. Sprachen ueber Nina Simone, und ueber Funky Jazz, da musste ich dann passen.

Er sei frueher Drummer gewesen in einer Band. Was aus der Band geworden sei, fragte ich. So ganz verstanden habe ich seine Erklaerung nicht. Sie haetten immer weniger miteinander gespielt. Er habe geheiratet und eine Tochter bekommen. Ich seufze und spreche ueber die Schwierigkeit, nur ein Leben leben zu können, sich entscheiden zu muessen, sonst entscheiden andere fuer einen. Er laechelt sybillisch, soweit ich das im Rueckspiegel erkennen kann.

Er erzaehlt, dass er als Jugendlicher die deutsche Musikzeitschrift POPCORN zugeschickt bekommen hat, they mailed it to Iran, aber wegen der freizuegigen Cover musste die Zeitschrift immer in einen undurchsichtigen Umschlag geschickt werden, you know it was forbidden.

You are from the Iran?? frage ich ueberrascht, ich hatte bis dahin tatsaechlich gedacht, er sei Brite. Er sei schon hier, seit er Anfang zwanzig ist. Wir sprechen ein bisschen ueber den Iran im Allgemeinen, was fuer ein schönes Land, was fuer ein reiches Land, so viele junge Menschen, es ist alles sehr traurig. Wir bleiben, was die aktuelle politische Situation angeht, auf sicheren Boden.

Ich frage ihn, ob er den Iran noch einmal besucht hat, oder ob er dies wegen drohendem Kriegsdienst oder Inhaftierung nicht mehr konnte. Er sagt, er habe seinen Wehrdienst abgeleistet. Er sei sechs Monate vor Kriegsende eingezogen worden und haette an der Front gekaempft, ich verstehe nicht genau, welcher Krieg, aber ich glaube, der erste Golfkrieg.

Er hatte zweimal versucht zu fliehen. Das erste Mal mit vierzehn, da sei er sehr naiv gewesen (ich denke, wer war das nicht mit vierzehn?). Er haette sich einfach auf den Weg zur Grenze gemacht, sei dort aber festgenommen worden. Festgenommen und in die Wueste gebracht worden, mit verbundenen Augen, sie haben ihn bis zwanzig zaehlen lassen. Eine Scheinexekution, aber er benutzt das Wort nicht.

Das zweite Mal ein paar Jahre spaeter, mit Schleusern, aber sie seien in der Grenzregion aufgeflogen. Er musste ins Gefaengnis, sein Vater hat Land verkauft und hat ihn nach einem Monat rausbekommen. Dann die Front, und in den Wirren des Kriegsendes hat er es nach Schweden geschafft, wo eine seiner Schwestern lebte. Weil er aber in Schweden nicht bleiben konnte, wollte er nach Kanada, mit einem gekauften Pass, Umstieg in London, dort haben sie ihn dann erwischt, drei Monate Abschiebehaft. Er konnte dann in UK bleiben, weil ihn Schweden nicht mehr zuruecknehmen konnte und auch nicht musste. Im Iran, da sind wir uns einig, ohne dass es einer von uns beiden aussspricht, waere er umgebracht worden. Also blieb er in London, dreizehn Jahre lang, ohne Pass, also – mit einem iranischen Pass, da waere gar keiner vielleicht doch besser gewesen. Er konnte nicht reisen, die Band hat Einladungen bekommen in die USA, in die ganze Welt, aber er konnte nicht mit.

Er haelt an. Wir sind da. Ich bedanke mich aus ganzem Herzen.

Er hatte ein Poster an der Wand von The Cure, in seinem Kinderzimmer im Iran.

3 Gedanken zu „22/31 – Popcorn

  1. Scheiße Scheiße Scheiße. Meine erste Volkschulfreundin war mit ihren Eltern Anfang der 80er Jahre vor Chomeini geflohen, sie hatte eine Puppe, der man Schallplatten in den Rücken geben konnte, dann sprach sie, oder sang.

    Ich hasse diese Welt. Ich liebe die Menschen. Dass ich das Böse nicht verstehen kann, ihm auf den Grund gehen und es somit endgültig besiegen, das macht mich verrückt. Danke für Ihren Bericht.

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