Frau F. und die Loveparade

2000: im April zieht Frau F. von einer nordbayrischen Universitätsstadt nach Berlin (wir berichteten). Sie bezieht ein WG-Zimmer in einer schnuckligen Wohnung in der Argentinischen Allee, Zehlendorf. Während der Loveparade bereitet sie sich intensiv auf eine Prüfung in Organischer Chemie vor (Karteikärtchen schreiben etc.). Von irgendwo draußen dringt wumm wumm wumm aus einem geparkten Auto an ihren Schreibtisch. Daraufhin erinnert sich Frau F., daß ja heute Loveparade ist, und guckt sich das Ganze zehn Minuten auf TV Berlin an. Es langweilt sie. Dann lernt sie entweder weiter oder gibt sich der Prokrastination hin. Durch die Prüfung wird sie übrigens durchfallen.

2001:
Frau F. wohnt zusammen mit einer netten Achtzehnjährigen in einer schönen Wohnung in Schöneberg und hat doch noch ihren Schein in Organischer Chemie gemacht. Freitag abends geht sie immer aus. In den frühen Morgenstunden fährt sie über den großen Stern nach Hause. Die Straßen sind leer, die Ampel ist rot. Das Auto neben ihr, aus dem Technomusik dröhnt, fährt über die rote Ampel und gleich darauf bei einem U-Turn über eine zweite rote Ampel. Berlinern ist bekannt, daß die Ampeln am großen Stern mit fest installierten Ampelnblitzern ausgestattet sind. Den Personen in dem Auto (auswärtiges Kennzeichen) leider nicht – sie werden zweimal geblitzt. Auch viele Jahre später und mit einer gewissen Schadenfreude wird sich Frau F. an den Gesichtsausdruck des Fahrers erinnern.

2002: am Wochenende der Love Parade ist Frau F. mit drei weiteren Curefans unterwegs: am Samstag auf dem Zillo Festival in Frankfurt/Hahn, am Sonntag auf dem Woodstage Festival in Glauchau. Auf dem Rückweg nach Berlin verlangen ihre Weggefährten nach eine Rast bei einer bekannten Fast-Food-Kette. Als sie wieder auf die Autobahn fahren, überholen sie einen alten VW Bus, auf dem in großen Lettern „Loveparade“ steht. Frau F. wundert sich kurz, warum der VW-Bus erst jetzt nach Berlin fährt? Die Loveparade war doch gestern? Da fällt Frau F. auf, daß sie versehentlich die falsche Auffahrt benutzt hat: sie ist nicht nach Berlin, sondern in die Gegenrichtung unterwegs. Frau F. dankt still dem beschrifteten VW-Bus für diesen Hinweis.

2003: Frau F. geht aus, in den Lime Club in den S-Bahn-Bögen nahe dem Alexanderplatz. Der Lime Club ist ein gruftiges, gemütliches Wohnzimmer. In der Ecke sitzt ein junger, muskulöser Mann. Er trägt einen Pulli aus schwerem Strick – das ist gerade in bei den Ravern – und eine Sonnenbrille. Im Lime Club ist es dunkel und sehr warm. Frau F. stellt fest, daß es wenig erbärmlicheres gibt als einen hippen (Spät)jugendlichen, der von seiner peer group getrennt ist. Anscheinend hat sich der junge Mann im Club geirrt, in den S-Bahn-Bögen gibt es mehrere. So richtig leid tut er ihr aber nicht.

2004 – bis 2005: die Loveparade fällt aus.

2006: Frau F. und die Loveparade verbringen das Wochenende getrennt: die Loveparade in Berlin, während Frau F. bereits ein Jahr im Ruhrgebiet wohnt. Abends geht Frau F. zu einem Bloggertreffen nach Duisburg.

2007: die Loveparade verfolgt Frau F. Am Freitag arbeitet Frau F. bis 19 Uhr und hofft, nicht so sehr von den Straßensperren betroffen zu sein. Den Samstag wird Frau F., wie gewohnt, geschätzt und gewollt, in Ruhe zuhause verbringen: ungeduscht, in Schlabberklamotten und ohne Büstenhalter. Sie wird lange schlafen, ein gutes Buch lesen und sich die Loveparade zehn Minuten im Fernsehen anschauen. Dann wird es sie langweilen.

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