Ich komme spät nach Hause, nach Mitternacht. Es ist ein Mittwoch. Der Tag war hochsommerlich und die Nacht immer noch so warm, daß ich unbekleidet durch die dunkle Wohnung tapse und Balkontür und Fenster öffne, um mich ein wenig abzukühlen.
Von draußen dringen Stimmen hinein, das Summen eines Türöffners. Ich blicke aus dem Fenster und sehe ein Pärchen im Hauseingang von Nr. 205, dasselbe wie im April, da bin ich mir sicher.
Nun stehen sie wieder im Hauseingang und küssen sich… eine ganze Weile, während er mit einer Hand die Tür geöffnet hält. Dann geht sie hoch, er schaut ihr nach, ohne die Schwelle zu übertreten. Er bleibt einen kleinen Moment länger stehen als nötig, aber nicht so lange, daß es creepy wäre. Dann geht er die Straße hinunter. Die Art wie er läuft hat etwas lockeres, beschwingtes, glückliches.
Ich denke ein wenig über die Zeit nach. Was hat dieses Paar wohl in den letzten Monaten erlebt? Sie in beinahe unveränderter Pose wiederzusehen, vermittelt einen Eindruck von Beständigkeit.
Und ich? Wenn man das Ziffernblatt einer Uhr anstarrt, dann scheint sie sich kaum zu verändern. Schaut man weg, und dann wieder hin, sticht einem die Reise der Zeiger geradezu ins Auge. Alle meine Tage scheinen gleich, und doch ist es überraschend, wie viel passiert ist seit April. Der Zeit vergeht nicht wie etwas, das man in der Hand hält, während es zerfällt. Vielmehr schieben mich die Zeiger in winzigen, unaufhörlichen Schritten voran, irgendwohin.