Es ist mir nur unzureichend gelungen, davon zu erzählen: von der Erkrankung meines Vaters, seinem fortschreitendem Verfall, seinem Sterben, seinem Tod; und den Auswirkungen auf meine Familie und mich. Es war und ist sehr traurig. Jemand leiden sehen, den man liebt, ist vielleicht das schwerste überhaupt. Gelitten hat nicht nur mein Vater, sondern auch meine Mutter – bis heute und darüber hinaus.
Es gab in dieser Zeit auch gute Momente. Wenn ich meine Stärke gespürt habe, zum Beispiel. Wenn ich zurückblicke und sehe, wie gut es mir alles in allem gelungen ist, meinen Vater bis zum Ende zu begleiten. Was für eine Wahnsinns-Leistung.
Zu erkennen, dass all dies so sehr weh tut, weil ich so sehr liebe, und so sehr geliebt worden bin. Was für ein Privileg.
Wieviel aber soll ich erzählen von einer Geschichte, die nicht nur die meine ist? Was darf veröffentlicht werden über jemanden, der seine kognitiven Fähigkeiten verliert und deshalb per se kein Einverständnis geben kann? Und doch kann es auch nicht richtig sein, kann es nicht in seinem Sinne sein, Krankheit und Tod zu tabuisieren. Mir selbst hat – vor allem in der Anfangszeit, als ich nicht absehen konnte, was kommen wird – nichts geholfen, außer von Angehörigen zu hören, die ähnliches erlebt haben.
An wieviel will ich mich selbst erinnern? Ist vergessen nicht auch gütig? Oder ist es besser für mich, jetzt zu protokollieren, ehe die Erinnerungen ungenau und auf Anekdoten reduziert werden? Gleichwohl. Vieles werde ich ohnehin nie mehr vergessen, vor allem vom Tag seines Todes:
Das Licht, mit diesen schrägen Strahlen der Wintersonne, die durch das Fenster schienen. Die leise Gitarrenmusik. Die Pflegekraft, die meinte, seine Beinen seien schon „marmoriert“. Sein erster Atemaussetzer, als ich alleine mit ihm war, während meine Mutter gerade mehr Morphium von der Apotheke abholte. Eine andere Pflegekraft, die sich zum Schichtende von ihm verabschiedete, mich umarmte und weinte. Wie wir dann zu dritt an seinem Bett wachten, ich links, meine Mutter rechts, sein Bruder am Fußende des Bettes, und er dann aufhörte zu atmen. Einfach so. Es kann also so einfach sein, mit dem Tod, dachte ich. Und wie ich einen Moment lang einfach nur sehr froh für ihn war.
Das Licht, sich verändernd, wie es Abend wurde und dann Nacht, während ich Totenwache hielt an seiner Seite. Meine Schwester, die zu spät kam. Die Mitarbeiter des Beerdigungsinstituts, die sehr freundlich und mitfühlend waren, mich behandelt haben wie ein rohes Ei, und meinen Vater dann auf einer Trage in einem burgunderfarbenen Leichensack abtransportiert haben. Wie sie ihn an mir vorbeigerollt haben, und ein Gefühl in mir war, als wäre meine Seele ein Leintuch, dass in Streifen gerissen wird. Wie ich meinen Kopf gesenkt habe, aus Respekt vor ihm und seinem Leben.
Am besten erzähle ich davon in Bruchstücken und Fragmenten, wie es schon immer meine Art gewesen ist.
@novemberregen hatte Recht. Den ganzen Nachmittag schon folge ich Ihren Spuren. Danke, dass Sie diese sehr persönliche, sehr einzigartige Erfahrung teilen. Ich wünschte, ich hätte meinen Vater vor 29 Jahren begleiten können.
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Danke fürs Teilhabenlassen. Ich fürchte mich so sehr vor der Zeit, in der ich meine Eltern (jetzt fit und gesund) gehenlassen muss.