Wie viel Berührung es in meinem Alltag gibt, wird mir erst jetzt bewusst. Meine Mutter umarme ich schon eine ganze Weile nicht mehr. Wir versuchen, zwei Meter Abstand zu halten, beim Sitzen klappt das ganz gut, sie auf dem Sofa, ich im Sessel, dazwischen ihr Couchtisch aus Kirschholz. Beim Spazierengehen ist es schwieriger, da driften wir doch immer wieder zueinander.
Ich videochatte mit Francine, mit Ninette, mit meiner syrischen Freundin, mit Novemberregen. Es tröstet darüber hinweg, dass wir uns nicht sehen, aber was fehlt, sind die Umarmungen, oder das heiser singen beim Karaoke mit Cupidissimo, oder eine Reise nach München.
Am Freitag, als ich abends zwei Monitore in den Kofferraum meines Autos räume, und der sGF sich von mir verabschiedet, wissend, dass ich eine Weile nicht zurückkehren kann, da salutiert er mir, die Hand zum imaginären Rand des Hutes erhoben, und ich ihm. Ein paar Meter Distanz zwischen uns, und ein stürmischer Wind.
Die besten Umarmungen gibt der GF, er scheint eine gute Körpergröße zu haben, lange Arme, und er drückt immer genau richtig fest. Der sGF umarmt betont kumpelhaft, bloß keine Sinnlichkeit. Wir drei hätten einander sehr umarmt, nach dieser Woche.
Ich schaue in den Spiegel, am Freitag, und sehe eine Falte auf meiner Stirn, die vorher nicht dagewesen ist. Ich rubble ein bisschen dran rum, unter dem harten Neonlicht der Damentoilette. Die Bankentürme um uns herum sind schon dunkel.
Große Wehmut, als ich gehe. Mein Schreibtisch, nackt und weiß und blank, ich nehme fast alles mit, die Textmarker, die Zahnseide, die Handcreme, die Sanduhr, den Fidget Spinner. Ich weiß nicht genau, woher diese Melancholie kommt, diese Trauer, es ist ja keine Trennung, sondern nur ein Übergang in ein anderes Arbeiten.
Es sind die Übergänge, die uns Menschen am schwersten fallen.
Immer wieder muss ich an meinen Vater denken. Survivors Guilt und großer Dankbarkeit, weil die paar Monate, die er am Ende seines Lebens, schon schwer von der Demenz gezeichnet, im Pflegeheim verbracht hat, durch seinen Tod beendet wurden. Fünf Jahre sind das jetzt schon. Wenn ich ihn jetzt nicht mehr besuchen könnte, wenn ich fürchten müsste, er würde sich anstecken, wenn er dann nicht behandelt werden würde. Was dann. Es gibt Töchter und Söhne, die erleben jetzt genau das.
Am Sonntag baue ich mein Home Office auf, und fange an zu arbeiten, und höre damit gar nicht mehr auf. Ich habe mir vorgenommen, jeden Morgen zu duschen, mich gepflegt anzuziehen, mir einen Tagesplan zu machen, feste Pausenzeiten einzuhalten, und mit einem kleinen Ritual den Feierabend einzuleiten. Es ist so gut wie alles hinfällig, denn ich werde 25mal am Tag angerufen, schreibe 60 Emails, bin in vier Videokonferenzen, und bin abends müde, müde, müde. Ich hatte mir dieses Home Office irgendwie entspannter vorgestellt.
Aber es sieht so aus, als ob wir es schaffen, und nicht untergehen.
Ich bin so eine Tochter und breche nach jedem Telefonat mit meiner Mutter zusammen. Und doch bin ich unendlich froh, dass meine Mutter Mitte Februar endlich den Heimplatz bekommen hat – zu Hause hätten wir die Pflege nicht leisten können. Vielen Dank für Ihre Texte.
Ja, Sie werden es schaffen.
Anrührend, ein bisschen traurig (mitfühlend) machend, was Sie schreiben.