Etwas leichtes soll ich schreiben. Es sind schwere Zeiten, schwere Gedanken manchmal, und ein schwerer Text in mir drin, über letzte Atemzüge und sowas. Ein Text für später, wenn wir dies hier heil überstanden haben, und ein solcher Text sich nicht mit Grauen läse, sondern nur mit wohligem Gruseln, das schnell verschwindet.
Etwas leichtes also. Ich habe auf Twitter gefragt, und Twitter möchte wissen: gibt es wirklich eine Dienstagshose? Was machst du eigentlich den ganzen Tag (im Home Office)? Was macht das Home Office mit dir? Scheib doch mal was über Novemberregen.
Frau N. war heute leicht verspätet aufgrund diverser Technikhürden, die sie mir eloquent berichtet hat, und die sie alle überwinden konnte. Außerdem hatte sie bis wenige Minuten vor unserer virtuellen Verabredung das Badezimmer grundgereinigt, parallel Backofengemüse zubereitet, die Spülmaschine und die Waschmaschine laufen ebenfalls, das Hummus hat nicht geschmeckt und ihre Haare sitzen nicht. Frau N. hat heute etwa dreimal so viel gemacht wie ich, aber daran bin ich schon gewohnt und ich kann es einigermaßen aushalten.
Neulich habe ich mich an folgendes erinnert: vor ein paar Monaten waren wir nach der Arbeit miteinander verabredet, ich vermute, wir wollten gemeinsam zum Karaoke, vielleicht aber auch ein Steak essen oder so. Unsere jeweiligen Büros liegen nur einen Block voneinander entfernt, und da wir beide zu Pünktlichkeit neigen und recht gut planen können, gelingt es uns oft, uns auf die Minute genau zu treffen. Wir haben zwei oder drei genau definierte Treffpunkte, und an diesem Abend waren wir „an der Ausfahrt bei dir“ verabredet, d.h. ich fahre aus der Tiefgarage von meinem Bürohaus heraus und Frau N. steigt dann da in mein Auto ein. Nur, dass sie nicht da war, mir aber hektisch schrieb, sie würde sich ein paar Minuten verspäten. Ich stieg aus, lehnte mich halbwegs cool an mein Auto, und sah nach ein paar Minuten ihren goldenen Haarschopf auftauchen. Sie ging schnellen Schrittes, trug ein hervorragendes Business-Outfit, und sprach leicht verärgert auf Spanisch in ihr Handy. Es hörte sich sogar so an, als ob sie in sehr fließendem Spanisch jemanden am Telefon zurecht wies. Dann rief sie sehr bestimmt „Adios!!“ in ihr Handy, stieg mit einer einzigen fließenden Bewegung in mein Auto, und erklärte mir auf meine verwunderte Frage, dass sie mit ihrem Kollegen aus der Finanzabteilung in den USA immer auf spanisch telefonieren würde, und der hätte sie jetzt verspätet angerufen und sich nicht an den Termin gehalten, das ginge ja wohl gar nicht.
Ich denke da ganz gerne dran, an dieses Bild, und an die Kraft, Vitalität und Dynamik von Frau N. Hut ab.
Und jetzt: die Dienstagshose. Die Frage war, genauer gesagt, ob ich wirklich für jeden Wochentag ein anderes Business-Outfit habe.
Es ist so: ich trage im Büro gerne einfarbige Oberteile, in der Regel bestehend aus einem T-Shirt und einer Jacke drüber. Manchmal auch eine Bluse. Von diesen Oberteilen habe ich eine größere Anzahl identischer Exemplare, ich bin nämlich vor ein paar Jahren auf den Trick gekommen, wenn mir etwas gefällt, steht und passt, gleich mehrere davon zu kaufen. Bei den Hosen passiert dafür etwas mehr, gerne Muster und Karo, auch mal kräftige Farben etc. Mir gefällt, dass ich, wenn ich sitze, immer gleich aussehe, aber wenn ich stehe, sieht man, dass ich nicht jeden Tag das gleiche anhabe. Ein Business-Outfit soll ja auch etwas von einer Uniform haben, die Männer machen das ja so mit ihren Anzügen. (Vielleicht füge ich hier später noch den Link zu der sensationellen Uniform-Story ein, die Frau N. mal aufgeschrieben hat. Ja!)
Ich überlege mir morgens, was ich für Termine habe, und wähle danach meine Hose bzw. mein Outfit aus. Montags mag ich es auf jeden Fall ein bisschen strenger und förmlicher, mittwochs wird es meistens ein bisschen weicher, weil ich merke, dass ich niemandem mehr etwas beweisen muss. Donnerstags ziehe ich manchmal, aber nicht immer, dasselbe an wie Montags. Und für Dienstags gibt es die Dienstagshose. Freitags ist natürlich business casual, also Jeans oder auch mal eine Chinohose. Den Unterschied zwischen Formal Business und Business Casual erkennt man übrigens gut mit dem Pantoffeltest: wenn man zu einem Formal Business Outfit (noch) Hausschuhe anhat, und es total lächerlich aussieht, dann ist es genau richtig. Bei Business Casual ist es nur unangenehm. Frau N. sagt zu Business Casual gerne: wie früher zu Oma zum Sonntagskaffee.
Das richtige Outfit anzuhaben ist eine gute Sache: es festigt mich in der Rolle, in der ich gerade sein will (und ich habe unterschiedliche Rollen im Büro), und es setzt auch ein Signal nach außen: beim Treffen mit Dritten gibt es ihnen im Idealfall die Sicherheit, dass ich die Rolle ausfülle, die sie mir zuschreiben.
Und im Home Office? Ich dusche morgens, mache mir meine Föhnfrisur, trage ähnliche Oberteile wie sonst auch, bei den Hosen eher wie Freitags. Keine Socken – damit meine ich: keine Kniestrümpfe wie sonst, sondern Sneakersocken und dazu – und das ist sehr schön: Hausschuhe. Sieht manchmal bisschen unangenehm aus, fühlt sich aber gut an.
Was macht das Home Office mit mir? Bislang noch nicht so viel. Glücklicherweise bin ich halbwegs planmäßig ins Home Office gegangen, ein paar unserer Leute haben einfach die Anweisung bekommen, dass sie nicht mehr zurückkommen können, jemand bringt ihnen einen Laptop vorbei. Ich konnte den Prozess aber für mich steuern und habe am letzten Tag im Büro fast alles mitgenommen, was ich so brauche: zwei Monitore, Keyboard, Maus, Textmarker, Schnickschnack, sogar ein paar Unterlagen. Das habe ich dann zuhause schön aufgebaut, ich bin privilegiert und habe genügend Platz und eine schöne Aussicht. Da das Arbeitspensum in den Tagen vor dem Home Office extrem hoch war und in den Tagen danach weiterhin sehr, sehr hoch, liefen die Dinge eigentlich nahtlos weiter. Ich bin regelmäßig per Telefon und vor allem Videokonferenz mit allen wichtigen Personen in Kontakt. Die Ausrüstung ist gut, ich habe sogar einen Tripod, mal privat angeschafft für den Lesezirkel. In der Theorie habe ich zwei Stunden gewonnen, weil ich nicht mehr pendele, in der Praxis wird dieser Zeitgewinn gefressen durch mehr Arbeit, mehr Haushalt und mehr Erschöpfung.
Was mache ich eigentlich den ganzen Tag? Es ist der Treppenwitz meines Lebens, dass ich mehr als eine Dekade in ein naturwissenschaftliches Studium mit anschließender Promotion investiert habe, weil ich eine Expertin sein wollte. Jetzt arbeite ich in einem völlig fachfremden Gebiet, von dem ich nicht so viel Ahnung habe und öfter auch mal Sachen googeln muss. Ich habe eine Stabsstelle, es geht also darum, die Organisation und die Menschen darin am Laufen zu halten. Ich scheine gut darin zu sein, denn ich spüre, dass ich geschätzt werde, und ich werde auch angenehm vergütet. Aber was mache ich eigentlich den ganzen Tag?? So eine richtige Antwort darauf habe ich nicht, es ist ja irgendwie auch jeden Tag anders. Mein Expertenwissen kann ich natürlich so gut wie nicht anwenden. Aber ich kann mich in fast alles einlesen, ich kann komplexe Sachverhalte gut zusammenfassen, ich kann gut kommunizieren und organisieren. Und ich kann gut Fragen stellen, das ist etwas, das ich neu gelernt habe in den letzten Jahren. Ich kann Fragen stellen, ohne eine bestimmte Antwort zu erwarten. Fragen, deren Antworten weder richtig noch falsch sind. Fragen, bei denen sich – wenn es gelingt – der Blick meines gegenüber nach innen richtet, und sie fangen an, neu zu denken, neu an eine Zukunft, eine Lösung oder in eine Richtung zu denken, die sie vor dieser Frage nicht kannten. Was da passiert, an genau dieser Stelle, ist ein Wunder, dem ich niemals müde werden werde, soviel steht fest.
ich stelle fest, dass ich meinen Office-Outfits (Jeans, saubere Schuhe und ebenso sauberes Oberhemd) nicht ausreichend Gedanken beimesse, das ist mir angesichts der hier gelesen Bemühungen schon etwas peinlich. Allerdings bekleide ich keine Stabstelle, sondern bin nur der IT-Fuzzi der weitestgehend seine ‚angespannte‘ Ruh hat, sofern alles läuft und keiner Scheisse baut.
Das mit dem Fragen stellen ist gut. Ich mache das auch, wenn ich was bewegen will. Ich nenne das Pflanzen. Ich pflanze mit Fragen manchmal völlig abseitige Fakten in Leute. Irgendwann geht die Saat auf.