Ins Büro gefahren, am frühen Nachmittag. Ich kenne die Strecke genau, ich kenne jeden Meter, jede Erhebung, jedes Haus, jeden Autobahnabschnitt. Aber das Licht ist mir ganz fremd, alles fühlt sich vertraut und geichzeitig fremd an, wie in einem Traum. Ich versuche, mich zu erinnern, ob ich überhaupt einmal zu dieser Zeit in diese Richtung gefahren bin. Vielleicht im Sommer auf dem Weg in den Badesee, an einem Samstag?
Ich suche nach einem Vergleich, um die Verkehrsdichte zu beschreiben. Es ist nicht wie der Verkehr an einem Samstagnachmittag. Es ist entfernt wie der Verkehr in den Sommerferien, aber so richtig weiß ich es nicht. In den acht- oder neunhundertmal, die ich diese Strecke gefahren bin, war ich noch nie an einem Nachmittag in Richtung des Büros unterwegs.
Am Autobahnkreuz überholt mich rechts ein Sportwagen, drei weitere folgen, sie fahren ein Rennen. Die Stadt dann ist wirklich leer, ein Durchrutschen auf der grünen Welle, hier und da ein paar Fahrrandfahrer und vereinzelt Menschen mit Maske.
Ich gehe natürlich nicht ins Büro. Ich warte unten in der Lobby. Ich selbst habe die Direktive herausgegeben, dass, wer ins Home Office geschickt wurde, die Bürofläche nicht mehr betreten darf, um die Ansteckungsgefahr gering zu halten („aus Seuchenschutzgründen“). Wir wissen es nicht, ob es hilft, aber wir machen es trotzdem.
Ich sitze in der Lobby und synchronsiere Daten, meine Kollegin kommt runter und bringt mir einen Datenträger. Es ist ein sehr herzliches Wiedersehen, und tratschen erstmal, was hast du Ostern gemacht, wie geht es deinem Sohn, wie geht es deiner Mutter. Wir halten mehrere Meter Sicherheitsabstand. Dann kommt mein Chef vorbei, auf dem Weg zu seinem späten Mittagessen, der Delikatessenladen hat noch offen und man kann sich etwas abholen. Großes Hallo. Als nächstes eine junge Mitarbeiterin, die einen Laptop zurückgibt, mit den Fahrrad gekommen ist, Farbe im Gesicht, bisschen verschwitzt und sehr lebendig. Dann ein Vertriebler, der Dokumente abgeben will, er leidet sehr darunter, dass die Friseure geschlossen hat und trägt mittlerweile eine Art Haarband wie ein Fußballer. Als nächstes eine Kollegin, die zum Rauchen geht. Schließlich noch zwei andere Kolleginnen, auch auf dem Weg in die Raucherpause, eine hat so eine glockenhelle Stimme, das habe ich vermisst.
Alle freuen sich, mich zu sehen, und wir unterhalten uns. Wir sind sehr darauf bedacht, den Abstand einzuhalten, und sind uns doch so nah. Einmal merke ich, wie mich meine Füße zwei kleine Schritte nach vorne tragen, ganz unbewusst einer klaren Anziehung folgend.
Ich mag das Büro, ich mag diese Mischung aus Pausenhof, Gang und Tribe, eine Zugehörigkeit, in der ich doch überraschend frei bin und von der ich nicht erwartet hätte, sie zu finden.
Für mich sind es 25 Tage, für andere mehr, die wir zerstreut sind. Ich weiß es eigentlich, aber ich hatte es schon lange nicht mehr gespürt, dass nicht ich nur das Büro mag, sondern auch das Büro mich, und die Menschen darin.