Frau Novemberregen sieht heute sehr gut aus, in einem schwarzen Shirt mit feinem geometrischen Muster, sehr bürotauglich, und das Licht gibt ihr einen sanften Glow. Die Geräusche um sie herum per Videokonferenz sind immer etwas unangenehm: die Waschmaschine quietscht und pfeift („gleich fertig!“, sagt sie, aber dann stimmt es nicht), ihr Timer piept (diesmal Apfelkuchen, letztes Mal gratinierte rote Beete), und hin und wieder tippt sie sehr laut, das hört sich an wie Gewehrschüsse oder Hagel, schnell und heftig.
Fast anderthalb Stunden haben wir nur geredet, über manche Themen kann ich mit niemanden so gut sprechen wie mit ihr, und alles, was sie erzählt, interessiert mich.
Meine Haare hängen heute schlaff herab, am Anfang unseres Gesprächs waren sie sogar noch ein bisschen nass, weil ich mit meiner Mutter im Regen spazieren war, ein ganz leichter Sommerregen, fast schon eine Art von feuchtem Nebel, schön war das. Schade, dass ich so wenig über meine Mutter bloggen kann, und Frau N. fast nichts über ihre Tochter.
Meine Haare hängen heute nicht nur wegen des Regens herab. Ich habe geduscht, aber vergessen, mir in der Dusche die Haare zu schamponieren. Ich wünschte, ich könnte sagen, das wäre mir seit Dekaden nicht mehr passiert, tatsächlich ist das letzte Mal erst ein paar Jahre her. Ich war heute morgen sehr durcheinander, weil ich einen Fehler auf der Arbeit gemacht habe. Über den Fehler kann ich leider aus Vertraulichkeitsgründen nichts berichten. Frau N. findet es nicht so schlimm, meine Mutter auch nicht, mein Chef so mittel und der Geschäftsführer weiss noch nichts davon. Man wird es heilen können, keine Frage, aber unangenehm ist es mir trotzdem. Ich weiß, dass es normal ist, Fehler zu machen, ich weiß, dass ich nicht besonders häufig Fehler mache, und ich weiß, dass es nicht gut ist, den Anspruch an sich zu haben, keine Fehler zu machen.
Als mich mein Chef heute morgen angerufen hat, und klar wurde, ich habe einen Fehler gemacht, da ist es mir so richtig durch Mark und Bein gegangen. Flattern in der Magengrube, Puls, schwitzige Handflächen, wackelige Stimme. Dann bin ich duschen gegangen (Home Office), habe mir die Haare nass gemacht, aber nicht schamponiert, mich gewaschen, mit Seife, mich abgetrocknet und angezogen. Die Ursache des Fehlers gesucht, Lösungsmöglichkeiten überlegt. Weitergemacht.
Frau N, hat heute vergessen, Backpulver in den Teig vom Kuchen zu geben. Und das als Bäckerstochter! Es wird trotzdem schmecken, sagt sie, vielleicht sogar besser, ein bisschen wie Apple Crumble. Not all mistakes are happy mistakes, but some are.
Kate Bush hat ein Lied dazu geschrieben: an architect‘s dream.
Das komische ist: wenn es vorbei ist, erinnere ich mich recht gerne an meine Fehler, und ich erinnere auch gerne meine Mutter daran, wenn sie sich Sorgen macht, dass sie vergesslich wird. Weißt du noch, wie ich den Pfandbon im Automat habe stecken lassen, sage ich dann. Oder wie ich meinen roten Geldbeutel auf dem Autodach in der Tiefgarage habe liegen lassen. Paar Stunden später habe ich es gemerkt, alles war noch da, hundert Euro oder mehr, Bankkarte, Kreditkarte, Führerschein, Fahrzeugschein.
Der schmerzhafteste Fehler auf meiner jetzigen Arbeit war ein von mir erstelltes und passwortgeschütztes Dokument, für das ich ein paar Monate später das Passwort vergessen hatte. Paar Nächte nicht geschlafen, hunderte Passwörter durchprobiert. Für einen nicht unerheblichen Betrag ein zwielichtiges Programm gekauft, das angeblich Passwörter solcher Dokumente knacken kann. Konnte es nicht. Auch gut zu wissen, wie sicher Verschlüsselung sein kann. Am Ende das Dokument neu geschrieben, aus dem Gedächtnis heraus.
Ich bin seitdem etwas ordentlicher.
Mein lustigster Fehler – also rückblickend – ist schon fast zehn Jahre her, ich arbeitete noch in einem ganz anderen Job und musste gelegentlich Emails „on behalf of“ für meinen Chef versenden. Eine solche Email sollte an einen größeren Verteilerkreis innerhalb der Firma in Großbritannien und in den USA gehen, alles hohe Tiere, natürlich vertraulicher Inhalt. Mein Chef hatte den Entwurf der Email überarbeitet, es konnte jetzt verschickt werden, und er war an diesem Tag nicht da. Wahrscheinlich nach Diktat verreist oder so. Ich schickte die Email also raus – Adressaten natürlich erst ganz zum Schluß eingesetzt – ging mir einen Kaffee holen, chilte ein bisschen und stelle dann fest, dass einer der Adressaten falsch war. Ich hatte aus dem Verzeichnis Cox, Derek herausgesucht, die Email sollte aber an Cox, Michael gehen. Message recall ist mein Freund, und zur Sicherheit – nachdem ich aufgehört hatte, zu hyperventilieren – habe ich auch IT Support in den USA angerufen. Dort wurde dann (6 Uhr morgens Ortszeit) sofort eine Task Force gebildet. Cox, Derek, hatte erfreulicherweise seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen, also: gar nicht, es war ein neuer Mitarbeiter. Die Email konnte restlos aus seiner Inbox gelöscht werden. Zur Sicherheit wurden auch die Magenttapes, auf denen die Sicherungen der Emails gemacht werden, gelöscht. Insgesamt ein eher größeres Unterfangen. Mein Chef hat dann, als ich gebeichtet hatte, seine Brille abgenommen, auf den Schreibtisch geknallt, den Kopf in die Hände gestützt und wurde so rot, dass ich dachte, gleich explodiert er. Er hat mich aber nur mit müder Stimme gefragt, ob ich verrückt sei, was ich verneinte. Ich bilde mir ein, dass ihn ein kleines bisschen beeindruckt hat, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon einiges an Lösungen in die Wege geleitet hatte, aber wer weiss schon, was er so alles dachte.
Der Kuchen von Frau N. ist fertig, sie hat ihn aber noch nicht probiert. Muss erst auskühlen und sich setzen, sagt sie. Ich würde gerne ein Stück probieren, noch warm und mit Schlagsahne, das wäre schön.
H. hat im Laufe seines Lebens viele „Fehler“ gemacht, auch als Chef. Allerdings war er nicht der Privatwirtschaft ausgeliefert.
Wie ist das, wenn Chefs Fehler machen?
Wer knallt dann die Brille auf den Schreibtisch?