Guten Tag gehabt heute. Arbeit macht mir gerade Spaß. Ich mag meine Arbeit ja generell gerne, und die Arbeit mag mich auch zurück, glaube ich, aber oft genug ist darin auch eine Schwere eingeflochten, etwas mühevolles, zähes, unbewegliches. Und oft auch schlicht zu viel. Gerade aber geht es ganz gut, kitzelt mich intellektuell ordentlich, bewegt sich und geht voran. Vielleicht bleibt es noch ein paar Tage so.
Frau Novemberregen sieht heute sehr seriös aus, trägt eine gestreifte Bluse und ein Strickjäckchen drüber, fast ein bisschen hanseatisch. Sie stand im Stau, ist aber natürlich trotzdem pünktlich, aber hungrig, bestellt nebenbei Pizza. Wir sprechen aus naheliegenden Gründen über Essen. Ich arbeite ja diese Woche im Büro in der Stadt und nicht im Büro in meinem Wohnzimmer. Gestern habe ich mich zum Essen einladen lassen – so kann man sich bei mir am besten für geleistete Dienste revanchieren – und wurde mit griechischer Vorspeise, Hauptspeise und sensationell leckerer Nachspeise verwöhnt, Galaktoboureko und Schokosouffle mit flüssigem Kern. Nice little restaurants where they know your name. Heute habe ich bei meinem Lieblings-Thai bestellt, Frühlingsrollen und Tom Kha Gai, da blieb sogar noch etwas übrig, das ich gerade als Abendessen verputzt habe.
Frau N. bekommt die Pizza geliefert, beisst rein und zählt dann die Katzen durch. Alle da. Herr N. hat auch eine Pizza bekommen, mit extra Käse, das ist wichtig.
Auf dem Weg zur Arbeit habe ich mir einen Vortrag von Esther Perel angehört, einer belgischen Paartherapeutin, die einen schönen Podcast hat: How’s work? Esther Perel postuliert, dass wir alle ein Relationship Diary mit auf die Arbeit nehmen, und in den zwischenmenschlichen Interaktionen im Büro dazu neigen, das auszuagieren, was wir an Beziehungsmustern in unserer Kindheit und Jugend erlebt haben. Büro ist Familienaufstellung.
Ich habe ihren Podcast sehr viel am Anfang dieses Jahres gehört, als ich einen Konflikt mit einer Mitarbeiterin hatte. Ich habe auch mit einem externen Coach an diesem Thema gearbeitet, weil es mich sehr belastet hat. Der Coach hat, wie das oft in solchen Sessions ist, eine Reihe von guten Sätzen gesagt, Sätze, die bei mir haften lassen. Einer davon war: die wertvollsten Lektionen erhalten wir von Menschen, die uns diametral entgegengesetzt sind. Die Mitarbeiterin ist tatsächlich ein starkes Gegenteil von mir, bis hin zum Äußeren. Klick hat es bei mir aber erst durch Esther Perel gemacht: die Mitarbeiterin hat mich sehr an meine Schwester erinnert, und daher war der Konflikt für mich nicht ein normaler Konflikt, wie er zur Berufstätigkeit dazu gehört, sondern so stark emotional aufgeladen, dass es mich über die Maßen belastet hat.
Der Mitarbeiterin habe ich gekündigt, und mit meiner Schwester rede ich nur etwa einmal pro Jahr small talk, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
Ein Konzept von Esther Perel, das in mir Widerhall gefunden hat, ist the power of the helpless (schön aufgedröselt in dieser Episode). Wenn man jemanden, der in einer verfahrenen Situation ist, immer wieder Vorschläge zur Veränderung unterbreitet, aber diese Vorschläge immer wieder abgelehnt werden, dann kommt es zu einer Verschiebung des Machtgefüges. Die hilflose Person ist in einer Position der Macht, wo sie wie eine Königin sagen kann: das nicht, und jenes nicht, und das schmeckt mir auch nicht, und dieses will ich auch nicht, und alles ist blöd, und du bist es auch. Und plötzlich fühlt man sich tatsächlich blöd, und am Ende genauso hilflos wie die hilflose Person. Die hilflose Person hat erfolgreich ihre Gefühle auf einen selbst übertragen. Ich neige dazu, diese fremden Gefühle sehr empathisch in mir zu fühlen, merke dann aber irgendwann, dass es nicht meine eigenen sind. Dann werde ich wütend, und hart, und erbarmunglos.
Mit Frau N. noch ein bisschen über Mitarbeiterführung gesprochen. Darin übe ich mich ja gerade, als Bürgermeisterin von Gurkfeld. Ich wünsche mir sehr, ein paar alte Strukturen aufzubrechen, Potentiale zu heben und Leistung zu bekommen, wie sie meinen Ansprüchen genügt. Andere durch mein Beispiel zu inspirieren. Klingt bescheuert, ist aber so.
Im Moment sieht es eher so aus, als ob meine Bemühungen nicht erfolgreich sind. Das ist das tückische an Beziehungen: man kann sich nie sicher sein, dass sie gelingen werden. Es gibt keine Proportionalität von Aufwand und Ergebnis. Vielleicht runter vom Gas, Kupplung kommen lassen?
Noch so ein Satz, der bei mir hängen geblieben ist:
You set boundaries, not because you want to end the relationship, but because you want it to continue.
Ist aber nicht von einer Psychologin, sondern von TikTok.
So schön und so wahr. Dass sich alles auf die eigenen Kindheitserlebnisse beziehen lässt, scheint gerade ein Trend zu sein?
the power of the helpless kenne ich als drama-dreieck aus coachings. ich hatte eine mitarbeiterin, die kündigen aber nicht kündigen wollte. und dann letztlich gekündigt hat und sich dann auf die neuausschreibung ihrer stelle beworben hat. das haben wir dann abwenden können. hat aber extrem viel arbeit und nerven gekostet und dann noch mal viel arbeit um das umstehende team wieder auf die spur zu kriegen. wenn die menschen doch alle so wären, wie ich – es wäre so vieles so viel einfacher (wahrscheinlich: not.)
bis heute dachte ich, sie wären ein einzelkind und ihre familie würde nur noch aus ihnen und ihrer mutter bestehen. eine schwester im abseits überrascht mich sehr.
entschuldigen sie bitte, liebe frau fragmente! natürlich schrieben sie früher auch schon über ihre schwester. beim zurückblättern fand ich die blogeinträge. schlicht vergessen hatte ich die schwester, obwohl ich von anfang an mitlese. sie hat in ihrem leben keine relevanz (mehr) und wichtigeres verwischte die spuren in meinem gedächtnis.