Seit einigen Wochen Probleme mit der Kanalisation, mal mehr, mal weniger. Erst stand das Wasser vor dem Haus, dann immer wieder in einem Kellerraum. Dort verläuft ungefähr auf Brusthöhe ein Abwasserrohr, ziemlich dick, eher neu, in das nachträglich ein kleiner Abfluss eingefügt wurde. Dies ist die Schwachstelle, dort tropft es raus, dringt manchmal mit Kraft nach draußen. Dann wieder ist der Kanal ganz leer.
Ich habe viel dazugelernt in letzter Zeit. Welcher Abfluß im Haus in welches Rohr mündet. Mit welcher Technik sich die Wasserlache am besten aufwischen lässt. Wieviel Wasser die einzelnen Wasseranschlüsse produzieren, wie es aussieht und wie es sich anhört. Ich lag mit Francine auf dem Bauch im Hof und habe in den Gully geguckt. Ich habe Fotos und Videos gemacht, ich habe mit der Vorbesitzerin gemailt. Seltsame Männer kamen, haben ihre Kamera in alle Öffnungen gesteckt, nichts dokumentiert und mehrere Hundert Euro in Rechnung gestellt. Nachbarn haben sich interessiert, Matthias von der Kommunalen Abwasserwirtschaft kam vorbei.
Im Stillen interessiere ich mich ein wenig für die Kanalisation. Als Kind habe ich einmal einen Animationsfilm gesehen, der Kanalligator. Es gibt davon kaum Spuren im Netz, dieses Buchcover allerhöchstens, aber es war ein sehr künstlerischer Film, keinen oder kaum Dialoge, ich bin mir nicht sicher, ob es ein gutes Ende hatte, aber es hatte etwas andersweltliches.
Seitdem mag ich die Kanalisation, so wie ich auch den Regen mag. Tropfen, die sich zu einem Rinnsal vereinigen, ein kleiner Strom, der irgendwo hinfließt, zielstrebig. Hinunter. Und dann verschwindet, in dieser Anderswelt aus Gullideckeln und Staßenabläufen, wo sich Bäche und Flüsse formen, vereinigen zu großen Strömen, auf denen Boote fahren, Krokodile schwimmen, und Dinge passieren, von denen wir hier oben keine Ahnung haben. Es ist ein Mythos, dass eine andere Welt in dieser existiert, aber sie erscheint mir manchmal doch zum greifen nah, wenn es regnet, oder ich falsch abbiege, in der Dämmerung, mich wie ein gerade so geduldeter Gast fühle, der hier nicht hinpasst, und doch voller Staunen bin – einen Moment nur, ehe ich zurückkehre.
In der harten Welt des E. coli-haltigen Abwassers gibt es wenig, was mir so viel Druck macht. Ein Abwasserproblem zwingt zum unbedingten und sofortigen Handeln. Wie werden demütige Bittstellerinnen bei Kanalsanierungsunternehmen, Tiefbauern, und den Stadtwerken. Wir diskutieren, ob wir den Hof aufreißen müssen. Ich führe Telefonate, die ich sonst unendlich aufschieben würde, verschiebe Termine, die sonst unantastbar wären, fertige Skizzen an, liege mit Taschenlampe auf dem Boden und schaue in seltsame Öffnungen.
Ich hasse es, diese Art von Druck zu haben. Ich bin müde, immer eine Erwachsene sein zu müssen, unangenehmes tun, mich zusammenreißen, freundlich bleiben. Nur weil ich es tragen kann, heißt es nicht, dass es nicht schwer ist.
Es ist eine große Gnade, dass ich auch einen zarten Zauber in all dem sehen kann.
Ich wünsche mehr Zauber und weniger tragen müssen! Immerzu erwachsen sein zu müssen, ist tatsächlich unanständig anstrengend mitunter.
Begleitlektüre: „Sewer, Gas and Electric“ von Matt Ruff.
(Das ist ja ein Albtraum! Ich drücke Daumen für eine schnelle Lösung.)
Ich hoffe, das Problem ließ sich lösen, so dass Sie unbesorgt in den Urlaub fahren konnten.
Wenn es wieder möglich ist, könnte Ihnen eventuell eine Führung durch das Schwemmklärwerk Frankfurt-Niederrad gefallen. Und in Wiesbaden kann man ebenfalls in die historische Kanalisation absteigen (Salzbachkanal).
Während der „Tage der Industriekultur“ gibt es am 24. August 2021 von 15 bis 17 Uhr eine kostenfreie Führung durch das historische Klärwerk Niederrad und das von heute. Anmeldung erforderlich:
https://www.krfrm.de/projekte/route-der-industriekultur/onlineansicht-tage-der-industriekultur-2021/frankfurts-untergrund-die-klaeranlage-niederrad-1#events