eine Ostergeschichte

Am Anfang ist alles rund. Die Welt ist ein Ei. In dieser Welt: ein Ei. Dann bilden sich Richtungen: oben und unten, hinten und vorne. Weil es Richtungen gibt, können sich Segmente formen, und aus den Segmenten Organe, Haut, ein Kopf. Aus dem Ei schlüpft eine Larve. Die Larve wühlt sich durch das feuchte, warme Futter und frißt, scheidet aus, wächst. Die Welt ist weich und ohne harte Kanten, die Larve ein elastischer, formloser Sack in süßem, halb vergorenen Brei.
Lange Zeit bleibt alles gleich, nur die Larve wird größer und größer, bis plötzlich alles anders ist: sie verläßt das Futter und klettert nach oben, soweit es geht, bis sie fast auszutrocknen droht. Ich würde gerne verstehen, woher die Larve weiß, daß es Zeit ist zu gehen. Irgendetwas ändert sich in ihr, obwohl alles gleich aussieht, gleich zu sein scheint. Es treibt sie hinaus, in die Gefahr und Schutzlosigkeit. Ausgerechnet dort baut sie sich einen Kokon aus ihrer eigenen Spucke, und den inneren Veränderungen folgen äußere. Sie löst sich auf, bricht und reißt und wächst: schmerzhaft, glaube ich, so wie Wachstum immer mit Schmerzen verbunden ist.
Eine Zeitlang ist sie nur Zwischenform und baut sich neu zusammen: Kopf und Brust, Beine und Hinterleib. Die Larve gibt es nicht mehr, sie stirbt, und etwas anderes beginnt in ihr: eine Auferstehung, und wenn es fertig ist, dann bricht es unaufhaltsam aus dem Kokon nach draußen. Fühler und Facettenaugen erkunden die Welt. Sie ist voller Luft und Weite. Langsam entfaltet das Insekt seine Flügel, gerüstet für diese Welt mit Schnelligkeit und einem Exoskellet. Und dann fliegt es los.

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