Erfahren, dass eine Abteilung geschlossen wird, zum Glück nicht in Deutschland, aber mit ordentlich Stellenabbau. Ein ungewöhnlicher Schritt für die Organisation, für die ich arbeite, aber kein ganz überraschender. Wenn man sein Ohr an die Schienen hielt, konnte man den Zug kommen hören, vor ein paar Wochen oder Monaten schon. Da wurden Prozesse gemappt, externe Berater erstellten Flowcharts, und einmal hat jemand in der Videokonferenz seinen Bildschirm mit mir geteilt, und ich habe was gesehen, das nicht für mich bestimmt war.
Gefährliches Ding, diese Screenshare-Funktion.
Mein Geschäftsführer wurde hochoffiziell in einem Meeting informiert, ich ungefährt drei Stunden früher, weniger offiziell und mit einer Menge an Details und dreckiger Wäsche. Strategie oder Zufall? Diejenigen, die bald keinen Job mehr haben werden, werden wohl noch eine Weile ahnungslos bleiben.
Ich ahne, dass dies der Vorläufer ist für einen Kampf, den wir wohl bald auch an unserem Standort austragen werden müssen. Unklar, ob wir gewinnen, oder ob wir es dann sein müssen, die Gespräche führt, mit jedem einzeln, im Konferenzraum, Tränen beim rausgehen und ein brauner Umschlag.
Vielleicht bin es irgendwann auch ich, die in einen Konferenzraum gerufen wird, und als eine andere herauskommt.
Ich habe noch so etwa 20 Jahre vor mir, und hatte gehofft, zumindest die nächsten zehn Jahre noch hier verbringen zu können, natürlich in einem Umfeld, das sich nie ändert und das ich mehr und mehr meistern werde. Aber es ändert sich ja alles, immer. Auch vorstellbar, dass ich mich irgendwann nicht mehr zugehörig fühle. So ist es mir ja ein paar Mal gegangen, ich habe tief Luft geholt und gesagt: „ich habe mich entschlossen, das Unternehmen zu verlassen.“ Beim letzten Mal ist der damalige Chef ein kleines bisschen in die Höhe gesprungen vor Schreck, das hat meiner Eitelkeit gut getan, aber ersetzbar sind wir alle, auch ich, und manche auch leichter ausbeutbar und mit weniger zufrieden.
Im Moment sieht es ein bisschen aus, als würde mein Standort, und damit Kontinentaleuropa insgesamt, an Bedeutung gewinnen. Die Andeutungen, European Head of werden zu können, gibt es ja schon eine Weile, wie ein attraktiver Mann, der verspricht, aber nicht liefert. Ich beschäftige mich nicht mehr damit.
Mich beschäftigt eher die Frage, was ich will – und das ist ein großes Privileg, sich diese Frage stellen zu dürfen. Viele Jahre ging es ja nur darum, was verfügbar war, und das musste ergriffen werden. Jetzt scheint es Möglichkeiten zu geben, die Welt ein Stück weit zu gestalten, das tickt natürlich alle Boxen in mir und schaltet die intrinsische Motivation auf ein Maximum.
Aber – will ich das überhaupt? Noch mehr arbeiten, noch mehr an die Arbeit denken, noch weniger Zeit für mich, mit größeren Jungs spielen, die nicht immer nett sind? Gehalt steigt natürlich nicht proportional zur Verantwortung.
Ich spüre mich ja selbst stets nur ungern im Scheitern, mäßig gerne im Lernen, und gar nicht gerne, wenn ich etwas nicht kann. Ja, es ist ein großes Gefühl, dann irgendwann etwas gemeistert zu haben, in schwierigen Situationen bestanden zu haben. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Mich interessieren die Geschichten, und die Menschen dahinter, das Zusammenspiel und Zusammenwirken, die ineinandergreifenden Zahnrädchen von Kausalitäten und wo es hängt und klemmt. Die Wellen von Steinen, die längst versunken sind, und doch alles ins Schwanken bringen können. Die Organisation, wie sie sich schüttelt und dehnt, wie ein schläfriger Dinosaurier, und mir manchmal, wenn es Nacht ist und ganz still, die Stelle zeigt, an der es weh tut. An der ich einen kleinen Stachel herausziehe, ein wohliges Seufzen vernehme, und weiß, es geht gerade alles gut. Und ich kann auch schlafen, bis es wieder weitergeht, hochfrequent und außer Atem und spannender, als es ein Buch je sein könnte.