Scrabble

Seit Weihnachten spiele ich wieder Scrabble. in einer Online-Version, die anders heißt. Weil ich über die Feiertage viel und schnell spielen wollte, habe ich per „random opponent“-Spiele gestartet, oft mehrere parallel. Mit manchen Gegnern habe ich nur ein Spiel lang gespielt, mit anderen mehrere hintereinander, über Tage oder Wochen.

Es gibt Gegner, die unglaublich gut sind und Worte legen, die reine Scrabble-Worte sind, die man nie in der wirklichen Sprache verwenden würde, sondern nur bei dreifachem Wortwert. Es gibt Gegner, die – bewusst oder unbewusst – ziemlich gemein sind, die ihre Worte so legen, dass man nicht anlegen kann, oder der doppelte Wortwert unzugänglich gemacht wird, die ihren Ruhm auf fremden Federn aufbauen und lieber ein R für 14 Punkte anlegen als ein neues Wort für 12 Punkte zu legen.

Und es gibt Jennifer. Ich weiß nichts über Jennifer. Ihr Profilbild zeigt ein Naturfoto. Auf die eine oder andere Nachricht per Chat-Funktion hat sie nicht reagiert. Die Zahlen in ihrem Username könnten alles mögliche bedeuten. Es ist ein Name, wie man ihn den Kindern in der DDR gegeben hat, dann wäre sie jetzt Mitte 40, Anfang 50. Es könnte auch ein Name für ein Kind aus gutem Hause sein, wie Emil oder Charlotte oder Claus, ein wenig antik und jetzt wieder in Mode, in gewissen Kreisen.

Seit drei Monaten verbringe ich jeden Tag ein paar Minuten, manchmal auch deutlich mehr, in einem Spiel mit Jennifer. Ich habe neunzehn Mal gegen Jennifer gewonnen, und sie kein einziges Mal gegen mich.

Es ist mir erst spät aufgefallen. Ich wusste gar nicht, dass es da eine Funktion gibt, wo man das nachschauen kann. Ich habe dann angefangen, mir ein bisschen Gedanken um Jennifer zu machen. Hat sie vielleicht eine Einschränkung? Ist sie sehr jung, oder sehr alt? Hat sie viel Stress? Legt sie einfach keinen Wert auf Punkte? Hat sie ein kleines Kind, das nicht schläft, und dann spielt sie Scrabble mit einer Hand, die andere hält das Kind? Lernt sie gerade Deutsch – nein, so schlecht ist sie nun auch nicht.

Ich beschloss, Jennifer gewinnen zu lassen.

Es war gar nicht so einfach. Es war eine Herausforderung der anderen Art. Es hat ein bisschen Training gebraucht, eine innere Stimme, die sagt: erinnere dich, du wolltest doch gar nicht auf Maximum gehen, leg doch mal „MUS“ für 4 Punkte. Leg „EIN“ und lass sie „KEINER“ drauß machen, doppelter Wortwert. Bau ihr Brücken zu den guten Feldern, öffne das Spielfeld.

Es hat mir gut getan, das Spielfeld zu öffnen. Ich habe selbst wieder mehr Spaß am Spiel gefunden, ein Spiel, in dem ich viele Optionen habe, in denen die Kreativität kribbelt, ich lange und ausdrucksstarke Worte legen kann. JAHRE, HÜNEN, NIXE.

Es hat dann leider noch ein bisschen gedauert, bis ich das erste Mal verloren habe. Heute war es soweit. Ich habe mich sehr gefreut.

Jennifer auch, vielleicht. Wenn es ihr überhaupt etwas bedeutet.

3 Gedanken zu „Scrabble

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