Meine Mutter sagt, meine Schwester hätte gerne mehr Kontakt mit mir. Sie, die Schwester, wisse aber, daß das nicht leicht sei, „wegen den Dingen, die in der Vergangenheit vorgefallen sind“.
„Sie gibt mir Ratschläge“, erzähle ich meiner Mutter, und damit erzähle ich ihr nichts neues. Ich muß auch nicht ausführen, daß mich zusätzlich zu meiner Grundabneigung gegen Ratschläge im Allgemeinen im Falle meiner Schwester auch noch besonders stört, daß sie, die Schwester, fast nichts von mir weiß, sich aber trotzdem anmaßt, mir Ratschläge zu geben. Ganz abgesehen davon, daß das Leben meiner Schwester nicht gerade mustergültig verlaufen ist. (Ich gebe ihr übrigens keine Ratschläge). Manchmal möchte ich meiner Schwester gerne etwas erzählen, einfach narrativ etwas wiedergeben, hör mir doch einfach mal zu, dann lernst du mich vielleicht kennen. Ungefähr bei Satz 3 haut sie dann einen Ratschlag raus und ich schäume sofort vor Wut.
„Ich weiß“, sagt meine Mutter, die ihrerseits die große Kunst besitzt, Ratschläge in Seide einzupacken, mit Bonbonmasse zu umhüllen, und die Geduld, zu warten, bis man sie darum bittet. „Ich weiß“, sagt sie, „ich stand daneben und habe gesehen, wie sie dir Ratschläge gibt, wie sie es macht, wie sie dich dadurch klein macht, und ich, also ich würde mich auch aufregen.“ Mir wird warm ums Herz, als ich das höre, ich fühle mich verstanden.
„Weißt du“, sagt meine Mutter, „ich glaube aber, sie meint das gar nicht so. Sie will dir helfen, dich beschützen, und in ihrem Übereifer merkt sie nicht, daß dies der falsche Weg ist. Hast du ihr denn schon mal gesagt, wie sehr es dich stört?“
Ich denke nach, und kann mich nicht erinnern. Doch so wie ich mich kenne… oder doch nicht? Egal. Beim nächsten Mal sag ich es ihr. Freundlich, ohne Streit. Es rührt mich nämlich, es berührt mich, es verwundert mich, daß sie, meine Schwester, mir nah sein will. Und es freut mich.