Der Händedruck

Ich suche einen Nachmieter für meine Wohnung. Etwa dreißig Leute haben sich die Wohnung bereits angeschaut und aus unterschiedlichen Gründen nicht gewollt.
Wohnungsbesichtigungen sind stark ritualisierte Veranstaltungen; sie folgen einem Skript, das meist von allen Beteiligten strikt befolgt wird. Manchmal stecken die Menschen auch in ihrem eigenen Skript, in ihrem eigenen Film fest, dann streiten sie sich in meinem Flur und ich merke: sie suchen gar keine Wohnung, sondern etwas anderes. Sich selbst oder die, die sie einmal waren.
Mein Skript beginnt ganz klassisch damit, daß ich die Leute an der Wohnungstür begrüße, gelegentlich einen Witz über den 4. Stock ohne Aufzug mache, in den die Interessenten hochgejapst kommen. Dann nenne ich meinen vollen Namen und wir geben einander die Hand. Meistens fragen die Leute, ob sie die Schuhe anbehalten dürfen („ja“), und ich sage aufs Wohnzimmer deutend: „gehen Sie doch einfach durch“. Dreißig Mal.
Beim einunddreißigsten Mal kommt ein junger Mann die Treppe hoch. Es ist nichts besonderes an ihm, nichts anders als bei den anderen jungen Männern, die die Wohnung besichtigt haben. Schwarzhaarig, schlacksig, dunkle Schatten unter den Augen. Ich begrüße ihn, sage meinen vollen Namen, und strecke ihm die Hand hin. Er nimmt sie in seine, und drückt sie sehr fest. Nicht zu fest, aber deutlich fest, und irgendwie allumfassend, und ich will sofort mit ihm schlafen. Als hätte man ein Streichholz an einen Gasherd gehalten, ein leises *flumm*, und ich stehe in Flammen.

Am nächsten Tag spricht mich eine Frau auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt an. Sie sei Wahrsagerin, sagt sie, und müsse mich einfach ansprechen. Ich hätte viele Tränen vergossen wegen der Liebe. Aber sie könne mir sagen: in zwei bis drei Wochen treffe ich auf der Straße einen Mann, zwei bis drei Jahre jünger. Sie könne mir eine Liebeswurzel geben aus Ungarn, sagt sie, und fragt nach Geld.
„So wichtig ist die Liebe nicht“, sage ich, drehe mich um und gehe.

Aber es ist schön, daß ich noch so in Flammen stehen kann. Einfach nur wegen eines Händedruckes. Ein wenig albern ist es auch, aber vor allem ist es ein Zeichen dafür, daß es mir seit langer Zeit wieder gut geht.