2022

Es war ein schlechtes Jahr, es war ein gutes Jahr. Ein schlechtes Jahr für die Welt, voll mit schlechten Nachrichten. Und ein gutes Jahr für mich, mit Glücksmomenten, Staunen, Sternen und Musik.

Ich habe eine ganze Weile gebraucht, mich damit abzufinden, dass die Kontrolle und Prävention von Covid-Erkrankungen keine politische oder gesellschaftliche Rolle mehr spielen wird. Wir haben aufgehört zu testen, aufgehört, Fallzahlen zu erheben. N-TV stellte den Covid-Nachrichtenticker ein, die Maskenpflicht in Supermärkten fiel, dann auch die Pflicht zur Quarantäne. Das Gesundheitssystem kollabiert leise vor sich hin. Ich selbst trage weiterhin häufig Maske, vermeide Restaurantbesuche in Innenräumen, habe mich im Februar viertimpfen, im Juni fünftimpfen, und im September gegen BA.5 boostern lassen. Bisher habe ich mich nicht angesteckt, das ist aber wahrscheinlich auch stark durch Glück und Privileg bedingt.

Der Beginn des Ukrainekrieges im Februar war ein Schock. Ich denke, der Krieg wird noch fünf Jahre dauern, und hoffe, dass ich Unrecht habe. Anderswo ist es auch nicht besser: im Libanon bricht das Stromnetz zusammen, über Syrien spricht niemand mehr, aber ich weiß, dass die Menschen hungern. Die USA kippten Roe vs Wade. Die Klimakatastrophe rückt näher: Schnee im April, Dürre und Waldbrände im Sommer, Fischsterben in der Oder, ganz Pakistan unter Wasser. Heute, an Silvester, haben wir T-Shirt Wetter mit 18 Grad. Affenpocken waren auch ein Thema. Und dann starb auch noch die Queen.

Vielleicht als Gegenmaßnahme zur äußeren Instabilität habe ich dieses Jahr viel aufgeräumt. Erst den Keller, dann alles andere. Viel aussortiert, vor allem in der Küche. Es ist jetzt deutlich leichter, Ordnung zu halten. Gut fünf Jahre nach meinem Einzug hat ein Elektriker die letzten Lampen installiert. Ich habe die WLAN-Situation verbessert, das ist ein großes Plus.

Ich war viel auf Reisen und unterwegs. Als ein Wendepunkt ist mir das Konzert von Sam Fender im Mai in Erinnerung geblieben, danach folgte ein wunderbarer Sommer. Schön waren nicht nur die großen Reisen, sondern auch die kleineren Unternehmungen: ein Wochenende in Hildesheim mit Internet-Freundinnen, ein anderes Wochenende in Frankreich. Boot fahren mit Francine. Perseiden, mehrmals. Mondbeobachtungen mit einem Teleskop auf meinem Balkon, und viele lange Abende draußen, während über mir die Fledermäuse durch den Himmel huschten. Ein Sommer voll mit Badesee-Besuchen und jeden Sonntag ein Ausflug in die Umgebung. Viele Freunde getroffen. Vielleicht meine beste Entscheidung dieses Jahr, so viel zu unternehmen, auch ein bisschen geboren aus der Einsicht, dass es karrieremäßig erst einmal nicht wirklich weitergehen wird für mich. Also mehr Work-Life-Balance, das war gut und richtig so.

Ein unglaubliches Highlight waren die Konzerte von The Cure, von denen ich nicht so richtig geglaubt hatte, dass sie tatsächlich stattfinden würden. Wir erlebten eine Band, die sich nicht auf dem Ruhm vergangener Tage ausruht, sondern die in absoluter kreativer Bestform ist. Ein unvergesslicher Moment, wie wir aus der Konzerthalle in Wembley rauskommen, und es schneit…

Was bleibt sonst noch in Erinnerung? Gesundheit hätte besser sein können, daran muss ich im neuen Jahr was ändern, auch in Hinblick auf das zusammenbrechende Gesundheitssystem. Auch interessant zu Archivzwecken: ich habe den Campus meiner alten Universität besucht und ein bisschen an dem einen oder anderen Trauma gearbeitet. Außerdem mildly interesting: ich habe 500 Tage am Stück mit Duolingo eine Sprache geübt, und dann aufgehört. Fühlt sich sehr on brand für mich an.

Die Zersetzung von Twitter bedauere ich sehr. Ich habe diesen virtuellen Ort immer sehr geschätzt. Es gibt doch viele, deren tägliches Tun ich gerne auf Twitter verfolgt habe. Twitter war auch immer eine gute Möglichkeit, in den Austausch mit anderen zu kommen, unverbindlich, aber nicht oberflächlich. Es war die beste Version eines Schulhofs, wo man miteinander abhängt, belangloses redet, und dann doch unverhofft Momente der Tiefe und der Verbundenheit entstehen. Vielleicht erholt sich die Plattform ja noch einmal.

Es war trotz allem also ein gutes Jahr. Ich war oft glücklich – vielleicht werde ich im Alter generell besser darin, trotz widriger Umstände glücklich zu sein. Auf jeden Fall scheine ein bisschen besser verstanden zu haben, was mir gut tut, und kümmere mich besser darum, Momente zu schaffen, die das Eintreten von Glück wahrscheinlicher machen.