Ein Frühlingsabend war das heute, wie aus dem Lehrbuch. T-Shirt-Wetter, aber noch nicht heiß. Sehr helles Licht, besonders, weil ich etwas früher als sonst aus dem Büro nach Hause gefahren bin.
An der roten Ampel stehe ich und warte, und sehe ein junges Paar, vielleicht Mitte zwanzig. Sie hat ein Fahrrad dabei, er einen großen Rucksack auf dem Rücken, er könnte von einer Reise zurückgekommen sein oder auch einfach nur aus dem Fitnessstudio. Er ist nicht übermäßig muskulös, aber durchaus sportlich, man würde ihm aber auch zutrauen, gelegentlich Belletristik zu lesen. Die junge Frau trägt eine gestreifte Hemdbluse, die ihr sehr gut steht. Sie ist keine Schönheit im klassischen Sinne, dafür fehlt es ihren Gesichtszügen an Symmetrie, aber es geht ein Leuchten von ihr aus. Die beiden stehen sehr nah beieinander, ich frage mich, ob sie sich gleich küssen werden, und dann tun sie es. Schnell und ein bisschen verstohlen auf den Mund. Dann schauen sie sich an, lächeln beide, reden. Er zieht sie mit seiner Hand in ihrem Nacken zu sich, küsst sie wieder. Sie lächeln wieder beide und reden, küssen sich noch einmal und noch einmal. Ich mag die Art, wie das Küssen von der jungen Frau ausgeht, wie sie ihn einlädt, subtil und doch unmissverständlich, durch die Haltung ihres Gesichtes, ihre Körpersprache. Dabei hält sie die Hände bei sich, vielleicht, weil sie ihr Fahrrad festhalten muss. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die beiden ihr erster Kuss ist als Paar, ob sie sich gerade eben zueinander bekannt haben, oder ob sie sich schon vorher geküsst haben. Allzu viele Küsse hat es noch nicht gegeben, es ist alles neu zwischen ihnen. Verzaubert. Man ahnt, wie süß es schmeckt.
Die Ampel wird grün, ich fahre weiter. Als ich das nächste Mal anhalte, fällt mein Blick auf eine Pflanze, immerhin schon so hoch wie ein kleiner Hund, und kräftig. Sie hat sich zwischen dem Rinnstein und dem Beton einen Weg gesucht, und wächst da jetzt, und gedeiht.
So ist es ja auch manchmal mit den Menschen.