Wie man sich entliebt.

(für @lostformat_)

Wenn man unglücklich verliebt ist, und das nicht mehr sein will, gibt es da einen ganz einfachen Trick: going no contact, was man vielleicht mit „selbstauferlegter Kontaktsperre“ übersetzen könnte. Im Detail bedeutet das: nicht mehr die Nähe der Person suchen, in die man verliebt ist, sie nicht mehr anrufen, keine SMS mehr, auf Twitter und auf Facebook entfolgen, die Fotos löschen und sich auch nicht mehr auf Instagram anschauen, wie glücklich der- oder diejenige ist ohne einen selbst. Gemeinsame Freunde ins Vertrauen ziehen, darum bitten, auch mal was ohne die große Ex-Liebe zu unternehmen. Mehr alleine oder mit neuen Leuten machen: sich ein Hobby zulegen, egal was, russisch oder JavaScript lernen, syrischen Flüchtlingen helfen, ein Kraulschwimmkurs oder, wenn einem gar nichts einfällt, ins Fitnessstudio gehen (hier ein guter Text dazu).

Warum hilft das? Weil die Liebe in der Zeit lebt. „Entlieben“ trifft es nicht so richtig, man kann das Gefühl nicht rückgängig machen, aber man kann das unglücklich verliebte Selbst in der Vergangenheit zurücklassen und vorangehen in eine Zukunft, in der man ein anderer, eine andere ist. Man kann neue Erfahrungen und Erlebnisse sammeln, andere Seiten an sich entdecken, neue Stärken und neue Vorlieben, und neue Wege mit anderen beschreiten. Und wer weiß, wo einen solch ein Weg hinführt? Durch die Kontaktsperre löst man sich von der Fixierung auf die vermeintlich einzige Person und von der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, und richtet den Blick auf einen anderen Horizont. Auch biochemisch verändert sich etwas: innerhalb von sechs Wochen sinkt der Oxytocinspiegel, die Synapsen programmieren sich um. Erst denkt man nur noch einmal am Tag an die Liebe, dann nicht mehr jeden Tag, dann nicht mehr jede Woche, bis irgendwann die Erinnerung nur noch sporadisch kommt, ausgelöst durch einen Duft oder einen Ort, ein Kleidungsstück, eine Speise. Manche Songs kann man nach ein paar Jahren wieder hören, und nur wenige nie mehr.

Es ist also ganz einfach, sich zu entlieben, und doch so schwer. Es braucht eine bewusste Entscheidung, einen Punkt, an dem man genug hat, an dem es einem reicht mit dem unglücklich verliebt sein. An dem man die Hoffnung aufgibt. Die Hoffnung ist die zerstörerischte Kraft überhaupt. Man kann sich ein Leben lang an der Hoffnung festhalten, dass sich die unglückliche Liebe umkehrt in eine erfüllte Liebe, dass der verheiratete Mann sich doch noch scheiden lässt, dass die ewig unentschlossene sich doch noch für einen entscheidet, dass du aufhörst zu lügen, dass sie endlich mal die Augen aufmacht und sieht, wie großartig man doch zueinander passt. Aber man kann ja den anderen nicht verändern, nur sich selbst. Das Verlieben ist einfach, man fällt da einfach so rein, aber sich selbst zu verändern, das kostet Kraft, das lehrt uns schon die Physik und das 2. Gesetz der Thermodynamik. Manchmal ist uns die Rolle des unglücklich Verliebten, des Leidenden und des Märtyrers schon so vertraut, schon so zur Gewohnheit geworden, dass wir es nicht ändern wollen. Wir wollen nicht aufgeben, wir haben schon so viel investiert. Wir sehnen uns nach der Liebe, sie zieht uns in eine Richtung und macht uns blind für alles andere. In der Liebe werden wir größer, das Entlieben hingegen macht uns kleiner, die Tage werden weniger schmerzhaft, aber auch gleichförmiger.

Warum also aufhören? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich mochte es nie, eine Tanzbärin zu sein, einen Ring durch die Nase, tanzen müssen zu den schrägen Tönen einer Geige. Dann lieber bluten, eine Zeitlang, und vernarben, aber frei sein. Auf einer Bank in der Sonne sitzen, ein zartes Vermissen von etwas, jemanden, und doch milde versöhnt mit allem.

(ohne Titel)

Geträumt, ich bin in einem Haus. Es ist keines, das ich kenne. Ich stehe im Wohn- und Esszimmer, im Hintergrund irgendwo meine Mutter. Mein Vater kommt in den Raum, leicht gebeugt, in der Hand einen Korb mit Walnüssen, den er auf den Tisch stellt.

„Na, freust du dich, mich zu sehen?“, sagt er zu mir. Ich umarme ihn; er hat seinen dunkelvioletten Cashmere-Pullover an, ganz weich. In meinen Armen fühlt er sich dünn an, von der Krankheit bereits gezeichnet, und er erträgt die Umarmung mit jener Verwunderung, die ich aus seinen letzten Jahren nur allzu gut kenne. Gleichzeitig wird dieses Bild überlagert von einem anderen; er weiß, dass ich weiß, dass er verstorben ist, dass dies ein Traum ist, eine seltene Möglichkeit, sich zu begegnen. Ich bin so froh, ihn zu sehen, und ich bin so traurig, ich schluchze; im Halbschlaf bebt auch mein echter Körper, laufen mir die Tränen.

„Mein armes Kind“, sagt er, und drückt mich an sich.