WmdedgT: 5. November 2017

Der Tag beginnt eigentlich mitten in der Nacht. Ich liege wach und kann nicht einschlafen. Der Nacken ist verspannt, ich finde keine komfortable Position, unter der Bettdecke ist es zu heiß und darüber zu kalt. Ärgerlich. Gegen halb zwei Uhr nachts hänge ich mit ein paar anderen Schlaflosen oder gerade von der Party heimgekehrten auf Twitter rum. Eigentlich ganz schön, fast so wie in den frühen Twitterjahren, als man Replies und DM noch manuell eintippen musste und ganz Twitter nach Mitternacht nur aus ein- oder zweihundert Leuten bestandt. Jetzt ist es anders, aber immer noch schön, und auch in dieser Nacht sind welche da, die ich wirklich gerne mag.

Gegen 7 Uhr morgens wache ich auf. Es ist ja nur eine Illusion, dass man gar nicht geschlafen hätte. Um halb acht stehe ich auf, die Laune ist gar nicht so schlecht, denn ich weiss, dass ich normalerweise gut schlafen kann und solche Nächte ein- oder zweimal im Jahr die Ausnahme sind. Ich war vor ein paar Tagen ziemlich krank, vielleicht ist mein Körper noch etwas durcheinander.

Nach dem Frühstück gleite ich von einer Hausarbeit in die nächste: Spülmaschine, Waschmaschine, Wäsche vom Vortag abnehmen, aufräumen. Dusche reinigen, Abfluss mit Abflussfrei gängiger machen, mit der Bürste in allerhand exotische Ritzen, deren Existenzen mir bislang eher unbekannt waren. Es ergibt sich, dass ich eine Schublade entrümple, und dann noch eine, und noch eine, vier sind es am Ende des Vormittags.

Das Thema Haushalt beschäftigt mich in letzter Zeit sehr. Ich habe ein großes inneres Bedürfnis nach einer aufgeräumten, schönen Wohnung, in der alles seinen Platz hat. Mir ist das aber auch ein wenig unheimlich, beinahe suspekt. Woher kommt diese Sehnsucht? Ich weiß, dass es mir große Freude bereitet, wenn ich spontan etwas brauche und den Gegenstand sofort zur Hand habe. Vor einigen Jahren habe ich damit angefangen, in jedem Raum eine Schere bereit liegen zu haben. Könnte das nicht für alles, was man braucht, so sein? Und natürlich soll die Wohnung das Innenleben repräsentieren. Große Räume, lichtdurchflutet, leicht minimalistisch, viel Glas und Weiß, hier ein farbiger Teppich, dort ein ausdrucksstarkes Bild. Und ich selbst in einem Sessel sitzend, die Beine hochgelegt, ein Buch lesend.

Nur kann ich selbst nicht nur die Lesende sein, ich muss auch die sein, die einrichtet, gestaltet, aufräumt, Ordnung hält. Mein Umzug in diese Wohnung vor anderthalb Jahren fand zeitgleich mit einem Jobwechsel statt, bei dem ich zum dritten Mal in meinem Leben einen neuen Beruf erlernt habe. So richtig ernsthaft angefangen mit dem einrichten habe ich daher erst vor einem halben Jahr. Es frustriert mich, wie langsam alles geht, ich mache nur langsam Fortschritte. Ich schaffe neuen Stauraum, löse Provisorien auf, bohre Regale an und räume auf, räume auf, räume auf. Ein Schwimmen gegen den Strom. Und ringe immer wieder auch mit der Zeit. An manchen Arbeitstagen stehe ich um sechs Uhr morgens auf, verlasse um sieben das Haus, und komme um acht Uhr abends wieder nach Hause. Ich treffe Freunde, gehe zum Karaoke, und manchmal, da lege ich sogar die Beine hoch und lese. So bleibt nur ein kleines Tortenstück Zeit fürs Ordnung schaffen.

Gegen Mittag koche ich, weil ich immer noch ein wenig kränklich bin, Hühnersuppe mit Nudeln. Einen Hühnerschenkel und etwas Nudeln reserviere ich als Mittagessen für den Montag. Zum Essen schaue ich fern, eine ganz schlechte Angewohnheit. Ich entscheide mich für „24h Stadtautobahn“, eine Dokumentation des rbb über die A100 aus der Mediathek. (2017 ist das Jahr, in dem lineares Fernsehen für mich ein Ende gefunden hat.) Die Dokumentation gefällt mir – mit Ausnahme des Segments über das Bordell – ausgesprochen gut. Große Bilder, kleine Geschichten von Alltäglichkeiten. Künstler, Hausmeister, Aktivisten, Straßenkehrer. Das passt zu Berlin, finde ich. Und ich erinnere mich noch gut, wie ich als junge Frau melancholisch berührt davon war, mit dem Auto in der Dämmerung über die A100 an den Türmen des Heizkraftwerks Wilmersdorf vorbeizufahren. Kam mir irgendwie sehr großstadtmäßig vor, damals. In Mietshaus in der Schlangenbader Straße, das auch im Film gezeigt wird, habe ich mir mal ein WG-Zimmer angeschaut. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass ein frisch getrennter Vater ein Zimmer in seiner Wohnung untervermieten wollte, dafür sollte man seinen dreijährigen Sohn babysitten. Da das Zimmer immer noch teuer war, fiel mir damals die Entscheidung leicht. Später hatte ich eine Freundin, die in dem Gebäude wohnte, und mit der ich mich aufstylte zum Ausgehen am Samstagabend. Gothic & Haarspray.

Nach dem Essen hänge ich Wäsche auf, bringe den Müll runter, kommentiere per Mail auf ein Dokument, das mir eine Freundin geschickt hat, und twittere mit einem verschollen geglaubten Twitterer. Dann besuche ich meine Mutter, die in meiner unmittelbaren Nähe wohnt, und halte mit ihr einen kleinen Plausch. Sie hat viel erlebt heute, und es geht ihr gut. Anschließend beginne ich damit, Ablage zu machen, was bedeutet, dass ich einen hohen Stapel an Briefen und anderen Papieren sortiere, die sich seit einigen Monaten angesammelt haben. Dabei finde ich so einiges wieder, was ich vermisst hatte. Eigentlich mache ich Ablage, um die Vorbereitung der Einkommenssteuererklärung zu prokrastinieren. In einem Order finde ich aber eine Lasche mit dem Titel „Steuer 2016“, hinter der ein früheres Ich diverse relevante Dokumente abgelegt hat. Es gelingt mir, das Thema Steuer dennoch weiter zu verdrängen. Auch die Ablage beende ich entgegen meiner Disposition, alles immer fertig zu machen, nicht. Stattdessen schaue ich „Constantine“ mit Keanu Reeves, Rachel Weisz und Tilda Swinton über Amazon Prime. Der Film wurde von der Kritik nicht sonderlich gut aufgenommen, ich mag ihn aber gerne und habe ihn über die Jahre schon ein- oder zweimal gesehen. Als John Constantine gerade einen dramatischen Moment in der Hölle erlebt, ruft eine sehr liebe Freundin an. Wir sprechen gut eine Stunde über neueste Entwicklungen in unser jeweiligen Leben. Bei ihr ist es gerade sehr abenteuerlich, und ich versuche, ihr zu sagen, wie wichtig es mir ist, ihr gerade in dieser Zeit eine gute Freundin zu sein. Dann erinnere ich mich, dass sie es nicht so gerne mag, wenn die Dinge so zerredet werden, und hoffe, dass sie auch so weiß, wie ich es meine.

Draußen ist es Nacht geworden, und auch im Film ist Los Angeles eine dunkle, düstere Stadt mit dreckigen Neonlichtern. Die Religion ist ein kitschiges Theaterstück, unfair und bigott. Fair trials, they don’t exist my friend. Der Teufel trägt einen Anzug aus reinem Weiß, nur seine nackten Füße sind schwarz von Öl und Teer. Dass man ihm am Ende ein Schnippchen schlägt – vielleicht ist es das, was ich an der Geschichte so mag.

Gegen 22 Uhr gehe ich ins Bett. Mein Nacken ist entspannt, es ist genau richtig warm, und ich schlafe beinahe sofort ein.