Gin

Ich sitze an meinem Esstisch im Wohnzimmer und blogge. Meinen Arbeits-Laptop habe ich schon wieder weggeräumt, auch das Atomphysik-Lehrbuch, das mir als Laptopständer gedient hat. Ich war nur heute im Home Office, morgen geht es wieder ins Büro.

Frau N. ist mir per Videokonferenz zugeschaltet und sitzt im Arbeitszimmer in ihrer Wohnung. Sie schreibt heute nicht an ihrem neuen Chromebook, sondern am „Gamer-Laptop“, das höre ich sofort, weil die Tasten viel lauter klappern. Frau N. trinkt ein großes Hefeweizen, ich einen Gin Tonic, ausnahmsweise.

Frau N. hatte heute einen schwierigen Tag, und zwar nicht wegen Büro, sondern wegen den fundamentalen Themen: Gesundheit, Leben, Tod, und die Liebe, die wir für andere empfinden. Es scheint aber alles ein gutes Ende zu nehmen.

Mir geht es schlecht, seit ein paar Tagen oder gar Wochen schon. Wenn ich mich abends ins Bett lege, tut mir alles weh, innen wie außen. Es geht ums Büro, aber im Büro versteckt, wie eine Matrushka, die großen Themen: Gesundheit, Leben, Tod, und die Liebe, die wir für andere empfinden. Die Endlichkeit, die Fragilität der Körper, der Rollen, und der Organisation.

Wie ich versuche, mich mit Macht dagegen zu stemmen. Das ist dumm, natürlich, jeder weiß das, auch ich. Aufhören ist keine Option. Zu hohes Risiko, und der Einsatz ist – alles.

Mein Denken läuft in diesen Tagen mit zweihundert Stundenkilometer, die Gedanken halten sich mit schwachen Ärmchen an der Stange des Karrussells fest.

Ich suche nach einem Ausweg. Ich nehme noch einen Schluck Gin Tonic. Er ist mittelmäßig, das Tonic nicht kalt genug, der Gin zu scharf, es fehlt Zitrone. Aber was ist schon perfekt.

Ich werde weiterhin das Risiko beobachten, werde es dokumentieren und mitigieren, soweit möglich. Ich werde mich besinnen auf das, was in meinem Verantwortungsbereich ist. Ich werde nur dafür die Verantwortung übernehmen, und für nichts darüber hinaus.

Und dann kommen mir doch kurz die Tränen, weil ich mich selbst sehe, wie ich mir so viel Mühe gebe, mich bis zur Erschöpfung anstrenge, und doch nicht erreiche, was mir wichtig ist. Selbst schuld, kann man jetzt denken, mich professoral belehren, mir aufzählen, was ich alles anders machen müsste. Aber ein bisschen tut sie mir schon leid, dieses andere ich, das sich da so reinhängt, und scheitert, an den Strukturen, an mangelnder Führung, an sich selbst. Ein Geschmack wie bittere Asche im Mund, und ich wische die Tränen weg.