Nachtrag: Hurricane und anderes

Im Interview mit der Süddeutschen äußert sich Robert Smith negativ über seinen Auftritt beim Hurricane-Festival. Mir hat es ja gefallen, aber ich habe viele unzufriedene Äußerungen von den Festivalbesuchern um mich herum gehört. Closedown oder The Figurehead sind Stücke, auf die man sich einlassen muß, die man nicht besoffen mitgrölen kann.

Robert Smith: Daran lag es nicht. Ich dachte, wir sind in Hamburg, da können wir es mit einem etwas experimentelleren Set versuchen. Ich hatte damit gerechnet, ein eingespieltes Cure-Publikum vor mir zu haben und nicht darüber nachgedacht, dass es das Hurricane-Festival war und die Hives vor uns spielten.

Dazu kam, dass es bitterkalt war. Und dann noch dieser riesige Abstand zwischen uns und den Zuschauern, vollkommen lächerlich, ich konnte die Leute nicht sehen. Naja, wir haben acht oder neun Songs von der neuen Platte gespielt, und es hat gar nicht funktioniert.

SZ: Ist das immer noch schlimm für Sie, nach all den Jahren im Geschäft?

Robert Smith: Es ist schrecklich. Stellen Sie sich vor, Sie stehen da auf der Bühne und es kommt gar nichts zurück vom Publikum.

Das Interview ist überhaupt sehr gelungen, was mich in sofern überrascht, da die Süddeutsche das herausragende München-Konzert im Jahr 2000 ungerechtfertigt und auf plumpe Weise verrissen hatte. Und ja, Robert Smith ist ein netter Mann.

Robert Smith: Meine Frau mag es, wenn ich mich schminke. Sie mag überhaupt, wie ich aussehe. Das ist ein großes Glück. Ich muss mich ja nicht angucken.

The Cure, Hurricane Festival, 26. Juni 2004

Ich hatte The Cure zuvor schon auf 3 Festivals gesehen: Werchter 2000, Zillo und Woodstage 2002. Trotzdem hatte ich mir eine vollkommen falsche Vorstellung von Hurricane gemacht. Ich hatte vergessen, wie unglaublich groß solche Festivals sind. Werchter hatte ungefähr die Größe von Hurricane (40 – 50 000 Leute); aber meine damalige Werchter-Erfahrung mit Ruth war eine ganz besondere und persönliche. Vielleicht erzähle ich das mal, falls mein Leben noch langweiliger werden sollte und ich auf die alten Anekdoten zurückgreifen muß.
Zillo und Woodstage waren beide kleiner, mit 10 bis 15 000 Menschen. Bei Zillo war das Publikum sehr angenehm, Woodstage war etwas stressiger, dafür war der ganze tribe meiner cure-begeisterten Freunde da.
So ähnlich wie Woodstage hatte ich mir Hurricane vorgestellt: im Kreise der Freunde unterm Pavillon sitzen, vom Zeltplatz zum Festivalgelände schlappen und sich The Cure angucken. Den Sommer genießen, alles locker und relaxed angehen.
Doch der Großteil meiner Freunde sagte ab, teilweise recht unerwartet. Geldmangel, ich kann das verstehen, es ist nicht unberechtigt.
Des weiteren war der Wechsel vom intimen Köln-Konzert zu der Massenveranstaltung Hurricane doch sehr abrupt. Körperliche Anstrengung, zu wenig Schlaf und zu viel Zeit hinter dem Steuer – ich mache das nicht mehr so gut mit, man wird älter.
In den Tiefen meiner Seele verabscheue ich den Sommer. Direkte Sonneneinstrahlung ist nicht mein Ding. Deshalb war ich not amused, als ich mir einen Sonnenbrand holte. Da läuft man einmal vom Parkplatz zum Zeltplatz, baut das Zelt auf, geht zurück zum Auto, holt das Gepäck , vergißt die Sonnencreme im Auto, trottet zurück zum Parkplatz, schon hat man die Farbe eines Hummers.
Nungut. Es is‘, wie es is‘, wir schlappen also zum Festivalgelände, meine Reisebegleitung isst einen Döner, ich bin aber aus Berlin und hab‘ in meinem Leben schon so viele Döner gegessen, also habe ich mich für ein Thai Curry entschieden. Das war blöd. Das war ehrlich blöd, mir wurde nämlich schlecht. Vielleicht wars auch ein Sonnenstich, die Anstrengung der letzten Tage oder allgemeiner Weltekel, jedenfalls wurde mir schlecht. Ich hab mich ins Zelt gelegt, bin tatsächlich eingepennt und zu PJ Harvey wieder aufgestanden. Leider mußte ich nach etwa der Hälfte ihres Sets wieder gehen. Ich wollte mir eine ruhige Stelle zum Kotzen suchen. Leichter gesagt denn getan, die Zelte standen dicht an dicht, das Dixieklo war selbst mir zu eklig, überall Bauzaun. Also schlappte ich ca. zwei Kilometer den Bauzaun Richtung Wald entlang. Der Herr meinte es gut mit mir, ich schlüpfte durch eine Lücke und zog mich hinter eine Buche zurück. Asl ungünstig erwies sich die erhebliche Polizeipräsenz auf dem Festival, ständig fuhr ein Polizeiauto an dem Wäldchen vorbei und ich bin ja so ein Häschen, wenn es um Polizei geht. Ich weiß nicht, ob ich auf Nachfragen der Menschen in Uniform meinen Aufenthaltsort und meine Intention so gut hätte erklären können. Jedenfalls klappt Kotzen auf Kommando, auch wenn einem noch so schlecht ist, nicht besonders gut, mit Blick auf Polizeiautos kann man sich noch schlechter entspannen.
Zurück zum Zelt, Erschöpfungsschlaf bis zum Auftritt von The Cure. Sie haben gut und solide gespielt, der Sound war leider zu leise. Im Vergleich zum Set des Vortags waren nicht allzu viele Überraschungen dabei, aber Lovesong hat mir gut gefallen.
Während des Konzertes dachte ich, hey, mir ist fast gar nicht mehr schlecht. Nach dem Könzert, auf dem Weg zum Ausgang des Festivalgeländes, wurde mir so schlecht, daß ich vor 40 000 Menschen auf den Boden gekotzt habe. Mehrmals. Irgendwann nahm ich ein Blitzlicht wahr und eine Stimme, die sagte, „So! Jetzt haben wir das auch fotografiert!“. Es war keiner meiner Freunde. Ich werde dann wohl eher nicht Bundestagspräsidentin.

Ich habe noch gar nicht vom jugendlichen Viva-geprägten Publikum erzählt, von dauerbetrunkenen Abiturienten und jungen Mädchen zwischen Avril Lavenge und Kelly Osbourne. Es ist nicht mehr meine Generation, ich habe mich wie ein Fremdkörper gefühlt, wie ein Alien. Selbst in meiner Jugend war ich kein partygirl, doch ich habe mich pflichtbewußt amüsiert, man muß sowas ja mal erlebt haben, das gehört zu einer Jugend dazu. Heute bin ich durch damit, es gibt nichts mehr zu beweisen oder abzuleisten. Ein paar Männer haben mich angesprochen, wollten mit mir ins Gespräch kommen, aber ich wußte nichts zu sagen, war steinern. Ich hätte mich festhalten können an einem Fremden, im Dunkeln, ihm durch die Lücke im Bauzaun in den Wald folgen, aber ich bin zu desillusioniert. Es ist nicht meine Welt.

Dieses Bedürfnis, möglichst viele Cure-Konzerte zu erleben, das ist eigentlich auch ein Relikt aus meiner Jugend. Ich sollte es ablegen, mich auf Qualität statt Quantität konzentrieren, meine verringerte Ausdauer, mein vergrößertes Ruhebedürfnis berücksichtigen. Hätte ich mir nur Köln angeschaut, anschließend noch einen Tag mit Ruth verbracht und wäre gesund wieder nach Berlin und zu meiner Arbeit

The Cure in Köln

Als sie auf die Bühne kamen, dachte ich, die sind eigentlich auch nur eine Garagenband. Damit meine ich nicht garage als Stilrichtung, sondern eben wirklich eine Band, die in einer Garage übt und gelegentlich Auftritte in einem Jugendzentrum in der Provinz hat.
Nein, jetzt bin ich zu hart. Es war nur mein erster, harter Gedanke, denn der Sound von The Cure reihte sich nahtlos an den der Vorgruppe an.
Ich hörte mir das an, eher emotionslos. Dann, nach den ersten vier, fünf Songs, passierte etwas überraschendes: ich fing an, mich zu entspannen. Mitzusingen. Mich im Takt zu bewegen. Und da war eine Leichtigkeit, wie man sie bei einer so düsteren Band sicher nicht erwarten würde. Vielleicht kommt diese Leichtigkeit daher, weil The Cure nicht mehr gefallen müssen. Sie müssen keine Platten mehr verkaufen, sich keinen Ruf mehr aufbauen. Robert Smith steht einfach da, er sieht aus, wie er eben aussieht, er singt von Gefühlen und Assoziationen. Es sind keine Geschichten, die in einen Kontext eingebettet sind, sondern es ist einfach das, was ihm wichtig ist.
Gegen Ende, bei „the promise“ singt Robert Smith: „time will heal all wounds, you promised me…“. Ein gebrochenes Versprechen. Er findet Worte für mich, für uns, für Dinge, die die meisten von uns auf die eine oder andere Art und Weise erlebt haben.
Im Nacken gibt es einen Muskel, der den Kopf hält; dieser Muskel ist ununterbrochen, auch im Schlaf, angespannt und an der Arbeit. Vor vielen Jahren hat jemand mit mir eine Übung gemacht, durch die dieser Muskel kurzzeitig entlastet wird. Es war ein unglaubliches, unbeschreibliches Gefühl der Entspannung.
The Cure bewirken ähnliches: ihre Leichtigkeit macht auch mich leicht, die Wahrheit in ihren Songs berührt mich an Stellen, die sonst unzugänglich gewesen wären. Da ist ein Moment der Schwerelosigkeit, der es möglich macht, die Bauklötzchen des Selbst gegeneinander zu verschieben, die Bewegung, die Dynamik der Songs helfen dabei. Sie rocken. Und ich verstehe, daß es gut und richtig war für mich, zu kommen, quer durch Deutschland zu fahren, in fremden Betten zu schlafen. Denn das Reisen, diese äußerliche Bewegung, bringt auch Bewegung in meinen Geist.
Wie sie das nur immer machen, denke ich. Die Erwartungen übertreffen. 15 oder 20 Mal habe ich sie jetzt live gesehen, man vergißt, wie gut sie sind, bis man sie wieder erlebt.