Körpergedächtnis

Beim Aufräumen fällt mir ein Buch in die Hand; ich blättere darin, lese mich fest. Setze mich aufs Bett, lege ich mich schließlich hin und merke nach ein paar Seiten, daß ich genauso liege wie Du – nein, wie wir – das gerne mochten. Plötzlich bist Du da, durchscheinend zwar, aber so real in meiner Vorstellung, daß ich fast glaube, Dich zu spüren.
Die Sehnsucht, die sich nicht wegargumentieren läßt. Ich kann mir zwar verbieten, an Dich zu denken, aber mein Körper erinnert sich. Ich könnte Dich anrufen, jetzt sofort, mich vielleicht sogar mit Dir verabreden, aber Du bist nicht wie in meiner Vorstellung, das weiß ich. Du, wie ich glaube, daß Du bist, und Du, wie Du wirklich bist, das sind zwei verschiedene Sachen, und weil ich von Deinem realen Selbst verlange, was nur mein Bild von Dir kann, enttäuscht Du mich und machst mich unglücklich. Ich grolle Dir dafür, und weiß doch: es ist nicht Deine Schuld. Niemand hat Schuld, und wenn doch, dann am ehesten ich, oder zumindest sind meine Fehler die einzigen, die ich ändern kann. Ich kann aufhören mit Dir, und irgendwann wird meine Sehnsucht nicht mehr Dein Gesicht tragen, sondern ein anderes, ein unbekanntes, hoffentlich.

Neulich habe ich geträumt, ich stände im Garten meiner Eltern. Es ist Herbst, aber die Bäume tragen noch Laub, und an den Büschen glänzen rote Beeren. Früher Morgen, das Gras trägt Reif, es knirscht unter meinen Schuhen. Es scheint so friedlich, und doch habe ich große Angst, weil ich weiß, daß dies der Anfang eines langen Winters ist. Wie soll ich das durchstehen…

Als ob es der erste wäre. Schritt für Schritt, Stunde für Stunde, einen Fuß vor den anderen.

von Eseln.

Mein Nachhilfeschüler kommt rein, knallt die Tasche auf den Tisch, fläzt sich auf den Stuhl. Seine ganze Körperhaltung drückt Ablehnung aus. Er tut, was ich sage, er tut es leidenschaftslos, ungern, leidend. Er zieht eine Flunsch. Passive aggressive. Und ich werde zunehmend sauer, das ist ja, als ob man einen Esel den Berg hochschieben muß, so gut bezahlt werde ich nun auch nicht. Mühsam, und ich weiß mir mit nichts zu helfen außer mit Routine: wir machen eine Aufgabe, lesen aus den Buch, schreiben etwas auf, machen noch eine Aufgabe.
Als ich nach Hause fahre, die Straßen leer in der Dämmerung, schießt es mir durch den Kopf: mein Nachhilfeschüler war heute sehr verletzlich. Und ich erinnere mich plötzlich wieder, wie das ist – Pubertät, das Chaos der Hormone: an manchen Tagen die Haut so dünn, die Seele wie ein rohes Ei. Grundlos geweint habe ich, und ich bin mir sicher, ich war oft ebenso pampig wie er.
Manchmal, sinniere ich weiter, geht es mir auch heute noch so. Ich reagiere schnippisch, wenn ich eigentlich verletzlich bin und dünnhäutig. Und manchmal bin ich im Unrecht. Aber was würde es nützen, das zuzugeben?

today

Wie soll man mit dem eigenen Geburtstag umgehen?
Ich habe vieles versucht. Gar nicht gefeiert, still gefeiert, mit Freunden gefeiert, mit vielen Menschen gefeiert. Mir nichts gewünscht, damit ich nicht enttäuscht werde. Mir ganz konkrete Dinge gewünscht, damit ich nicht enttäuscht werde. Mir selbst etwas geschenkt, damit ich nicht enttäuscht werde. Den Geburtstag vorher angekündigt, damit ihn ja niemand vergißt. Den Geburtstag verschwiegen.
Dieses Mal feiere ich. Die Kollegen haben schon gratuliert, die Eltern und Ruth ebenso, heute Abend koche ich für ein paar Freunde, und meinem Blog habe ich den Geburtstag auch nicht verschwiegen.
Dieser Geburtstag scheint ein angenehmer Tag zu werden. Vielleicht, weil ich nicht mehr so krampfig bin, sondern gelassener geworden bin. Vielleicht, weil ich weniger verletzlich, weil weniger eitel bin.
Älter werden scheint so seine Vorteile zu haben.

Apropos

Apropos schamlos.
Wie Sie ja wissen, bin ich allein. Ungefähr einmal im Jahr schlafe ich mit einem Mann, und dieses Jahr war schon.
Ich bin also allein, und wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, hat man dennoch Bedürfnisse. Diesen Bedürfnissen zollte ich am Samstag abend Beachtung – manchmal muß man eben selbst Hand anlegen. Jedenfalls, gegen Ende jener Prozedur hat es sich ergeben, daß ich ein paar unkontrollierte Laute ausstoßen mußte, vielleicht lauter als gewöhnlich.
An sich kein Problem, denn im eigenen Schlafzimmer darf man ja wohl Schlafzimmerdinge tun, und ich würde das hier auch nicht erzählen, hätte ich nicht vor ein paar Tagen festgestellt, daß die Wand, die mein Schlafzimmer von dem des jungen türkischen Ehepaares trennt, aus Rigips ist. Komisch, daß mir das erst jetzt aufgefallen ist, aber man läuft ja nicht durch die Wohnung und lehnt sich an die Wände, außer neulich, als ich mir die Schuhe angezogen habe und merkte, oh, die Wand ist ja ganz dünn.
Ich liege also so im Bett, die Welt tritt langsam wieder in meinen Fokus, und ich denke: upps, das war aber ganz schön laut. Da kommen aus dem Schlafzimmer des jungen türkischen Paares plötzlich Laute, die meinen sehr ähnlich sind. Es ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich, daß die beiden zu just jenem Zeitpunkt einer ähnlichen Tätigkeit nachgegangen sind wie ich. Für wahrscheinlicher halte ich, daß es sich für einen Wink mit den Zaunpfahl seitens des Ehepaares handelt.
Ich werde also langsam rot, überlege mir, was man dann wohl zueinander sagt, wenn man sich das nächste Mal im Treppenhaus begegnet, seufze dann und setze mich vor die Glotze.
Beim Zappen fällt mir auf: Länderspiel Deutschland gegen Georgien. Das 1:0 für Deutschland fällt zeitlich genau mit den Lauten aus der Nachbarwohnung zusammen…

schamlos

945 Tage online, 720 Beiträge. Bislang hielt ich nichts davon, das hier in irgendeiner Weise kommerziell auszunutzen – Befindlichkeitsweblogs eignen sich ohnehin nur eingeschränkt, um Produkte zu bewerben.
Nun ja. Um nicht lange drum herum zu reden: ich hab bald Geburtstag, und ich würde mich freuen, wenn mir jemand was schenkt. Wer mag, könnte dem Geschenk sogar eine persönliche Botschaft hinzufügen. Ich würde mich revanchieren – mit einem Dankeskärtchen in Papier- oder Weblogform zum Beispiel…

Wunschzettel

Frau F. denkt nach und kommt zu keinem Schluß.

Wenn ich nachdenke, dann hilft mir manchmal Robert Smith. Der sitzt dann, leicht transparent, auf der Kante des Sofas, eine Bierflasche in der Hand, schaut auf seine Schuhe und hört mir zu.
Ich rede gerne mit ihm über das Glück. Wie es sich anfühlt, wenn er glücklich ist. Ob es lange dauert oder kurz.
Bei mir ist das Glück ziemlich kurz, ein Moment nur, wenn man auf einer Brücke steht oder an einer roten Ampel. Ein Zwinkern in den Augen Buddhas. Das Glück fühlt sich leicht an, als wäre man ein klein wenig verliebt – in sich selbst vielleicht? Zumindest finde ich mich dann ganz okay, ich werde aber nicht blind gegenüber meinen Makeln und Abgründen. Sie sind nur einfach nicht wichtig in diesem Moment des Glückes.
Gerne würde ich von Robert Smith wissen, ob man Glück auch chemisch herbeiführen kann; es heißt, er habe da Erfahrung. Ich selbst habe keine, zumindest nicht mit verbotenen Substanzen, ich warte noch auf den richtigen Zeitpunkt für meinen ersten Joint, den ich mit einem Mann rauchen will, in einem Zimmer unterm Dach, auf dem Fußboden liegend durchs Dachfenster den Himmel betrachtend.
Das Glück des Rinderbratens, damit kenne ich mich aus. Wenn man einen Bissen von etwas nimmt, die Augen schließt und sagt: einfach perfekt.
Ob er einen Rat für mich hätte. (Von ihm würde ich vermutlich einen annehmen.) Wie man das Glück herbeiführen kann. Ob das überhaupt möglich ist? Doch leider bricht unsere Unterhaltung hier meistens ab; Robert Smith nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche, wird zunehmend transparenter, und ich gehe in die Küche und mache den Abwasch. Stehe dann, die Küchenschürze umgebunden und mit tropfenden Händen, noch einmal im Türrahmen und schau auf die Stelle, wo er nicht mehr sitzt. Ob man, um Glück empfinden zu können, im gleichen Maße Unglück ertragen muß.
Darauf will ich die Antwort nicht selbst herausfinden müssen.