Ich habe so ein Gefühl, und dränge Safran zum Aufbruch. Wir haben gut gegessen und gut geredet, aber jetzt müssen wir los, nicht die Tram, lieber ein Taxi, das geht schneller. Genau richtig, denn im Moment unserer Ankunft fängt Bernd Begemann an zu spielen.
Seine Musik schabt alle Behäbigkeit und alle Alltäglichkeit von mir ab. Er spielt schön und er spielt rockig, er spielt sanft und er spielt wahr. Dazwischen redet er viel, gibt den Clown und den Alleinunterhalter. Er sieht müde aus, unrasiert, unfrisiert. Manches kommt mir wirr vor, manche Songs halb abgebrochen. Bis ich dann endlich verstehe, wie sehr ich mich selbst sehe, wenn ich ihn beschreibe. Wie in einem Spiegel. Wirr und richtungslos, voller Kraft, mit der ich nicht weiß, wohin, und trotzdem immer so müde, aufgerieben von dem, was sich nicht ändern lässt – das bin doch ich. Und geschworen habe ich mir, nie wieder etwas fertig zu machen, nur um des Beendens Willen – irgendwann werde auch ich die Chuzpe haben, mitten im Song aufzuhören.
Einmal spüre ich Angst in mir, die Angst, so lächerlich zu sein wie jene, von der er in einem Song erzählt. Wow, denke ich, Angst, und bin ein bisschen beeindruckt, dass ein Song so viel auslösen kann. Erinnere mich dann, dass ich vor nichts Angst haben muss, oder besser, dass ich die Angst nicht wegschieben brauche, es wird passieren, ich werde mich zum Trottel machen, oft noch in meinem Leben, und ich werde es aushalten können. Aushalten, ohne härter werden zu müssen. Mir kommt da nämlich so ein Gedanke – dass es nicht darum geht, härter zu werden, oder weicher, sondern größer, groß genug, damit alles in mir Platz hat: diese Freude und Lebendigkeit, der Schmerz und die Bitterkeit.
Und all diese Liebe. Bevor Safran gehen muss, ziehe ich sie in meine Arme, meine Hand um ihre Federknochentaille, ihre Hand in meinem Haar, und wir halten uns, halten uns. Nirgendwo anders möchte ich sein.
***
Nach der Show steht er hinter einem Tresen und verkauft CDs. Das Neonlicht ist hart und hell. Ich warte einen Moment, bis das Knäul an Menschen sich aufgelöst hat, immer noch unvertraut mit dieser Plötzlichkeit, mit der man auf einmal allein ist mit ihm. Er schaut mich an und sagt:
„Ich habe dein Blog gelesen.“
Er sagt es ernst und still, so wie alle vor ihm, die diesen Satz zu mir gesagt haben. Ich flüchte mich in die Geschichte vom Europachef und dem Büroteppich, und merke, während ich erzähle, dass das alles nicht so schlimm ist, beinahe schon nicht viel mehr als eine Anekdote, um andere zu unterhalten.
Frage dann, ob es schwer für ihn ist, seine melancholischen Songs vor Publikum zu spielen.
„Es kostet viel mehr Kraft, lustig zu sein“ sagt er müde, und ich bin überrascht, ich dachte immer, genau das wäre so sein Ding. Erinnere mich an die Bloglesungen, wie leicht der Applaus kommt, wenn die Texte witzig sind, und wie schwer die Stille wiegt, wenn sie bitter sind.
„Das, was du als Melancholie bezeichnest, das sind doch bloß Feststellungen“, meint er, und hat Recht, auch wenn wir nicht einer Meinung sind. Melancholie ist das, was entsteht, wenn wir feststellen (müssen), dass die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen. Er hat recht, Melancholie ist ein bourgeoises Gefühl, er hat recht, wenn er es verachtet, aber alles recht haben nützt nichts, wenn man mittendrin steckt in diesem Gefühl.
„Meine Kunst ist es eigentlich, das Publikum lesen zu können“, sagt er, „genau zu wissen, ob sie die rockigen Songs hören wollen oder die stillen, neue Sachen oder alte… aber heute… ihr habt eure Karten echt bedeckt gehalten!“. Er schüttelt den Kopf.
„Es ist genau richtig, so wie es ist“, sage ich, und meine nicht nur seine Show.