18. November 2020

Gegen Ende des Tages ein kleiner Endorphinrausch, und das kam so:

Mein Geschäftsführer hatte an den Head of meiner Abteilung overseas eine kurze Email geschrieben, sich für eine Initiative bedankt und mich cc gesetzt. Der Head of hat ihm geantwortet (und vergessen, mich aus dem cc rauszunehmen), denn im letzten Absatz stand:

Und übrigens, wir sollten bei Gelegenheit mal über Fragmente sprechen, sie ist wirklich sehr, sehr, sehr gut.

Was mein Geschäftsführer natürlich bestätigt hat.

Ich habe dieses Jahr ein paar richtig große Räder gedreht, manche drehen sich auch noch. Das war schwer, ich war da ein paar Mal wirklich sehr weit außerhalb meiner Komfortzone, aber ich bin daran natürlich auch gewachsen. Und es war für mich einfach wichtig, das zu tun, was ich für richtig erachte, um der Organisation, für die ich arbeite, zu dienen.

Es könnten sich Türen für mich öffnen, wenn ich will – aber was will ich? Und was bin ich bereit, dafür zu geben? Ich weiß ganz gut Bescheid über den Preis von Veränderung, was ich tun müsste und was es mich kosten würde.

Also – was will ich? Das Materielle reizt mich nicht mehr sonderlich. Ruhm und Ehre und die großen Titel: ein bisschen. Macht? Ziemlich, und zwar als Mittel, um durchzusetzen, was mir wichtig ist, ohne mir von zu vielen weißen Männern reinquatschen lassen zu müssen. Mehr Truppen? Das wäre ein Traum – der Traum, sich nur noch auf ausgewählte Themen konzentrieren zu köennen, und hoffen, dass es kein böses Erwachen gibt. Mehr mit Profis, mehr konzeptionell denken, mehr netzwerken, noch mehr über meine Organisation zu lernen und die Menschen darin und ihre Geschichten, Themen und Anliegen.

Ein Teil von mir hat große Lust darauf, und ein andere Teil von mir will vor allem seine Ruhe, sich nicht mehr schinden, im Sessel sitzen, TikToks schauen und billige Taschenbücher lesen.

Am Tag vor der Abreise bereue ich meistens sehr, in den Urlaub zu fahren. Ich würde lieber zuhause bleiben. Hinterher hat es mir dann aber stets sehr gut gefallen.

Ich weiß, was die Dinge kosten, und ich weiß so einiges über Veränderung. Es gibt die tiefen Schnitte: der erste Tag in einem neuen Job. Das Flugzeug, das uns woanders hin bringt, und die Luft fühlt sich anders an und das Licht, Sandalen statt Wintermantel. Jemand stirbt, und jemand wird geboren.

Es gibt aber auch die andere Veränderung, die kleine, in Inkrementen. Gewohnheiten, die sich zueinander addieren. Kleine Verschiebungen. Säen, ausdünnen, umtopfen, zurückschneiden, und dann: ein Garten.

Vielleicht so.

Kontakttagebuch: Spaziergang mit Muttern, blauer Himmel und Sonnenschein.

17. November 2020

Mit eher griesgrämiger, lasst-mich-alle-in-Ruhe Laune in den Tag gestartet; Stimmung wurde dann zum Glück immer besser.

Einen sehr kleinteiligen Review endlich abgeschlossen. Die länderübergreifende, von oben angeordnete Herangehensweise ist so aufwendig, mühsam und sinnentfremdet, dass (i) es einen echten Anreiz zum Schummeln gibt, und (ii) man nur noch darauf hinarbeitet, das Dokument zu bearbeiten, und nicht mehr die Aufgabe, die mit diesem Dokument verwaltet werden soll.

Den Sachverhalt meinem Chef dargelegt, das Wort „Ressourcenknappheit“ verwendet, und eine längere Email seinerseits an einen größeren Verteilerkreis ausgelöst, in der er an den Grundpfeilern des Reviews rüttelt. Wohlmeinend, aber wenig erfolgversprechend. Mit ihm videogechattet, eine andere Strategie entwickelt, gute Gründe gehabt, um auch ein wenig sauer zu sein auf ihn, aber er hat, wenn er gut drauf ist, so eine Art, sich zu erklären und um Verständnis zu werben, die mich milde stimmt. Und gut gemeint wars schon.

Bisschen überlegt, woher die Stimmungsschwankungen kommen. Ist es wirklich nur die Pandemie? Also, „nur“, meint: eine Pandemie, die für mich persönlich wenig Einschränkungen mit sich bringt, außer der stärkeren Klarheit als sonst, dass das Leben endlich ist.

Wahrscheinlich liegt es eher am Rollenwechsel, am Spannungsfeld zwischen eingebunden und im Austausch und in Resonanz sein wollen, und auch sehr viel Zeit ganz für mich alleine zu brauchen. Ich dachte früher, ich bin introvertiert, aber jetzt bin ich einfach nur ich selbst.

Die Antwort liegt mir auf der Zunge, verrutscht dann wieder ins Unscharfe, ich bin noch unentschlossen, ob ich wirklich so genau hinschauen möchte.

Weihrauch verbrannt, wussten Sie, dass man dazu gar nicht in die Kirche gehen muss?

Ein bisschen gelesen, mir ist nach etwas ganz seichten, klischeehaften, vielleicht etwas mit Aliens und einer Frau, die gerettet werden muss. Noch nicht über diverse Leseproben hinausgekommen.

Mit der zauberhaften Sarah telefoniert, ein Highlight. Sie fehlt mir. Wir werden uns erst einmal nicht persönlich treffen, nicht, weil es verboten wäre, sondern, weil es das richtige ist. Sie war ein bisschen überrascht, dass ich noch kein graues Haar habe – aber ich bin ja auch noch nicht so alt?

Kontakttagebuch: Muttern.

16. November 2020

Unruhige Nacht mit dunklen Träumen, in deren Bilder ich auch nach dem Aufstehen noch eine ganze Weile gefangen bleibe.

Home Office diese Woche. Produktivität heute niedrig, zumindest fühlt es sich so an. Mit allem latent unzufrieden.

Die Ministerpräsidentenkonferenz beschließt weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, aber eigentlich dann doch nicht. Alles lasch. Frau Dr. Merkel guckt in der Pressekonferenz, wie ich mich fühle.

Abends geht dann doch noch ein Licht auf: eine Freundin hat einen neuen Job gefunden, vielleicht sogar eine neue Berufung. Und eine andere hat ein Kind bekommen. Und für beide freue ich mich aufrichtig.

Kontakttagebuch: ein kurzes Hallo von Muttern, die sich heute mit einer ihrer Freundinnen getroffen hat.

15. November 2020

Leichter Schmerz, weil das Wochenende schon wieder vorbei ist.

Über die Ungerechtigkeit, dass gerade dann, wenn ich mich soweit regeneriert habe, um das Leben so richtig genießen zu können, der Montag anbricht, habe ich bereits ausreichend gerantet, glaube ich. Das Wochenende dient eben nur der Wiederherstellung der Arbeitskraft, das hat der Kapitalismus so vorgesehen. Vielleicht ist aber das Leben ohnehin das, was passiert, wenn man gerade nicht so genau hinguckt.

Über Weihnachtsgeschenke nachgedacht, Ablage gemacht, paar Serien runtergeladen, Musik gehört, TikTok. Nix gelesen. Mit der Freundin telefoniert, die morgen ein Kind bekommt – aufregend!

Noch einen Film geguckt, ein Schritt zuviel, über Liebe, Macht, und Geld, diese drei. Viele der Locations wiedererkannt. Der Banker Friedrich (Nicki von Tempelhoff) überschüttet seine junge Geliebte mit Liebe, sie aber wendet sich jemanden zu, der vor allem sein eigenes Ding macht. Ich fand die Vorstellung, so im Zentrum der Aufmerksamkeit und Hingabe zu stehen, gar nicht so unattraktiv. Am Ende aber ist jemand tot, jemand anderes muss ins Gefängnis, und ich bin ganz froh, alleinstehend zu sein und emotional schön zwischen vier und sieben.

Eigentlich eine gute Geschichte für Paartherapie, aber das deutsche Fernsehen kann eben nur Krimi.

Kontakttagebuch: heute wirklich niemanden, nichtmal meine Mutter.

14. November 2020

Guter Tag heute. Den Sonnenschein im Wohnzimmer genossen, ein besonders warmes Licht. Angenehm Zeit mit TikTok, Internet und Serien vertrödelt. Das erste Weihnachtsgeschenk verpackt. Spaziergang mit meiner Mutter, der Himmel blau. Ein neues Buch angefangen, hineingefallen in den Text, vielleicht lese ich es heute noch aus.

Es tut mir ganz gut, diese Entschleunigung, der stille November. Ich fühle mich, als wären wir schon mittendrin in der Weihnachtszeit, genauer: in der Zeit zwischen den Jahren, mit dem 24. Dezember als harte Deadline, und neue Dinge nehmen frühestens Mitte Januar Fahrt auf. Ein seltsamer Genuß.

Im Fernsehen spricht Sebastian Kurz zum harten Lockdown in Österreich: Schulen und alle Geschäfte bis auf Lebensmittel geschlossen. „Treffen Sie sich mit niemanden“, bittet er. Die Inzidenz liegt bei über 500. Ich kann den Gedanken nicht abschütteln, dass es bei uns in zwei Wochen ähnlich laufen wird. Das wäre für mich persönlich nicht schlimm, so wie sich für mich auch der stille November eher wie Wellness anfühlt. Aber ich weiß, dass andere nach Atem ringen.

Kontakttagebuch: meine Mutter und ein Paketbote von Amazon, bei dem ich mich mit Trinkgeld von meiner Schuld freigekauft habe.

13. November 2020

Als ich gerade in diese Stadt gekommen war, also vor etwa zehn Jahren, bin ich einem der besten Bücher begegnet, die ich je gelesen habe: The City & the City, von China Miéville. Die eine Stadt, Besźel, und die andere Stadt, Ul Qoman, teilen sich denselben Ort – nein, sie existieren am selben Ort, wie zwei ineinander verschränkte Hände, wie zwei Bilder, die sich überlagern. Die Bewohner der beiden Städte sprechen unterschiedliche Sprachen, sie haben ein unterschiedliches Alphabet, sie kleiden und bewegen und verhalten sich ganz unterschiedlich. Sie haben von klein auf gelernt, die andere Stadt und seine Bewohner nicht zu sehen, sie sogar bewußt zu ent-sehen, aus ihrer Wahrnehmung zu löschen. Es ist so selbstverständlich, das andere nicht wahrzunehmen, dass die Leute noch nicht einmal sagen können, ob es verboten ist, tabuisiert oder einfach eine tief eingegrabene Gewohnheit ist. Das Nicht-Sehen ist noch nicht einmal ein Thema, und es würde niemanden einfallen, darüber zu sprechen.

Und dann geschieht ein Mord, den die Hauptfigur – ein Kriminalkomissar – nur aufklären kann, wenn er in beiden Städten ermittelt.

Ich weiß noch genau, wie ich damals dieses Buch gelesen habe, hauptsächlich in der U-Bahn. Es war Winter, denn ich habe einen Mantel getragen. Ich weiß noch, wie es am Bahnsteig immer gerochen hat, wie das Neonlicht flackerte, welche Farbe die Züge hatten und der Bezug der Sitze, und welches Geräusch die U-Bahn beim Einfahren gemacht hat. Wie sie Wind erzeugt hat, und meine Haare waren lang.

Hin und wieder habe ich aufgeblickt, in diese Stadt, und die Menschen, die in ihr leben: die ganz armen und die ganz reichen, und die in der Mitte; die Suchtkranken und die Rechtschaffenen. Die einen, denen man es ansieht, und die anderen, bei denen man es nur vermutet. Die, die von der Arbeit kommen, und die, die gerade hingehen und die, die keine haben. Die Verliebten und die verbitterten, die traurigen, die müden, die aufgekratzen, die feiernden.

Sie scheint mir eine der kleinsten Metropolen der Welt zu sein, diese Stadt. Man muss nur ein paar Schritte gehen, um von den Bankentürmen zu den Bordellen zu kommen. Und oft gibt es an genau derselben Stelle eine andere Stadt, sobald sich die Uhrzeit ändert.

Gerade ist es auch eine andere Stadt, in dieser seltsamen Zeit. Der stille November. Ich könnte gar nicht den Finger drauf legen, es ist nicht schlimm, ich fühle mich nicht fremd, aber es fällt mir auf.

Ich fühle mich auch nicht fremd von der, die ich vor zehn Jahren war. Ich weiß noch genau, wie das damals war, wie es sich angefühlt hat und welche Farben es hatte. Aber es kommt mir sehr weit weg vor, wie etwas, das ich gesehen hatte, bevor ich in den Zug eingestiegen und weit weg gefahren bin.

Kontakttagebuch: eine Besprechung zu dritt in einem zu kleinen Raum mit Abstand, aber ohne Maske. Die üblichen im Büro. Meine Mutter.

12. November 2020

Glücklich.

Es gibt dann immer wenig zu schreiben.

Ich denke oft darüber nach, ob es etwas gibt, dass mich glücklich gemacht hat oder jetzt gerade glücklich macht, in diesem Moment, wo ich es fühle. Gerade bin ich im absoluten und sehr unspektakulären Alltag glücklich, und nicht am Strand von Abu Dhabi, auf einem Motorboot mitten im See, beim Cure-Konzert oder beim Karaoke, nackt im Hotelzimmer oder bei einem perfekten Steak.

Seltsam, dieses anlasslose Glücksgefühl im Alltag. Vielleicht ein Irrtum in der Hirnchemie? Euphorie ist es jedenfalls nicht, es ist ein leises, zartes, warmes, leichtes Gefühl. Ich fühle mich gut mit mir, sicher und gleichzeitig frei. Alles gelingt. Auch die Gedanken sind leicht und frei und schnell, meine innere Welt sehr reich. So, wie ich manchmal im Schwermut auf nichts Lust habe, habe ich jetzt Lust auf alles, und alles interessiert mich. Auch das Nichtstun fühlt sich köstlich an.

Morgen ist es vielleicht schon wieder vorbei. Aber jetzt ist es gut, und ich bin dankbar.

Kontakttagebuch: wie gestern, außerdem war ich im Supermarkt mit Ffp2-Maske.

11. November 2020

Vormittags in hoher Taktung gearbeitet, unter anderem die Frage geklärt, ob eine Transaktion ausgeführt wird, wenn da an der einen Stelle was anderes steht als sonst immer (wahrscheinlich ja). Videokonferenz mit einem Kollegen außerhalb Deutschlands, für den ich gerade eine Tabelle mit einhundert Spalten ausfüllen muss. Also eigentlich nicht für ihn, wir haben im Gespräch versucht herauszufinden für wen eigentlich. Das sind die Anforderungen ist so eine wiederkehrende Antwort, oder eben für Audit. Mich bisschen echauffiert, weil die Tabelle zum tricksen verführt: die Zahl der Spalten ist vorgegeben, aber wieviele Zeilen ich aufnehme, ist meine Entscheidung. Bizarr. Und vor lauter Tabelle ausfüllen wird überhaupt nicht mehr an der Sache gearbeitet, man verwaltet und dokumentiert nur noch. Habe ihm angekündigt, dass die Evaluation für einige meiner Zeilen leider unsatisfactory sein wird. Längeres Klagen meinerseits, dass die Aufgaben immer mehr und immer komplexer werden, ich aber weder mehr Zeit noch mehr Mitarbeiter bekomme. Mangel an Fusstruppen ist ohnehin so ein Thema. Mir selbst zugehört, wie ich immer weinerlicher wurde, und dann damit aufgehört. Bis Freitag werde ich liefern.

Zwischendurch kam mein Lunch, beim Vietamesen bestellt, Bun und Papayasalat und Sommerrollen und Sate, sehr lecker, leider nur ein paar Minuten Zeit gehabt, dann der nächste Call, Reste nun in meinem Kühlschrank.

Im Call hat mich dann meine, hm, Kontaktperson im Detail in Kenntnis gesetzt, wie es dazu kam, dass der europäische CEO gestern zurückgetreten ist (Spoiler: nicht freiwillig). Erfahren, wer alles angezählt ist, und wer demnächst aufsteigt. Trotz allem nicht verstanden, was der große Plan ist. Vielleicht gibt es auch keinen. Fühlt sich alles sehr Game of Thrones an, und im Hintergrund läuft the Rains of Castamere. Die letzten Staffeln haben dann ja nicht mehr so viel Sinn gemacht, aber noch sind wir in der Mitte.

Ein paar mehr Gespräche geführt. Mich selbst gespürt, vor allem dort, wo ich noch wachsen muss, wo es noch nicht reicht. Eine Mitarbeiterin, die sehr gut ist, sollte mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen. Und ein anderer Mitarbeiter, der ziemlich schlecht ist, sollte auch mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen, mehr Führung, mehr Kontrolle, dafür müsste ich aber mehr im Thema sein, es würde mich noch mehr Zeit kosten. Es ist nie genug. Immer wieder diese Sehnsucht danach, dass jemand kommt und mir genau sagt, wie ich es machen soll. Aber das ist natürlich Blödsinn, so jemand gibt es nicht. Es gibt viele andere, die mir eine Idee geben können, ein Gefühl für die Organisation, die ein Vorbild sein können. Aber in den Details, in den kleinen und oft auch in den großen Entscheidungen bin ich allein.

Was tun mit der Zeit, die uns bleibt?

Eine große Frage.

Kontakttagebuch: weniger als zehn Leute im Büro, alle mit Maske. Der Geschäftsführer und ich ohne Maske, aber mit Abstand. Meine Mutter.

10. November 2020

Den Tag mit Esther Perel begonnen, die ich für ihre Serie How’s work sehr schätze. Im Podcast spricht sie mit der New York Times über Beziehungen und die Pandemie, remote working und Gespräche mit Trump-Befürwortern.

Zwei Themen bleiben mir vor allem in Erinnerung: working from home, sagt sie, sei eigentlich working with home. Zuhause fallen alle Rollen zusammen, wir sind zeitgleich Mitarbeiterin, Vorgesetzte, Hausfrau, Ehepartner, Elternteil etc. Das ist kräftezehrend, zumal die Gelegenheit fehlt, uns an anderen Orten als eine andere zu erleben: im Restaurant, in der Oper, auf Reisen, in Konferenzräumen. Esther Perel merkt an, dass wir zwar per Video sehr gut aufgabenorierntiert zusammenarbeiten können, aber die interpersonelle Ebene fehlt: das kreative, das zufällige, mentoring, wachsen, Führung.

Zum anderen geht es darum, wie man mit Trump-Unterstützern in der Familie umgehen kann. Hier rät Esther Perel dazu, sich nicht so sehr auf die inhaltliche Ebene zu konzentrieren, denn man wird nur diskutieren und streiten und zu keinem Ergebnis kommen. Sie findet es wichtiger, sich auf das zu konzentrieren, was einen mit der anderen Person verbindet, und was wir an dem anderen schätzen: Talk to the person, not from their lowest part. Talk to her from her aspiration.

Im Büro dann erst einmal ein Ärgernis: meine externe Dienstleisterin hatte die Daten von gestern für mich bearbeitet und sie mir verschlüsselt zurückgeschickt. Normalerweise gehe ich dann auf ein Portal, melde mich an und kann die Daten dort runterladen. Heute jedoch war das Portal für mich gesperrt, da die IT auf einem anderen Kontinent beschlossen hatte, für alle Mitarbeiter ein anderes Filterprogramm anzuwenden, in dem natürlich nicht meine Berechtigungen und Freischaltungen hinterlegt waren. Etwa drei Stunden und zahlreiche Tests, Chats und Anrufe hat es gedauert, bis die IT das Problem identifiziert und gelöst hatte. Schmerzhaft.

Am späten Vormittag dann der Paukenschlag: der europäische CEO ist zurückgetreten. Das ist gar nicht gut, hat zu diversen Besprechungen, hektischen Telefonaten und langen Gesichtern geführt. Mein Netzwerk angeworfen, aber noch nicht rausbekommen, warum er gegangen ist und was das bedeutet. So ganz freiwillig kann es nicht gewesen sein. Eine große Veränderung liegt in der Luft, und wie Sheldon Cooper wusste, ist Veränderung niemals gut. Und ich habe schon mit dem business as usual genug zu tun.

Mit dem Geschäftsführer und einem Kollegen mittagessen gegangen, sofern man das heutzutage noch kann. In unserem Fall bedeutete das: beim Edelitaliener Pizza zum mitnehmen bestellt, in der Wartezeit eine kleine Runde durch den Park, vorbei am leerstehenden Hotel. Meinem Vorgesetzen auch eine Pizza mitgebracht, zu viert im Konferenzraum mit Abstand gegessen. Geschäftsführer hat Kaffee ausgegeben.

Es heißt ja, dass wir im Job alle nach drei Dingen streben: gesehen werden, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Ich mag es schon, dieses Pizza essen und abhängen mit den coolen Jungs, aber vielleicht sollte ich es lieber nicht zugeben.

Nachmittags ein längeres Gespräch geführt mit meiner Mitarbeiterin, die gestern so geklagt hatte. Im Gespräch wurde sie immer ruhiger und entspannter, es hilft, glaube ich, Aufmerksamkeit zu geben und das Gefühl, gesehen zu werden, auch, wenn ich keine Lösung für sie aus dem Ärmel zaubern kann und so manches auch anders beurteile als sie.

Im Anschluß gleich ein Gespräch mit meinem Vorgesetzen auf meinen Wunsch. Erstmal gefragt, wie es ihm geht (schlecht, seine Datenauswertung stürzt seit mehreren Tagen immer ab und er weiss nicht warum), ihn gefragt, ob er heute genug Geduld für mich hat („das werden wir ja dann sehen“) und ihn um Feedback für meine Führung bezüglich meiner Mitarbeiterin gebeten. Das ist nicht ganz gelogen, aber tatsächlich hängen die Abteilungen zusammen und mein Problem ist eigentlich auch sein Problem. Ihn gut dazu bewegt, über das Problem nachzudenken, mit ihm gemeinsam eine Strategie entwickelt. Keine Spitzen oder Sticheleien zugelassen, und mich in meiner Rolle gut gefühlt. Es war eines der besten Gespräche mit ihm seit langer Zeit.

Paar Sachen weggearbeitet, nach Hause gefahren, Gespräch mit meiner Mutter. Eine Bekannte von ihr ist überraschend verstorben, tot aufgefunden im Bett. Die Bekannte war immer wieder sehr depressiv, tat sich schwer mit tragfähigen Beziehungen und war sehr auf Status und materielle Güter ausgerichtet. Einen früheren Schlaganfall hatte sie gut überstanden, jetzt aber – so spekulieren wir – die Medikamente heimlich abgesetzt. Ein stiller Suizid.

Kontakttagebuch: zehn Leute im Büro mit Maske, ein Mann vom italienischen Restaurant, der die Nase nicht in der Maske hatte, es war aber alles draußen und mit Abstand; der Geschäftsführer, mein Chef, ein Kollege und ich im großen Konferenzraum mit Abstand, aber ohne Maske, meine Mitarbeiterin und ich in meinem winzigen Büro mit maximalen Abstand aber ohne Maske, mein Chef und ich in seinem Büro mit sehr soliden Abstand und ohne Maske. Meine Mutter.

9. November 2020

Diese Woche wieder Büro.

Um 06:30 Uhr aufgestanden, das Home Office wieder abgebaut, zwei Monitore ins Auto geladen, dazu den Laptop, eine Dockingstation, eine Tastatur, einen Maus, eine Tasche mit Kleinzeug, ein paar Dokumente (eigentlich verboten), ein Notizblock, mein schwarzes Notizbuch (hoffentlich), diverse Kabel, eine neue Wasserflasche mit Markierung, Obstsalat, Lasagne für den Lunch, privates und berufliches iPhone, und einen USB-Stick.

Kurz vor neun im Büro, in der Ladezone geparkt, der Security zugerufen, dass ich da nur 10 Minuten stehe, einen Rollwagen geholt, jemanden daran erinnert, dass er mir noch Daten schuldet, alles ausgeladen und mit dem Lastenaufzug hochgefahren. Nur den Laptop ins Netz gebracht, die Daten erhalten, die Daten verschlüsselt, den Entschlüsseler, der am anderen Ende der Welt sitzt, gebeten, die Daten freizugeben, und gebetet, dass meine externe Dienstleisterin, die in Stuttgart sitzt, die Daten rechtzeitig bekommt, ehe sie ihr Kind abholen muss.

Die Monitore, die Dockingstation, die Tastatur, die Maus und die Kabel aufgebaut, installiert und eingestöpselt. Meinen Chef abgewimmelt, Beratung mit dem Geschäftsführer, mit unserer Rechtsanwältin telefoniert, drüber spekuliert, wie hoch die Rechnung der (sehr guten) Rechtsanwältin sein wird, ich tippe auf fünfzigtausend, und werde das in ein paar Monaten nachschlagen. Obstsalat gegessen. Mir die Klagen meiner Mitarbeiterin angehört, mit der externen Dienstleisterin telefoniert, mit der Rechtsanwältin telefoniert, ein Dokument unterzeichnen lassen und nach London geschickt, meinem Chef erklärt, dass ich eine Sache noch nicht gemacht habe. Mit einer weiteren Mitarbeiterin telefoniert, für einen anderen Mitarbeiter besondere Daten ausgedruckt und mir versprechen lassen, dass ich etwas bei ihm gut habe.

Lasagne gegessen.

Angefangen, eine große Datenbank zu überarbeiten. Mit noch einer Mitarbeiterin gesprochen, jetzt wird es langweilig, glaube ich. Verträge gesucht und auch gefunden. Mit meinem kleinen Team ein kleines Meeting gemacht, eher zäh, vieles besprochen, was bereits besprochen wurde, der Biss fehlt. Versucht, Motivation aufzubauen.

Vom Geschäftsführer gefragt worden, wie es mir geht, was ich heute noch von ihm brauche, ob wir mal wieder zum Lunch gehen wollen, auch wenn gerade alle Restaurants geschlossen sind, vielleicht irgendwo was abholen? Gerührt gewesen.

Gutes Gespräch mit dem Head of IT in London, gutes Gespräch mit meinem Chef, der zunehmend verzweifelt ist, weil er nix delegieren kann oder möchte, und das ist halt hart. Bisschen angefangen, mit ihm gemeinsam daran rumzudenken, wie man ihn entlasten könnte, mal sehen, ob der Wind günstig steht, ein paar Mal bin ich ja schon daran gescheitert, ihm zu helfen.

Man darf Menschen nicht mehr helfen, als sie es wollen.

Um halb sieben Feierabend gemacht, in die Tiefgarage gefahren. Kein Auto. Hatte ich in der Ladezone vergessen, sehr viel Adrenalin beim Gedanken, vielleicht abgeschleppt worden zu sein, war aber noch da.

Nach Hause gefahren, durch die grüne Welle und dann Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn. Auf den letzten drei Kilometern Nebel über den Auen, und Billie Eilish singt mir ins Ohr.

Gutes Gespräch mit meiner Mutter, Lob & Ehre verdient durch Lösen eines Computerproblems. Um 20:00 dann der große Feierabend, Schuhe aus, BH aus, Toast gegesse, diesen Text geschrieben. Gleich noch lesen. Zwei- oder zweieinhalb Stunden für mich.

Angenehm müde.

Kontakttagebuch: etwa zehn Leute im Büro, alle immer mit Maske, ich Ffp2. Meine Mutter ohne Maske. Zweimal Security mit Maske.