drei

Es gibt drei Möglichkeiten:

Ich weiß nicht, was ich will.

Ich weiß, was ich will, aber ich will es mir nicht eingestehen.

Ich weiß, was ich will, aber ich will den Preis dafür nicht zahlen.

Ich bin gespannt, wie sich dieser Beitrag in einem Jahr lesen wird, wenn ich vielleicht die Antwort weiß.

Antonym

Was ich am Sommer besonders liebe: Wäsche auf dem Balkon trocknen. Vor allem Bettwäsche. Morgens abziehen, zwei Stunden Hygieneprogramm in der Waschmaschine, aufhängen, und nach nicht einmal zwei weiteren Stunden ist alles trocken, und das Bett kann frisch bezogen werden.

Leider hasse ich es, das Bett zu beziehen. Es ist mit Abstand die Haushaltstätigkeit, die ich am meisten verabscheue. In allem wohnt eine Dualität.

Die Tage, an denen ich die Bettwäsche auf dem Balkon trocknen lassen kann, sind rar gesät. Es muss dafür richtig warm sein, sonnig und am besten wolkenlos, aber zumindest ohne Regengefahr. Außerdem darf diese Art des Wäschewaschens weder mit meiner Erwerbstätigkeit im Büro noch mit meinem Wunsch nach Erholung kollidieren. Keine Angst – ich wasche meine Bettwäsche sehr regelmäßig und nicht nur dreimal im Jahr. Ich lasse sie aber meistens über Nacht im Wohnzimmer trocknen.

Gestern war so ein Tag, wo sowohl das Wetter als auch mein Home Office Tag die Trocknung auf dem Balkon erlaubten. Und wie die Wäsche dann riecht! Nach Sommer und Sonne und… naja, als ob „trocken“ ein Geruch wäre. Ein Antonym zu Petrichor. Ich dachte lange, es hiesse „Petrichlor“ – ich war wohl zu viel in Schwimmbädern. Riecht ja auch ganz anders.

Petrichor ist übrigens ein erfundenes Wort (wobei ja alle Wörter erfunden sind, irgendwie). Gibt es erst seit den 1960ern, zusammengesetzt aus „Petra“ für Stein – ich sollte diese Stadt vielleicht tatsächlich mal besuchen – und „ichor“: Blut der Götter. Drama!

Für den Geruch von in der Sonne getrockneter Wäsche sollte es auch ein eigenes Wort geben, finde ich. Im altgriechischen bedeutet „αὔω (aúō)“ laut Gemini „trocknen“ oder „ausdörren“, oft im Zusammenhang mit Sonne oder Feuer. Kann nur niemand aussprechen. Man könnte ins lateinische gehen und es „solsiccare“ nennen, Sol für Sonne und Siccare für trocknen (Vorschlag von Andrea). Vor tausend Jahren, als ich in einem endlosen Sommer Experimente in organischer Chemie an der Universität durchführte, verwendeten wir ein Gerät namens „Exsikkator“, ein Topf aus Glas, der unter Vakuum gesetzt wurde und den Inhalt dann super trocknete.

Nochmal was zu Petrichor: dass Menschen und Tiere riechen können, wann es wo geregnet hat, macht total Sinn, wenn wir uns Jäger und Sammler in der Steppe vorstellen. Irgendjemand hat erforscht, dass Kängurudamen besonders gerne ovulieren, nachdem sie Petrichor gerochen haben. Es wird dann für einen selbst und den Nachwuchs genügend Futter zur Verfügung stehen.

Eigentlich schade, dass sich die Aufzucht im Beutel evolutionär nicht durchgesetzt hat. Schmerzfrei Kinder gebären, und immer eine Handtasche dabei – das wär’s doch.

push and pull

Seit ein paar Wochen bin ich in einer seltsamen Stimmung. Ich schaue in mich hinein, und da ist nichts, das ich muss, und nichts, das ich will. Es gibt Dinge, die ich tun könnte, vielleicht sogar sollte: die Steuererklärung, mehr auf meine Gesundheit achten, oder endlich mal den Kabelsalat hinter dem Schreibtisch aufräumen. Und Dinge, die ich möchte: unser Kernbankensystem verstehen, in einer lauen Sommernacht auf dem Balkon liegen und in die Sterne gucken, mein Bad renovieren.

Aber die Dringlichkeit und der Druck der letzten Jahre – Jahrzehnte – ist weg.

Man könnte meinen, das ist eine gute Sache, paradiesisch sogar. Ich bin da noch unentschlossen und vor allem unsicher. Ich funktioniere gut unter Druck, in der Krise sogar super, auch wenn es nicht gut für mich ist. Ich kann Triage, ich weiß, was zu tun ist, wenn ich muss. Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn ich etwas will, wenn sich in mir eine Entscheidung geformt hat, die manchmal getroffen zu sein scheint, bevor mein Gehirn es so richtig registriert oder analysiert hat. Er ist dann einfach da, der pull, und zieht mich zu sich, mit Geschwindigkeit und manchmal wie im Rausch.

Für das hier habe ich keine Routine, was auch immer das ist. Eine Leerstelle.

Eine Leerstelle wie in einem Schiebepuzzle, in dem immer etwas frei bleiben muss, damit man die Dinge sortieren kann. Es hat mich immer schon gestört, das dabei auch am Ende etwas leer bleibt, als ob man nie fertig werden würde.

Es gibt noch ein anderes Gefühl, das zwar nicht weg, aber doch sehr viel schwächer geworden ist: das Gefühl, etwas nachholen zu müssen, denn: ich habe mittlerweile vieles nachgeholt, ich habe mir selbst vieles gegeben, was ich mir in schweren Zeiten habe versagen müssen. Manchmal denke ich, ich habe mein inneres Kind geheilt, aber das stimmt natürlich nicht. Es gibt eine Stimme in mir, die sagt: es ist genug.

Aber – war das schon alles?

Soll es jetzt auf immer so weitergehen? Es könnte jetzt immer so weitergehen, mit einem Job, der mich interessiert und mich fordert, mit Reisen und Restaurants und Austern und Hummer und Ausflügen und Verabredungen und Karaoke und Konzerten und vielen, vielen guten Büchern. Es ist schön. Es ist ein gutes Leben.

Aber – war das schon alles?

Midlife Crisis, sagt Andrea.

Wenn ich ein Mann wäre, würde ich jetzt vielleicht alles kaputt schlagen, einen Sportwagen kaufen, mich scheiden lassen, mir Haare in der Türkei transplantieren lassen. Ich hingegen weiß von der Zerbrechlichkeit der Dinge, und von den Stellen, an denen auch ich zerbrechlich bin.

Sonst weiß ich leider gerade nicht so viel. Ich weiß nicht, was ich als nächstes tun will. Ich weiß nicht, was das Leben mir als nächstes bringen wird. Ich weiß nicht, wann ich es wissen werde. Und ich weiß nicht, wie dieser Text enden soll.