future self

Ich bin bekanntlich keine Freundin von Ratschlägen. Es gibt jedoch einen, der kommt mir öfter mal in den Sinn, obwohl ich auf den ersten Blick nicht zur Zielgruppe gehöre. Es ist ein Ratschlag an einen Teenager, der sexuelle Erfahrungen machen möchte, aber niemand interessiert sich für ihn:

Worry less about getting your young teenage self laid and start thinking about getting your 18- or 20-year-old self laid. Join a gym and get yourself a body that girls will find irresistible, read—read books—so that you’ll have something to say to girls (the best way to make girls think you’re interesting is to actually be interesting), and get out of the house and do shit—political shit, sporty shit, arty shit—so that you’ll meet different kinds of girls in different kinds of settings and become comfortable talking with them. (Quelle: Savage Love)

In dem Zusammenhang: Joseph Gordon-Levitt, ein Kinderstar aus „hinterm Mond gleich links“ und „10 Dinge, die ich an dir hasse“. Er verschwindet für ein paar Jahre von der Bildfläche, studiert an der Uni, dreht ein paar gute, wenig beachtete Indie-Filme, dann „(500) days of Summer“. Und in Inception steht da plötzlich ein eleganter, ausdrucksstarker Mann, kein Kind mehr, ein Mann, ein Schauspieler, und raubt einem den Atem. Aus so vielen Sternchen in Teenager-Serien ist nichts geworden (Jason Behr aus Roswell? James Van Der Beek aus Dawsons Creek? Irgendjemand aus ALF?), sie dienen viel zu oft letzen Endes als Futter für Skandalmeldungen von Drogensucht, Verhaftungen, psychischen und finanziellem Bankrott.
Was hat Gordon-Levitt anders gemacht? Obwohl ich es nicht mit Sicherheit weiß, gefällt mir der Gedanke, er hätte sich nicht darauf konzentriert, sofort ein berühmter Schauspieler zu werden, sondern später ein guter – indem er zur Uni geht, sich bildet, interessantes erlebt und in kleinen Filmen und harten Rollen sein Handwerk erprobt.

Dieser Rat, sich weniger Sorgen zu machen um eine sofortige Veränderung, sondern kleine Schritte hin zu dem future self, das man gerne sein möchte, der erscheint mir wirklich gut.
Auch für mich selbst.

nichts.

Heute blogge ich nichts. Heute ist ein blöder Tag. An nichts habe ich Freude, betäube mich mit Lachs und Nougateiern, Masturbation und Glee.
So blöde Tage kenne ich schon, da hilft nichts außer sie auszusitzen, sie gehen vorbei. Auch blöd: den Fernseher einschalten und ein explodierendes Atomkraftwerk sehen. Eigentlich sollte danach alles besser schmecken, unverseucht, man sollte sich freuen über das Wasser aus der Leitung, den Strom aus der Steckdose, dem Anruf der liebsten Freundin. Stattdessen sitzt man freudlos blöde Tage aus. Ein weiterer Tag aus den 30 000, die mir zu Verfügung gestellt wurden von irgendwem, der mich in diese Welt geworfen hat. 12 000 habe ich schon aufgebraucht. Wieder einer weniger, mit dem ich anderes hätte machen können mit einem gesunden Körper in einem Land, das nicht in Trümmern liegt.

unberührbar

Oh, wie ich es hasse zu schreiben. Wörter zäh wie… Metaphern, die mir nicht einfallen oder zu abgelutscht sind oder nicht passen. Buchstaben, die sich mit aller Kraft dagegen wehren, heruntergepresst zu werden, hineingepresst in mein digitales Lehmtäfelchen. Bevor ich irgendwas schreiben kann, muss ich erst das ganze Internet leer gelesen haben, bis all diese Stimmen meine eigene überschreien. Dann kann ich einen ersten Satz schreiben und mich fühlen wie Virginia Woolf („ich habe einen ersten Satz!“). Zwischen den Sätzen muss ich aufstehen und Zahnseide benutzen, das ist ja auch ganz wichtig. Und bei allem immer schön ironisch bleiben. Ironisch sein ist einfach. Man kann sich über alles äußern, ohne dass es einen selbst betrifft, unberührt, unverletzlich, unveränderlich, und dazu singt MC Hammer „can’t touch this“.

Aufschreiben heißt, etwas festzuhalten. Mich selbst festhalten, mich erkennen, in Fragmenten. Ich will das, und ich will das doch nicht, sonst wäre es nicht so schwer, sonst würde ich mich mir selbst nicht entwinden wollen. Wenn ich es nicht aufschreibe, bin ich nicht zufrieden, weil ich so bequem bin, die einfache Lösung wähle; wenn ich es aufschreibe, bin ich nicht zufrieden, weil es mir nicht genau genug ist. Ich kann nicht gewinnen.

Ich habe eine Zeitlang nicht geschrieben. War auch nicht besser. Also schreibe ich wieder, und ich hasse es.

Talisman

Ich benutze dich gelegentlich als Talisman – genauer: meine Erinnerung an dich. Weniger, wie wir uns in der Dunkelheit von Hauseingängen geküsst haben, nein; mehr das gleißend weiße Zimmer, die weiße Bettwäsche, die weißen Vorhänge, kolonial und tropisch heiß, dreckiger Sex, der mich rein gemacht hat wie weißes Papier, mich ausgewischt hat, mich formatiert hat wie einen korrupten Chip. Ein Reset, der mich befreit hat von all dem Ballast. Von allen Schwänzen war deiner der Schönste.

Eine Erinnerung wie ein Talisman, der Glaube daran gibt dieses extra bisschen Kraft, das weit trägt, das die Schritte federn lässt, das sich wie ein Schutzfilm mich legt und mich an manchen Tagen all diese Menschen, ihre Dummheit und die Tristesse von U-Bahnhöfen vergessen lässt.

überdreht

Die Linie seiner Schultern ist wie eine Bogensehne bis zum Anschlag gespannt. Der Körper unter Strom, sein linkes Bein vibriert staccato. Das Café um ums herum ist bis zum letzten Platz belegt, die Kellner hetzen zwischen Tischen und Menschen umher. Ein wilder Tanz, ein Rausch, der einen betäubt.

Da nehme ich seine Hände, die linke mit meiner linken, die rechte mit meiner rechten, fest, aber nicht zu fest. Halte gegen seinen Druck. Er will sprechen, will lachen, ein Fisch sein, der sich herauswindet. Ich bitte ihn zu schweigen. Wir schauen uns an. Ich atme ein, langsam. Atme aus. Atme ein, atme aus. Es wird gedämpfter um uns herum, langsamer, als hätte man den Regler eine Viertel Umdrehung zurückgedreht. Er ist jetzt ganz da, bei mir, und wir sind uns nah.

Ich denke oft an ihn, wenn ich in mir jenen flügelschlagenden Kolibri spüre, mich überdreht und überspannt fühle wie eine Spule. Windup Woman. Es fehlt ein zweites Paar Hände.

Adaption

Sie sei ausgegangen, erzählt Ruth, mit einer Kollegin, die sie eher flüchtig kannte, auf ein Konzert einer unbekannten Band in einem kleinen Club. Die Musik hätte ihr nicht so sehr gefallen, deshalb habe sie sich die Menschen angeschaut, besonders gefallen hätte ihr der Türsteher. „Guck, guck!“, hätte sie die Kollegin in die Rippen gestupst, „sieht der nicht ein bisschen aus wie James Hatfield?“. Und tätowiert sei er auch gewesen. Ich nicke, ich weiß, was Ruth an einem Mann gefällt.
Nach dem Konzert hätten sie sich noch mit ein paar Leuten unterhalten, wen man halt so kennenlernt, genauer: wen Ruth eben so kennenlernt, sie kann sehr witzig sein, eloquent und voller Lebendigkeit. Die Kollegin hätte still und schüchtern daneben gesessen. Irgendwann hätte sich auch der Türsteher zu ihnen gesellt, er hatte schon Feierabend, und als der Club kurz darauf zu machte, seien sie noch woanders hin gegangen.
Dann sei die Kollegin aufs Klo verschwunden, man hatte ja auch schon einiges getrunken. Als sie nach einem gerüttelt Maß Zeit nicht zurückkehrte, sei sie nachschauen gegangen. Sie habe an der Tür der Damentoilette geklopft, herausgekommen sei – der Türsteher, und ein wenig später auch die Kollegin.
Ein paar Tage später habe sie die beiden wieder getroffen. Sie sind jetzt ein Paar. Der Türsteher sei auf sie zugekommen, habe sie umarmt und gesagt: „danke!“. Angefühlt hätte sich das vor allem ungerecht. Die Kollegin habe sich im November von ihrem Freund getrennt, oder er sich von ihr, und war vor jenem Konzert nicht mehr unter Menschen. Und dann ein Abend und zack! Sie sähe halt gut aus, jene Kollegin, sei vor allem schlank, auch wenn sie nicht mehr ganz jung ist.
***
Mich bedrücken ja nicht die schönen Menschen, die mit einem Fingerschnippen einen Partner finden. Mich bedrücken eher die nicht so schönen Menschen, mit eher durchschnittlicher Persönlichkeit, die jemand finden, während man selbst alleine bleibt.
***
„Gehst du mit mir zum Speed-Dating?“, fragt Ruth. Been there, done that, und wollte mich danach in den Schnee legen und sterben. Aber ich bin ja älter geworden, kann besser umgehen mit Ablehnung, kann vielleicht sogar zwanzigfache Ablehnung in zwei Stunden überleben. Und wenn Ruth jemand findet, werde ich mich für sie freuen, oder zumindest überzeugend so tun, als ob.

ruecken

(ohne Titel)

Ich träume, daß ich in ein kleines Haus ziehe. Es gefällt mir wirklich sehr, fröhlich durchschreite ich die Räume. Im Wohnzimmer liegt Sand. Das stört beim Regale aufstellen, also fege ich ihn weg, aber darunter kommt nur noch mehr Sand zum Vorschein, immer mehr. Ich trete aus dem Haus und sehe, daß mich nur zwei Schritte vom Meer trennen. Das Haus ist auf Sand gebaut und wird bald vom Meer verschlungen werden. Allzu lang hatte ich ohnehin nicht vor, darin zu wohnen, sage ich mir.