Skateboardstürze

Er steht vor der Tür und raucht, die Menschen strömen an ihm vorbei. Ich gehe zu ihm, grüße, und schweige. Ich habe dazugelernt und halte mich an der Flasche Saft fest, die ich gerade gekauft habe. Schraube den Deckel ab, trinke einen Schluck, schaue ihn an. Er schweigt. Dann tritt er einen Schritt zurück, von mir weg, obwohl wir ohnehin mehr als einen halben Meter Distanz zwischen uns haben.
Ich sage zwei Sätze zu Freitag, er sagt, er schaue dann mal vorbei. Bis bald, sag ich, und gehe.

Da war er jetzt, der Raum, den ich ihm geben wollte, und er war nur mit Unbehagen gefüllt. In den letzten Jahren habe ich gelernt, Schweigen auszuhalten – Lektionen in Demut – aber ich kann es immer noch nicht besonders gut. Es beunruhigt mich. Und dieser Schritt zurück, von mir weg, erinnert mich an die Skateboarder, die ich gestern auf Youtube gesehen habe, wie sie sich durch Gravitation und Geschwindigkeit von ihren Brettern lösen und in Geländer krachen, auf Treppenstufen aufprallen, verbogene Gliedmaßen hochhalten und bluten, bluten. Ich bin der Skateboarder, er ist das Brett. Mache ich denselben Fehler wie vor ein paar Monaten, und begehre einen jungen Mann, der nicht den Mut hat, mir zu sagen, daß er mich abstoßend findet? Die Antwort lautet wohl: ja, und zieht die Frage nach sich: warum?
Vielleicht muß ich wieder einmal wissen, wie ich auf Männer wirke, und brauche ihn als Spiegel. Vielleicht braucht mein Begehren Raum, wenn auch nur von mir projiziert, konstruiert, aber doch immerhin mit einem realem Objekt: ihm. Vielleicht sollte ich es genau so sehen: als eine Möglichkeit, etwas über mich zu lernen, und als einen Prozeß, den ich ohnehin nicht steuern kann. Wir sind in Bewegung, nehmen Geschwindigkeit auf, und wenn die Haut sich abschürft, die Prellungen kommen, werde ich mich nicht beklagen.

(ohne Titel)

Ich drehe an kleinen Schrauben, bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ich gehe zur Dir hin und rede, rede, rede.

Später fühle ich mich leer, weil ich nur geredet, aber
Dir keinen Raum gelassen habe. Zum reden oder sonstwas.

Freitag also. Du kommst, sagst du, und ich sage „cool“.
Cool bin ich nicht.

Elevator pitch

Ich werde ihn heute nicht sehen, denke ich, und wasche mir die Haare nicht, auch wenn ich mir die Augenringe überschminke, die ich habe, weil ich nachts so viel grübeln muß.

Er sitzt allein an einem Tisch in der Kantine, die ich gerade verlasse, mein leergegessener Teller auf meinem Tablett, und schaut hoch, schaut mich an, und lächelt dieses Lächeln, das mich trifft, weil es für zwei Sekunden aufrichtige Freude verrät. Wir grüßen, und ich gehe weiter, während unter meiner Bauchdecke ein Alien zappelt. Mein Körper, ein Verräter, lächerlich, so auf ein Lächeln zu reagieren.
Ich gehe zurück in mein Büro, ziehe mir den Mantel aus, und dann wieder an. „Ich gehe mir Kaugummis kaufen“, sage ich der Kollegin, „da war Knoblauch in der Soße“.
Durch die großen Fenster sehe ich ihn fünf Stockwerke unter mir. Ich drücke hektisch den Aufzugknopf, eine Süchtige auf der Suche nach ihrem Hit. Der Aufzug ist gegen mich, und mein Crush verschwunden, als ich unten ankomme. Ich kaufe Kaugummis und sehe ihn auf dem Rückweg in ein Nachbargebäude verschwinden. Tag der verpaßten Gelegenheiten, denke ich, und warte auf den Aufzug. Der Aufzug ist mein Freund: gerade, als sich die Türen schließen, erhasche ich einen Blick auf meinen Crush, drücke |<>|, die Aufzugtüre öffnet sich, und er steigt ein.

An der Auswahl von Gesprächsthemen für Aufzugfahrten muß ich noch arbeiten, aber wir unterhalten uns, kurz und ungeschickt, und ich bin high.

Tanzbärin

Natürlich stelle ich ihn mir vor: wie er sich auszieht, während ich in meinem weißen Sessel sitze. Wie er sein Schlüsselbein entblößt. Wie meine Hände sein Gesicht erforschen, bis mir nichts mehr fremd ist. Wie sich sein Haar abfühlen, und seine Hände in meinen Haar. Wie wir nebeneinander in meinem Bett liegen, und dann ineinander –

Mir ist das peinlich. Ich bin mir peinlich, weil ich mich nicht im Griff habe, mich verrenne, schon wieder, mich zur Närrin mache, mir einen Ring durch die Nase ziehen lasse, und wenn die Melodie erklingt, dann kann ich nicht anders und muß tanzen, plump.
Ich bin ein Druckkochtopf, so wie meine Mutter einen hatte, Sicomat, ich hatte immer Angst, daß er irgendwann explodiert. Oben entweicht pfeifend Dampf, innendrinn weiche Matsche. Ich glaube, ich explodiere auch bald.
Mir ist das so peinlich, daß ich mich nicht beherrschen kann, sondern beherrscht werde von dieser Mixtur aus Begierde, Sehnsucht, Einsamkeit, Trieb und biologischem Programm. Mein Gehirn wird zur weichen Matsche, und das macht mich wütend, macht mich zur Idiotin, rasend von Wut, Speichel spuckend.

Es ist ein Elend, und ich hasse die Männer, weil sie mich schwach machen, und ich liebe sie, und die Gedanken, die sie in mir wecken. Ich hasse diesen Zustand, und ich liebe ihn, weil er die Welt in kräftigen, leuchtenden Farben zeichnet.

Inneres Erdbeben

Meinen heimlichen Crush das erste Mal seit fast einem Jahr wiedergesehen. Ihn erkannt, von hinten. Immer habe ich Angst, daß ich die Menschen nicht mehr erkenne. Wenn ich versuche, mir Gesichter ins Gedächtnis zu rufen, scheitere ich oft, daher kommt diese Angst. Ihn habe ich sofort erkannt, sogar von hinten. Seine Haare, unter einer Basecap hervorragend, an die ich eine halbwegs bewußte Erinnerung hatte, und sein Körper, seine Körperhaltung, seine Größe, die Linie seiner Schultern und das leicht hochgezogene. Unbewußte Erinnerungen. Dann sein Gesicht, das ich erkenne, und bereits jetzt nicht mehr beschreiben kann.
Wir schauen uns an, während ich mit der Kollegin vorbeischlendere, zu viele Gedanken in meinem Kopf. In seinem Blick diese leichte, allgemeine Unsicherheit, eine große Wachheit und ein wenig Trotz. Ich bin ihm verfallen wegen dem, was sich in seinen Augen widerspiegelt.
Ich grinse, ziehe die Augenbrauen hoch. Er setzt zu einem Gruß an, der mittendrin verloren geht. Dann bin ich an ihm vorbei, und während ich überlege, mich umzudrehen und zu ihm zurückzugehen, haben mich meine Schritte bereits von ihm weggeführt.
Shit. Es wäre so cool gewesen.

***

Zwei Stunden später treffe ich mich mit der Fledermaus im Café um die Ecke, eine weitere Stunde später laufe ich zurück zu meinem Büro. Da kommt er mir entgegen, was ein kleiner Zufall ist, aber kein großer. Ich wußte, daß er in dem Gebäude, in dem mein Büro liegt, einen Termin hat, und konnte grob abschätzen, wann dieser vorbei sein würde. Jetzt bin ich also halbwegs vorbereitet, gehe direkt auf ihn zu und merke erst später, daß das vielleicht ein bisschen beängstigend war: eine kräftige, schwarz gekleidete, zu allem entschlossene Frau, pfeilgerade auf ihn zugehend. Ich sage „Hallo!“ und seinen Namen. Ich mag seinen Namen. „Wie gehts?“, frage ich, und wir tauschen Höflichkeitsfloskeln aus. Als er mich fragt, wie es mir geht, verknoten sich meine Worte. Eine Frage, auf die ich viel zu erzählen, viel über mich zu erzählen hätte, aber ich sage nur: „muß ja“. Frage ihn ein wenig nach seinem Termin, er bleibt einsilbig, wenn auch schüchtern lächelnd, seine Worte abgehackt, als verließe ihn der Mut mittendrin. Aber was weiß ich schon, ich kann Männer nicht besonders gut einschätzen.
„Du hast einen ziemlichen Eindruck bei mir hinterlassen“, sage ich, anerkennend. „Hoffentlich positiv“, meint er, und ich bejahe. Dann verabschieden wir uns.

Vielleicht wollte ich ihm nur das sagen: daß ich ihn schätze, daß ich viel von ihm halte. Ich habe ihn in der Schulung gedisst und wollte das schon lange geraderücken. Es fühlt sich gut an, diesen Aspekt zu einem runden Ende gebracht zu haben. Für ein paar Stunden hat mir das Treffen mit ihm ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, mich leicht und beschwingt gemacht. Jetzt kommt ein wenig Traurigkeit hinzu, weil ich mich wieder erinnere, mich wieder ganz genau erinnere, was mir fehlt.
Wie wirds weitergehen? Wir werden einander wahrscheinlich hin und wieder zufällig begegnen, uns freundlich grüßen. Womöglich reden wir sogar miteinander: small talk und Floskeln. Alles andere wäre ein Wunder.

(ohne Titel)

Nur noch so kleine Häppchen Aufmerksamkeit, wenn ich aufsteige aus dem Text oder den Tabellen, an denen ich gerade arbeite. Genug für Twitter, nicht genug für Mails oder ganze Sätze. Ich sammle die kleinen Häppchen und mache ein Mix-CD daraus, als dankeschön für die Aufmerksamkeiten, die mich via Amazon anläßlich meines Geburtstages erricht haben. Novembermusik 2008.

***

Geträumt, ich würde zwei Bären stillen, so groß wie Katzenbabies, einer schwarz, einer weiß, an prallen Brüsten. Es zieht und kitzelt und fühlt sich gut an.

(ohne Titel)

Weißauchnicht. Irgendwie gehts wieder.
Aufgefangen worden von meinen Kollegen, Ruth, meinen Eltern.
Midori hat mich gewärmt. Die Fledermaus hat ein treffendes Bild gefunden von zwei, die in einem Boot sitzen. Kittykoma meint, ich hätte eine Ausstrahlung, als ob etwas großes in mir schlummern würde. Ich bin ein wenig rot geworden. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Vielleicht etwas großes. Vielleicht ist es auch schon vorbei. Ich war schön, als niemand hinsah/ ich war brilliant, als es egal war/ Kellner beim Fest, auf dem ich selbst nicht erwünscht war… Womöglich hat Don Alphonso recht und die wichtigsten Kenntnisse in den nächsten Jahrzehnten werden Fruchtfolgte, Schweinehaltung und Stickstoffdüngung auf Winterweizen sein. Auch so könnte ich leben.

Leben. Demnächst werde ich einunddreißig. Letztes Jahr eine Liste von Dingen erstellt, die ich im Leben noch so machen möchte. Null gemacht. Ich stecke fest, klebe fest, komme nicht voran, und das wird wohl auch noch in meinem neuen Lebensjahr eine Weile so bleiben. Es gab üppige Lektionen in Demut, fast mehr, als ich aushalten konnte, auch, was die Männer betrifft (1/ 2/ 3).

Leben. Mir kommt es manchmal so vor, als ob es aus Bruchstücken besteht: heiter und traurig, schwarz und weiß, positiv und negativ. Diese Fragmente gleichen sich nicht aus, sie sind einfach da, und die Kunst besteht darin, den Widerspruch auszuhalten.
Seit Twitter blogge ich nicht mehr so häufig. Trotzdem bin ich zufrieden mit meinen Fragmenten. Das letzte Jahr ist umfassend und treffend dokumentiert worden, hier in meinem kleinen Archiv. Ich hoffe, das bleibt so. Alles andere darf sich ändern.

Oh, und vielleicht läßt sich jemand erweichen und schenkt mir was über Amazon.

bis einer heult

Was tun, wenn man nicht weinen will? Wie die Contenance bewahren?
„Jetzt bloß nicht heulen!“ zu denken hilft schon mal nicht, macht nur die Nase rot, einen Kloß im Hals.
Rechner runterfahren, Mantel anziehen, ein wenig aus dem Fenster blicken, um Fassung ringen. Zum Parkplatz laufen, das grün und rot und gold der Bäume verschwimmt.
Was tun, wenn man nicht weinen will? Nachgeben, laufen lassen, an der Ampel stehen und sich über die Wangen wischen. Dann endlich: zuhause. Die Hose ausziehen, sich ins Bett legen, gekrümmt.
Als mein Hund starb, habe ich tagelang geweint. Es lief aus mir heraus, ständig, als wäre ich leck geschlagen. Es war ein gutes Weinen, irgendwie, weil der Schmerz durch mich hindurchlief und gemischt war mit Dankbarkeit für das, was mir gegeben wurde. Alles ist sterblich.
Jetzt ist es ein verkrampftes Weinen, mit wenig Tränen, aber einem riesigem Kloß im Hals und sehr viel Bitterkeit. Ich glaube nicht, daß ich je so um einen Mann geweint habe. Vielleicht, weil mir dies hier wichtiger ist: zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. An meinem Scheitern hat kein Mann, kein Gott Anteil, nur ich selbst.

Grenzen

Schlecht geschlafen, ungewöhnlich für mich. Zwei Stunden vor dem Wecker aufgewacht: Existenzängste. Zur Arbeit gegangen und bis abends um acht an einem Text gearbeitet. Text rausgemailt, dann eine stupide, aber dringende Aufgabe angegangen, die körperlichen Einsatz erfordert. Es hat ewig gedauert, ich brauchte immer wieder eine Pause. Gegen elf fertig gewesen und nach Hause gegangen, müde bis auf die Knochen. Direkt ins Bett, liegend noch kurz mit Ruth telefoniert.
Beim Weckerklingeln todmüde gewesen, zweitausend Kilo Blei. Hochgerafft, leicht Kopfschmerzen, ungewöhnlich für mich. Am Kaffee gewürgt, stattdessen Tee gemacht. Zur Arbeit geschleppt, vor mich hingearbeitet, zunehmende Übelkeit. Kantinengang mit Kollegen abgesagt. Mit dem Gedanken gespielt, früher nach Hause zu gehen. Gegen eins ist mir so schlecht, daß ich wirklich gehe. Zuhause ziehe ich mir den Pullover aus, dann erbreche ich mehr als einen Liter ätzende Flüssigkeit. Mein Gesicht ist rot und geschwollen, später werden die geplatzen Äderchen sichtbar sein. Ich wasche mir den Mund aus, lange, putze mir die Zähne. Mein Rachen ist verätzt. Dann gehe ich ins Bett und schlafe sofort ein paar Stunden, völlig erschöpft.

So ist es also, wenn ich an meine Grenzen komme. Gut zu wissen, daß der Körper ab einem gewissen Punkt die Reißleine zieht. Schön, wenn man wieder gesundet und die Kraft zurückkommt. Unbegrenzt ist sie leider nicht.