Technik des Weblogs

Manchmal denke ich mir: „cool, das sollte ich bloggen.“ Zum Beispiel, daß ich am Samstag mein Auto wegfahren mußte, weil ich in unmittelbarer Nähe des Boxhagener Platzes wohne und fürchtete, es könnte angezündet werden. Übertrieben, sicher, aber sicher ist sicher. Auf dem Rückweg lief ich die Friedrichstraße hinunter und dachte: „cool, ’ne Demo. Fotografier‘ das doch mal für dein Weblog“.

demo

Nachdenklich wurde ich, als die Demonstranten „last… minute…com…“ und „nur 19 Euro“ riefen. Es handelte sich um einen Werbegag. Ich fands nicht so lustig, insbesondere ging mir der Krach ziemlich auf die Nerven.

„Oh, Polizeiaufgebot für den Boxhagener Platz. Fotografier‘ das doch mal für dein Weblog.“

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„Schreib‘ doch mal ’ne Story“, dachte ich mir, wie du damals nach Berlin gezogen bist und von noch weniger eine Ahnung hattest als jetzt, und du hast dieses chemische Grundpraktikum absolviert und dein Labornachbar kam am 2. Mai mit einer Wahnsinnsplatzwunde zwischen Nase und Oberlippe ins Labor und wenn du ihn heute, fünf oder sechs Jahre später, triffst, dann hat er noch immer diese Narbe.

Aber irgendwie macht es mir keinen Spaß, solche Dinge zu bloggen. Es kostet auch so viel Mühe, sich hinzusetzten und das aufzuschreiben. Dann aber sitze ich in der S-Bahn und mir geht ein Satz oder zwei durch den Kopf, eine Begegnung durch die Gedanken, und der Blogeintrag ist fertig, in mir drin, und muß nur noch getippt werden. Es ist das innerliche, vielleicht sogar das innerlichste, das aufgeschrieben werden möchte. Ich habe das nicht so beschlossen, es ist einfach so.

Umwege

Ich kenne mich hier aus, es ist mein Viertel – und doch, ich verpasse eine Abzweigung. Meine Freundin Ruth bog niemals links ab, aus Prinzip nicht. Eine ihrer liebenswerten Schrullen. Sie bog einfach so oft rechts ab, bis sie dennoch an ihr Ziel gelangte.
Ich fahre geradeaus; komme an seltsamen Gewerbegebieten vorbei. Deutsche Post Immobilienverwaltung. Gleise, abgestellte Züge und Waggons. Flachdachbauten. Ein halb abgerissenes Haus, die Bagger stehen still. Schließlich, die Frankfurter Allee, eine große, drei- bis vierspurige Bundesstraße, die schnurgerade durch die Stadt schneidet. Das Linksabbiegen ist verboten. Also biege ich rechts ab, linke Spur, hoffe auf die Möglichkeit, einen U-Turn machen zu können. Es geht geradeaus, immer geradeaus, die beiden Richtungen durch einen weißen Zaun getrennt. Jeder Meter bringt mich weiter weg von dort, wo ich hin will, aber das ist Luxus: an einem sonnigen Spätnachmittag im Auto sitzen, ohne daß es zu etwas nütze sein muß. Ich fühle mich gut, ein wohliges Katzengefühl, ein wenig dekadent vielleicht. Friedrichshain liegt hinter mir, rechts und links von mir die Plattenbauten von Lichtenberg, tausend kleine, identische Fenster. Alt-Biesdorf schließlich, das ist weniger Vorstadt, sondern eher ein Dorf am Rande der Stadt. Wilde Grünflächen zwischen den Häusern. Letztes Jahr im Sommer bin ich hier mit dem Fahrrad entlang gefahren, ich erinnere mich an das Zirpen der Heuschrecken. Ich wäre damals fast gestorben vor Erschöpfung; ich hatte die Distanz unterschätzt.
Dann drehe ich um, fahre zurück in die Stadt, die Plattenbauten wie Riesen, die mich begrüßen.