14. November 2020

Guter Tag heute. Den Sonnenschein im Wohnzimmer genossen, ein besonders warmes Licht. Angenehm Zeit mit TikTok, Internet und Serien vertrödelt. Das erste Weihnachtsgeschenk verpackt. Spaziergang mit meiner Mutter, der Himmel blau. Ein neues Buch angefangen, hineingefallen in den Text, vielleicht lese ich es heute noch aus.

Es tut mir ganz gut, diese Entschleunigung, der stille November. Ich fühle mich, als wären wir schon mittendrin in der Weihnachtszeit, genauer: in der Zeit zwischen den Jahren, mit dem 24. Dezember als harte Deadline, und neue Dinge nehmen frühestens Mitte Januar Fahrt auf. Ein seltsamer Genuß.

Im Fernsehen spricht Sebastian Kurz zum harten Lockdown in Österreich: Schulen und alle Geschäfte bis auf Lebensmittel geschlossen. „Treffen Sie sich mit niemanden“, bittet er. Die Inzidenz liegt bei über 500. Ich kann den Gedanken nicht abschütteln, dass es bei uns in zwei Wochen ähnlich laufen wird. Das wäre für mich persönlich nicht schlimm, so wie sich für mich auch der stille November eher wie Wellness anfühlt. Aber ich weiß, dass andere nach Atem ringen.

Kontakttagebuch: meine Mutter und ein Paketbote von Amazon, bei dem ich mich mit Trinkgeld von meiner Schuld freigekauft habe.

13. November 2020

Als ich gerade in diese Stadt gekommen war, also vor etwa zehn Jahren, bin ich einem der besten Bücher begegnet, die ich je gelesen habe: The City & the City, von China Miéville. Die eine Stadt, Besźel, und die andere Stadt, Ul Qoman, teilen sich denselben Ort – nein, sie existieren am selben Ort, wie zwei ineinander verschränkte Hände, wie zwei Bilder, die sich überlagern. Die Bewohner der beiden Städte sprechen unterschiedliche Sprachen, sie haben ein unterschiedliches Alphabet, sie kleiden und bewegen und verhalten sich ganz unterschiedlich. Sie haben von klein auf gelernt, die andere Stadt und seine Bewohner nicht zu sehen, sie sogar bewußt zu ent-sehen, aus ihrer Wahrnehmung zu löschen. Es ist so selbstverständlich, das andere nicht wahrzunehmen, dass die Leute noch nicht einmal sagen können, ob es verboten ist, tabuisiert oder einfach eine tief eingegrabene Gewohnheit ist. Das Nicht-Sehen ist noch nicht einmal ein Thema, und es würde niemanden einfallen, darüber zu sprechen.

Und dann geschieht ein Mord, den die Hauptfigur – ein Kriminalkomissar – nur aufklären kann, wenn er in beiden Städten ermittelt.

Ich weiß noch genau, wie ich damals dieses Buch gelesen habe, hauptsächlich in der U-Bahn. Es war Winter, denn ich habe einen Mantel getragen. Ich weiß noch, wie es am Bahnsteig immer gerochen hat, wie das Neonlicht flackerte, welche Farbe die Züge hatten und der Bezug der Sitze, und welches Geräusch die U-Bahn beim Einfahren gemacht hat. Wie sie Wind erzeugt hat, und meine Haare waren lang.

Hin und wieder habe ich aufgeblickt, in diese Stadt, und die Menschen, die in ihr leben: die ganz armen und die ganz reichen, und die in der Mitte; die Suchtkranken und die Rechtschaffenen. Die einen, denen man es ansieht, und die anderen, bei denen man es nur vermutet. Die, die von der Arbeit kommen, und die, die gerade hingehen und die, die keine haben. Die Verliebten und die verbitterten, die traurigen, die müden, die aufgekratzen, die feiernden.

Sie scheint mir eine der kleinsten Metropolen der Welt zu sein, diese Stadt. Man muss nur ein paar Schritte gehen, um von den Bankentürmen zu den Bordellen zu kommen. Und oft gibt es an genau derselben Stelle eine andere Stadt, sobald sich die Uhrzeit ändert.

Gerade ist es auch eine andere Stadt, in dieser seltsamen Zeit. Der stille November. Ich könnte gar nicht den Finger drauf legen, es ist nicht schlimm, ich fühle mich nicht fremd, aber es fällt mir auf.

Ich fühle mich auch nicht fremd von der, die ich vor zehn Jahren war. Ich weiß noch genau, wie das damals war, wie es sich angefühlt hat und welche Farben es hatte. Aber es kommt mir sehr weit weg vor, wie etwas, das ich gesehen hatte, bevor ich in den Zug eingestiegen und weit weg gefahren bin.

Kontakttagebuch: eine Besprechung zu dritt in einem zu kleinen Raum mit Abstand, aber ohne Maske. Die üblichen im Büro. Meine Mutter.

12. November 2020

Glücklich.

Es gibt dann immer wenig zu schreiben.

Ich denke oft darüber nach, ob es etwas gibt, dass mich glücklich gemacht hat oder jetzt gerade glücklich macht, in diesem Moment, wo ich es fühle. Gerade bin ich im absoluten und sehr unspektakulären Alltag glücklich, und nicht am Strand von Abu Dhabi, auf einem Motorboot mitten im See, beim Cure-Konzert oder beim Karaoke, nackt im Hotelzimmer oder bei einem perfekten Steak.

Seltsam, dieses anlasslose Glücksgefühl im Alltag. Vielleicht ein Irrtum in der Hirnchemie? Euphorie ist es jedenfalls nicht, es ist ein leises, zartes, warmes, leichtes Gefühl. Ich fühle mich gut mit mir, sicher und gleichzeitig frei. Alles gelingt. Auch die Gedanken sind leicht und frei und schnell, meine innere Welt sehr reich. So, wie ich manchmal im Schwermut auf nichts Lust habe, habe ich jetzt Lust auf alles, und alles interessiert mich. Auch das Nichtstun fühlt sich köstlich an.

Morgen ist es vielleicht schon wieder vorbei. Aber jetzt ist es gut, und ich bin dankbar.

Kontakttagebuch: wie gestern, außerdem war ich im Supermarkt mit Ffp2-Maske.

11. November 2020

Vormittags in hoher Taktung gearbeitet, unter anderem die Frage geklärt, ob eine Transaktion ausgeführt wird, wenn da an der einen Stelle was anderes steht als sonst immer (wahrscheinlich ja). Videokonferenz mit einem Kollegen außerhalb Deutschlands, für den ich gerade eine Tabelle mit einhundert Spalten ausfüllen muss. Also eigentlich nicht für ihn, wir haben im Gespräch versucht herauszufinden für wen eigentlich. Das sind die Anforderungen ist so eine wiederkehrende Antwort, oder eben für Audit. Mich bisschen echauffiert, weil die Tabelle zum tricksen verführt: die Zahl der Spalten ist vorgegeben, aber wieviele Zeilen ich aufnehme, ist meine Entscheidung. Bizarr. Und vor lauter Tabelle ausfüllen wird überhaupt nicht mehr an der Sache gearbeitet, man verwaltet und dokumentiert nur noch. Habe ihm angekündigt, dass die Evaluation für einige meiner Zeilen leider unsatisfactory sein wird. Längeres Klagen meinerseits, dass die Aufgaben immer mehr und immer komplexer werden, ich aber weder mehr Zeit noch mehr Mitarbeiter bekomme. Mangel an Fusstruppen ist ohnehin so ein Thema. Mir selbst zugehört, wie ich immer weinerlicher wurde, und dann damit aufgehört. Bis Freitag werde ich liefern.

Zwischendurch kam mein Lunch, beim Vietamesen bestellt, Bun und Papayasalat und Sommerrollen und Sate, sehr lecker, leider nur ein paar Minuten Zeit gehabt, dann der nächste Call, Reste nun in meinem Kühlschrank.

Im Call hat mich dann meine, hm, Kontaktperson im Detail in Kenntnis gesetzt, wie es dazu kam, dass der europäische CEO gestern zurückgetreten ist (Spoiler: nicht freiwillig). Erfahren, wer alles angezählt ist, und wer demnächst aufsteigt. Trotz allem nicht verstanden, was der große Plan ist. Vielleicht gibt es auch keinen. Fühlt sich alles sehr Game of Thrones an, und im Hintergrund läuft the Rains of Castamere. Die letzten Staffeln haben dann ja nicht mehr so viel Sinn gemacht, aber noch sind wir in der Mitte.

Ein paar mehr Gespräche geführt. Mich selbst gespürt, vor allem dort, wo ich noch wachsen muss, wo es noch nicht reicht. Eine Mitarbeiterin, die sehr gut ist, sollte mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen. Und ein anderer Mitarbeiter, der ziemlich schlecht ist, sollte auch mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen, mehr Führung, mehr Kontrolle, dafür müsste ich aber mehr im Thema sein, es würde mich noch mehr Zeit kosten. Es ist nie genug. Immer wieder diese Sehnsucht danach, dass jemand kommt und mir genau sagt, wie ich es machen soll. Aber das ist natürlich Blödsinn, so jemand gibt es nicht. Es gibt viele andere, die mir eine Idee geben können, ein Gefühl für die Organisation, die ein Vorbild sein können. Aber in den Details, in den kleinen und oft auch in den großen Entscheidungen bin ich allein.

Was tun mit der Zeit, die uns bleibt?

Eine große Frage.

Kontakttagebuch: weniger als zehn Leute im Büro, alle mit Maske. Der Geschäftsführer und ich ohne Maske, aber mit Abstand. Meine Mutter.

10. November 2020

Den Tag mit Esther Perel begonnen, die ich für ihre Serie How’s work sehr schätze. Im Podcast spricht sie mit der New York Times über Beziehungen und die Pandemie, remote working und Gespräche mit Trump-Befürwortern.

Zwei Themen bleiben mir vor allem in Erinnerung: working from home, sagt sie, sei eigentlich working with home. Zuhause fallen alle Rollen zusammen, wir sind zeitgleich Mitarbeiterin, Vorgesetzte, Hausfrau, Ehepartner, Elternteil etc. Das ist kräftezehrend, zumal die Gelegenheit fehlt, uns an anderen Orten als eine andere zu erleben: im Restaurant, in der Oper, auf Reisen, in Konferenzräumen. Esther Perel merkt an, dass wir zwar per Video sehr gut aufgabenorierntiert zusammenarbeiten können, aber die interpersonelle Ebene fehlt: das kreative, das zufällige, mentoring, wachsen, Führung.

Zum anderen geht es darum, wie man mit Trump-Unterstützern in der Familie umgehen kann. Hier rät Esther Perel dazu, sich nicht so sehr auf die inhaltliche Ebene zu konzentrieren, denn man wird nur diskutieren und streiten und zu keinem Ergebnis kommen. Sie findet es wichtiger, sich auf das zu konzentrieren, was einen mit der anderen Person verbindet, und was wir an dem anderen schätzen: Talk to the person, not from their lowest part. Talk to her from her aspiration.

Im Büro dann erst einmal ein Ärgernis: meine externe Dienstleisterin hatte die Daten von gestern für mich bearbeitet und sie mir verschlüsselt zurückgeschickt. Normalerweise gehe ich dann auf ein Portal, melde mich an und kann die Daten dort runterladen. Heute jedoch war das Portal für mich gesperrt, da die IT auf einem anderen Kontinent beschlossen hatte, für alle Mitarbeiter ein anderes Filterprogramm anzuwenden, in dem natürlich nicht meine Berechtigungen und Freischaltungen hinterlegt waren. Etwa drei Stunden und zahlreiche Tests, Chats und Anrufe hat es gedauert, bis die IT das Problem identifiziert und gelöst hatte. Schmerzhaft.

Am späten Vormittag dann der Paukenschlag: der europäische CEO ist zurückgetreten. Das ist gar nicht gut, hat zu diversen Besprechungen, hektischen Telefonaten und langen Gesichtern geführt. Mein Netzwerk angeworfen, aber noch nicht rausbekommen, warum er gegangen ist und was das bedeutet. So ganz freiwillig kann es nicht gewesen sein. Eine große Veränderung liegt in der Luft, und wie Sheldon Cooper wusste, ist Veränderung niemals gut. Und ich habe schon mit dem business as usual genug zu tun.

Mit dem Geschäftsführer und einem Kollegen mittagessen gegangen, sofern man das heutzutage noch kann. In unserem Fall bedeutete das: beim Edelitaliener Pizza zum mitnehmen bestellt, in der Wartezeit eine kleine Runde durch den Park, vorbei am leerstehenden Hotel. Meinem Vorgesetzen auch eine Pizza mitgebracht, zu viert im Konferenzraum mit Abstand gegessen. Geschäftsführer hat Kaffee ausgegeben.

Es heißt ja, dass wir im Job alle nach drei Dingen streben: gesehen werden, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Ich mag es schon, dieses Pizza essen und abhängen mit den coolen Jungs, aber vielleicht sollte ich es lieber nicht zugeben.

Nachmittags ein längeres Gespräch geführt mit meiner Mitarbeiterin, die gestern so geklagt hatte. Im Gespräch wurde sie immer ruhiger und entspannter, es hilft, glaube ich, Aufmerksamkeit zu geben und das Gefühl, gesehen zu werden, auch, wenn ich keine Lösung für sie aus dem Ärmel zaubern kann und so manches auch anders beurteile als sie.

Im Anschluß gleich ein Gespräch mit meinem Vorgesetzen auf meinen Wunsch. Erstmal gefragt, wie es ihm geht (schlecht, seine Datenauswertung stürzt seit mehreren Tagen immer ab und er weiss nicht warum), ihn gefragt, ob er heute genug Geduld für mich hat („das werden wir ja dann sehen“) und ihn um Feedback für meine Führung bezüglich meiner Mitarbeiterin gebeten. Das ist nicht ganz gelogen, aber tatsächlich hängen die Abteilungen zusammen und mein Problem ist eigentlich auch sein Problem. Ihn gut dazu bewegt, über das Problem nachzudenken, mit ihm gemeinsam eine Strategie entwickelt. Keine Spitzen oder Sticheleien zugelassen, und mich in meiner Rolle gut gefühlt. Es war eines der besten Gespräche mit ihm seit langer Zeit.

Paar Sachen weggearbeitet, nach Hause gefahren, Gespräch mit meiner Mutter. Eine Bekannte von ihr ist überraschend verstorben, tot aufgefunden im Bett. Die Bekannte war immer wieder sehr depressiv, tat sich schwer mit tragfähigen Beziehungen und war sehr auf Status und materielle Güter ausgerichtet. Einen früheren Schlaganfall hatte sie gut überstanden, jetzt aber – so spekulieren wir – die Medikamente heimlich abgesetzt. Ein stiller Suizid.

Kontakttagebuch: zehn Leute im Büro mit Maske, ein Mann vom italienischen Restaurant, der die Nase nicht in der Maske hatte, es war aber alles draußen und mit Abstand; der Geschäftsführer, mein Chef, ein Kollege und ich im großen Konferenzraum mit Abstand, aber ohne Maske, meine Mitarbeiterin und ich in meinem winzigen Büro mit maximalen Abstand aber ohne Maske, mein Chef und ich in seinem Büro mit sehr soliden Abstand und ohne Maske. Meine Mutter.

9. November 2020

Diese Woche wieder Büro.

Um 06:30 Uhr aufgestanden, das Home Office wieder abgebaut, zwei Monitore ins Auto geladen, dazu den Laptop, eine Dockingstation, eine Tastatur, einen Maus, eine Tasche mit Kleinzeug, ein paar Dokumente (eigentlich verboten), ein Notizblock, mein schwarzes Notizbuch (hoffentlich), diverse Kabel, eine neue Wasserflasche mit Markierung, Obstsalat, Lasagne für den Lunch, privates und berufliches iPhone, und einen USB-Stick.

Kurz vor neun im Büro, in der Ladezone geparkt, der Security zugerufen, dass ich da nur 10 Minuten stehe, einen Rollwagen geholt, jemanden daran erinnert, dass er mir noch Daten schuldet, alles ausgeladen und mit dem Lastenaufzug hochgefahren. Nur den Laptop ins Netz gebracht, die Daten erhalten, die Daten verschlüsselt, den Entschlüsseler, der am anderen Ende der Welt sitzt, gebeten, die Daten freizugeben, und gebetet, dass meine externe Dienstleisterin, die in Stuttgart sitzt, die Daten rechtzeitig bekommt, ehe sie ihr Kind abholen muss.

Die Monitore, die Dockingstation, die Tastatur, die Maus und die Kabel aufgebaut, installiert und eingestöpselt. Meinen Chef abgewimmelt, Beratung mit dem Geschäftsführer, mit unserer Rechtsanwältin telefoniert, drüber spekuliert, wie hoch die Rechnung der (sehr guten) Rechtsanwältin sein wird, ich tippe auf fünfzigtausend, und werde das in ein paar Monaten nachschlagen. Obstsalat gegessen. Mir die Klagen meiner Mitarbeiterin angehört, mit der externen Dienstleisterin telefoniert, mit der Rechtsanwältin telefoniert, ein Dokument unterzeichnen lassen und nach London geschickt, meinem Chef erklärt, dass ich eine Sache noch nicht gemacht habe. Mit einer weiteren Mitarbeiterin telefoniert, für einen anderen Mitarbeiter besondere Daten ausgedruckt und mir versprechen lassen, dass ich etwas bei ihm gut habe.

Lasagne gegessen.

Angefangen, eine große Datenbank zu überarbeiten. Mit noch einer Mitarbeiterin gesprochen, jetzt wird es langweilig, glaube ich. Verträge gesucht und auch gefunden. Mit meinem kleinen Team ein kleines Meeting gemacht, eher zäh, vieles besprochen, was bereits besprochen wurde, der Biss fehlt. Versucht, Motivation aufzubauen.

Vom Geschäftsführer gefragt worden, wie es mir geht, was ich heute noch von ihm brauche, ob wir mal wieder zum Lunch gehen wollen, auch wenn gerade alle Restaurants geschlossen sind, vielleicht irgendwo was abholen? Gerührt gewesen.

Gutes Gespräch mit dem Head of IT in London, gutes Gespräch mit meinem Chef, der zunehmend verzweifelt ist, weil er nix delegieren kann oder möchte, und das ist halt hart. Bisschen angefangen, mit ihm gemeinsam daran rumzudenken, wie man ihn entlasten könnte, mal sehen, ob der Wind günstig steht, ein paar Mal bin ich ja schon daran gescheitert, ihm zu helfen.

Man darf Menschen nicht mehr helfen, als sie es wollen.

Um halb sieben Feierabend gemacht, in die Tiefgarage gefahren. Kein Auto. Hatte ich in der Ladezone vergessen, sehr viel Adrenalin beim Gedanken, vielleicht abgeschleppt worden zu sein, war aber noch da.

Nach Hause gefahren, durch die grüne Welle und dann Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn. Auf den letzten drei Kilometern Nebel über den Auen, und Billie Eilish singt mir ins Ohr.

Gutes Gespräch mit meiner Mutter, Lob & Ehre verdient durch Lösen eines Computerproblems. Um 20:00 dann der große Feierabend, Schuhe aus, BH aus, Toast gegesse, diesen Text geschrieben. Gleich noch lesen. Zwei- oder zweieinhalb Stunden für mich.

Angenehm müde.

Kontakttagebuch: etwa zehn Leute im Büro, alle immer mit Maske, ich Ffp2. Meine Mutter ohne Maske. Zweimal Security mit Maske.

8. November 2020

Heute das getan, was mir am besten tut: mich treiben lassen, und genau dem nachgegangen, was mich gerade interessiert. Auch noch ein paar sinnvolle Sachen gemacht, Terrasse einwintern zum Beispiel. Tatsächlich aber ganz gut in mich hineingehört, in diese feine Kompassnadel, die sagt – ich möchte das machen, und dann das, und dann jenes: eine bestimmte Serie gucken, Kartoffelsalat machen, TikTok, ein Räuchermännchen anzünden, gemütlich sein, die Beine hochlegen.

Angefangen, ein Buch zu lesen.

Immer auch ein leichter Zweifel in mir, ob es richtig ist, so bedürftig und schwach zu sein. Ob ich nicht härter sein müsste, produktiver, aktiver, belastbarer, mich mehr fordern, mich mehr zwingen.

Ich kann all das, wenn es sein muss, vielleicht besser, als zart zu sein. Morgen schon bin ich wieder so.

7. November 2020

Gut und tief geschlafen, den Vormittag angenehm vertrödelt, aber unangenehm überrascht gewesen vom unfassbar raschen Verstreichen der Zeit. Wenn man älter wird, vergeht die Zeit insgesamt ja immer schneller – das hat damit zu tun, dass die Zeit proportional zu den Lebensjahren kürzer wird und uns daher schneller vorkommt. Freie Zeit vergeht dann noch einmal schneller, und freie Zeit, für die man viele gute Ideen hat, echt rasend.

Nachmittags auf dringenden Wunsch von Muttern einen Spaziergang gemacht. Sehr schöne Strecke unter blauem Himmel durch bunt gefärbte Bäume und Weinberge. Die Gegend hatten wir im ersten Lockdown* entdeckt, bittersüße Erinnerungen daran, wie wir damals dachten, dass all das nur ein paar Wochen gehen wird, höchstens ein paar Monate. Gutes Wort gefunden für den Schwermut, der mit dem Lockdown verbunden ist: Verlust an Teilhabe. Durch diesen Verlust an Möglichkeiten wird es schwieriger, in Resonanz mit der Welt zu treten, sich in ihr zu spüren und mit ihr eine Antwortbeziehung einzugehen. Die Dissonanz schlägt aufs Gemüt, dagegen hilft nur, mir sofort all meine Privilegien aufzuzählen, mir andere, kreative Möglichkeiten zur Resonanz zu überlegen, meine Durchhaltefähigkeit zu beschwören. Es ist, was es ist, und es wird vorübergehen.

Abends noch einen Film angeschaut. Das Aussuchen des Filmes im regulären Fernsehen, auf Prime und auf Netflix, oder im Abo des BBC Players hat länger gedauert als das Film gucken selbst. Ärgerlich, dass sogar im BBC Player manche Filme nicht im englischen Original verfügbar sind, sondern nur in der deutschen Synchronisation. Wo ist die Globalisierung, wenn man sie braucht?

Es gilt als nahezu sicher, dass Biden die Wahl gewonnen hat. Ob er auch Präsident wird, ist eine andere Frage, aber Trump scheint ein bisschen die Puste auszugehen für den Putsch.

Kontakttagebuch habe ich gestern vergessen, weil ich niemanden getroffen habe außer Muttern, heute noch zusätzlich den Paketboten, dem ich FFP2-Maske tragend Trinkgeld gegeben habe. Für meinen Geschmack zu viele Menschen auf dem Spaziergang, unter anderem ein Instagram-fotografierendes Paar, das ist natürlich viel verwerflicher als ich für Twitter**. Mehrere Mountainbiker, einer davon hat Muttern angeatmet, als er den Berg hochgekeucht ist. Ich habe dann im Brustton der Überzeugung gesagt, dass erst ab 15 Minuten Ansteckungsgefahr besteht.

*): es ist natürlich kein echter Lockdown, sondern nur eine Kontaktbeschränkung.

**): wenn wir gemeinsam irgendwo vorbeikommen, das besonders oder pittoresk ist, fragt mich meine Mutter manchmal, ob ich ein Bild machen möchte „für mein Social Media“. Sie fragt auch manchmal, „was hörst du so von deinem Social Media?“. Sie kennt Blog und Twitter nicht (hoffe ich), aber ich finde das so süß von ihr, und es rührt mich, dass sie sich so für mich interessiert.

6. November 2020

Zu einem kleinen Trick gegriffen und meinen Tag heute gamifiziert. In kleinen Blöcken abwechselnd gearbeitet, geputzt und Pause gemacht, die Erwerbsarbeitsblöcke natürlich länger und häufiger. Das hat gut geklappt und nun durchströmt mich ein Gefühl der rechtschaffenen Zufriedenheit, weil ich erledigt habe, was ich mir vorgenommen hatte – ohne mich dabei zu sehr zu quälen.

Tagesschau geguckt und anschließend den Biomüll rausgebracht, es ist knackig kalt und über mir funkeln die Sterne. Kurz einen guten Moment gehabt, in dieser Vorstadtsiedlung mit den gepflegten Vorgärten und den Fernsehern, in denen gerade die Tagesschau lief und jetzt ein Krimi oder ein Spielfilm, alles so bürgerlich und geordnet, und ich bin es nicht, oder vielleicht doch, oder vielleicht ist es auch egal.

Biden wird wohl doch Präsident. Deutschland hatte heute die höchste Zahl an COVID-19 Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie.

5. November 2020

Raureif, zum ersten Mal in diesem Herbst.

Beschissene Nacht gehabt, um halb zwei aufgewacht, von Husten geschüttelt, weil ich gestern etwas aspiriert habe, und das möchte raus, raus, und steckt doch fest. Noch zwei weitere Male aufgewacht, aber nicht mehr so dramatisch. Morgens dennoch erstmal mit Joriste korrespondiert und mich dann durchgerungen, zum Arzt zu gehen.

Der Dorfarzt ist eigentlich ziemlich cool. Terminvergabe ist relativ problemlos, Wartezeit meistens ganz okay, und als Notfall wird man halt zwischengeschoben. Die Praxiseinrichtung ist aus den Achtzigern, am Tresen kauen die Sprechstundenhilfen den gesamten Dorfklatsch durch, und mit Datenschutz hat man es nicht so.

Beim Dorfarzt läuft es so: entweder du hast nix, dann kriegst du ein Rezept und eine (kurze) Krankschreibung, oder du hast was, dann kriegst du eine Überweisung zum Spezialisten. Ich hab wahrscheinlich eher nix, das einen Spezialisten erfordert, obwohl kurz von Röntgen die Rede war, jener neuartigen Technik. Mir steckt was in der Luftröhre, vielleicht ist sie auch nur verletzt, jedenfalls wird es sich bis Montag geben, oder auch nicht, dann komme ich wieder. Sauerstoffversorgung ist gut, gegen Pneumokokken bin ich geimpft, und für jetzt bleibt uns Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei.

Ich hab noch so ein komisches Stechen in der Brust, wird aber bestimmt auch wieder weggehen.

Im Büro krankgemeldet, viel Mitgefühl, natürlich trotzdem ein paar Sachen weggearbeitet, ich schlechtes Vorbild. Der eigentlich verpatzte Systemtest gestern hatte keine Konsequenzen, im Gegenteil, es gab noch Lob. Manchmal hängt die Latte recht tief.

Muttern weiterhin sehr guter Stimmung, schöner Spaziergang bei kalter Luft und tiefblauen Himmel.

Und ich? Ich suche immer noch nach meinem Mojo. Im Büro zu lasch, um mich so richtig freizuschaufeln, in der Selfcare zu lasch, um mich so richtig zu regenerieren. Dümpelt alles so vor sich hin.

Wahl in den USA noch immer nicht entschieden, sieht aber nach Biden aus.

Kontakttagebuch: Arztpraxis mit Ffp2-Maske, Muttern.