Offener Brief an Jings.

Früher, als ich noch jung war und als es noch keine Mobiltelefone gab, habe ich manchmal Botschaften mit Kreide auf den Asphalt geschrieben.

Verena – hatte schon nach der 4. Schluß und bin heim.

zum Beispiel. Oder:

Lieber Peter, wir sind schon vorgegangen ins Café Neumann. Kommst du nach?

Ich habe ein wenig Schwierigkeiten, jemand zu erreichen, der hier oft kommentiert: Jings. Jings verweigert mir leider bislang seine eMail-Adresse. Ich würde ihm auch ganz altmodisch einen Brief per Post schreiben, weiß aber nicht, ob ihn das nicht vielleicht in Verlegenheit bringt. Deshalb:

Jings! eMail oder Post?
Grüße, fragmente.

mechanisch

Was dir an dieser Stellung so gefällt, frage ich dich.
Es ist was mechanisches, sagst du und drehst dich um.

Ich stehe auf, gehe ins Bad, und erhasche einen Blick auf mich im Spiegel.
Ich bin schön wie nie. Mein Gesicht leuchtet, meine Lippen glänzen, die Haare rot und wild.
Mit meinem Daumen fahre ich mir übers Brustbein. Dahinter tickt und klickt es. Wenn ich mich öffnen könnte mit einem Knopf oder einem Türchen, dann würde man lauter Zahnräder sehen, wie in einer Uhr, die sich unablässig bewegen.
Ich denke an die Androiden bei Asimov oder Star Trek. Immer sind sie voller Sehnsucht.
Ich kann sie verstehen.

cog

Körpergedächtnis

Beim Aufräumen fällt mir ein Buch in die Hand; ich blättere darin, lese mich fest. Setze mich aufs Bett, lege ich mich schließlich hin und merke nach ein paar Seiten, daß ich genauso liege wie Du – nein, wie wir – das gerne mochten. Plötzlich bist Du da, durchscheinend zwar, aber so real in meiner Vorstellung, daß ich fast glaube, Dich zu spüren.
Die Sehnsucht, die sich nicht wegargumentieren läßt. Ich kann mir zwar verbieten, an Dich zu denken, aber mein Körper erinnert sich. Ich könnte Dich anrufen, jetzt sofort, mich vielleicht sogar mit Dir verabreden, aber Du bist nicht wie in meiner Vorstellung, das weiß ich. Du, wie ich glaube, daß Du bist, und Du, wie Du wirklich bist, das sind zwei verschiedene Sachen, und weil ich von Deinem realen Selbst verlange, was nur mein Bild von Dir kann, enttäuscht Du mich und machst mich unglücklich. Ich grolle Dir dafür, und weiß doch: es ist nicht Deine Schuld. Niemand hat Schuld, und wenn doch, dann am ehesten ich, oder zumindest sind meine Fehler die einzigen, die ich ändern kann. Ich kann aufhören mit Dir, und irgendwann wird meine Sehnsucht nicht mehr Dein Gesicht tragen, sondern ein anderes, ein unbekanntes, hoffentlich.

Neulich habe ich geträumt, ich stände im Garten meiner Eltern. Es ist Herbst, aber die Bäume tragen noch Laub, und an den Büschen glänzen rote Beeren. Früher Morgen, das Gras trägt Reif, es knirscht unter meinen Schuhen. Es scheint so friedlich, und doch habe ich große Angst, weil ich weiß, daß dies der Anfang eines langen Winters ist. Wie soll ich das durchstehen…

Als ob es der erste wäre. Schritt für Schritt, Stunde für Stunde, einen Fuß vor den anderen.

von Eseln.

Mein Nachhilfeschüler kommt rein, knallt die Tasche auf den Tisch, fläzt sich auf den Stuhl. Seine ganze Körperhaltung drückt Ablehnung aus. Er tut, was ich sage, er tut es leidenschaftslos, ungern, leidend. Er zieht eine Flunsch. Passive aggressive. Und ich werde zunehmend sauer, das ist ja, als ob man einen Esel den Berg hochschieben muß, so gut bezahlt werde ich nun auch nicht. Mühsam, und ich weiß mir mit nichts zu helfen außer mit Routine: wir machen eine Aufgabe, lesen aus den Buch, schreiben etwas auf, machen noch eine Aufgabe.
Als ich nach Hause fahre, die Straßen leer in der Dämmerung, schießt es mir durch den Kopf: mein Nachhilfeschüler war heute sehr verletzlich. Und ich erinnere mich plötzlich wieder, wie das ist – Pubertät, das Chaos der Hormone: an manchen Tagen die Haut so dünn, die Seele wie ein rohes Ei. Grundlos geweint habe ich, und ich bin mir sicher, ich war oft ebenso pampig wie er.
Manchmal, sinniere ich weiter, geht es mir auch heute noch so. Ich reagiere schnippisch, wenn ich eigentlich verletzlich bin und dünnhäutig. Und manchmal bin ich im Unrecht. Aber was würde es nützen, das zuzugeben?

today

Wie soll man mit dem eigenen Geburtstag umgehen?
Ich habe vieles versucht. Gar nicht gefeiert, still gefeiert, mit Freunden gefeiert, mit vielen Menschen gefeiert. Mir nichts gewünscht, damit ich nicht enttäuscht werde. Mir ganz konkrete Dinge gewünscht, damit ich nicht enttäuscht werde. Mir selbst etwas geschenkt, damit ich nicht enttäuscht werde. Den Geburtstag vorher angekündigt, damit ihn ja niemand vergißt. Den Geburtstag verschwiegen.
Dieses Mal feiere ich. Die Kollegen haben schon gratuliert, die Eltern und Ruth ebenso, heute Abend koche ich für ein paar Freunde, und meinem Blog habe ich den Geburtstag auch nicht verschwiegen.
Dieser Geburtstag scheint ein angenehmer Tag zu werden. Vielleicht, weil ich nicht mehr so krampfig bin, sondern gelassener geworden bin. Vielleicht, weil ich weniger verletzlich, weil weniger eitel bin.
Älter werden scheint so seine Vorteile zu haben.

Apropos

Apropos schamlos.
Wie Sie ja wissen, bin ich allein. Ungefähr einmal im Jahr schlafe ich mit einem Mann, und dieses Jahr war schon.
Ich bin also allein, und wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, hat man dennoch Bedürfnisse. Diesen Bedürfnissen zollte ich am Samstag abend Beachtung – manchmal muß man eben selbst Hand anlegen. Jedenfalls, gegen Ende jener Prozedur hat es sich ergeben, daß ich ein paar unkontrollierte Laute ausstoßen mußte, vielleicht lauter als gewöhnlich.
An sich kein Problem, denn im eigenen Schlafzimmer darf man ja wohl Schlafzimmerdinge tun, und ich würde das hier auch nicht erzählen, hätte ich nicht vor ein paar Tagen festgestellt, daß die Wand, die mein Schlafzimmer von dem des jungen türkischen Ehepaares trennt, aus Rigips ist. Komisch, daß mir das erst jetzt aufgefallen ist, aber man läuft ja nicht durch die Wohnung und lehnt sich an die Wände, außer neulich, als ich mir die Schuhe angezogen habe und merkte, oh, die Wand ist ja ganz dünn.
Ich liege also so im Bett, die Welt tritt langsam wieder in meinen Fokus, und ich denke: upps, das war aber ganz schön laut. Da kommen aus dem Schlafzimmer des jungen türkischen Paares plötzlich Laute, die meinen sehr ähnlich sind. Es ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich, daß die beiden zu just jenem Zeitpunkt einer ähnlichen Tätigkeit nachgegangen sind wie ich. Für wahrscheinlicher halte ich, daß es sich für einen Wink mit den Zaunpfahl seitens des Ehepaares handelt.
Ich werde also langsam rot, überlege mir, was man dann wohl zueinander sagt, wenn man sich das nächste Mal im Treppenhaus begegnet, seufze dann und setze mich vor die Glotze.
Beim Zappen fällt mir auf: Länderspiel Deutschland gegen Georgien. Das 1:0 für Deutschland fällt zeitlich genau mit den Lauten aus der Nachbarwohnung zusammen…