14 (rückblickend ist es ein wenig beängstigend)

Ich bin vierzehn, es ist Sommer. Die Schulferien sind gerade vorbei. Ich komme in die 9. Klasse. Ich mag meine Schule nicht. Ich habe Probleme mit dem Mathelehrer, dem Lateinlehrer und der Französischlehrerin. Susanne, Verena, Brigitte und ich bilden eine Notgemeinschaft. Wir hängen miteinander rum, und wenn es hart auf hart kommt, dann lassen sie mich hängen. Ich kenne das schon aus der 6. oder 7. Klasse, als mich ein Junge öfter mal in der Pause verprügelt hat. Alle haben es gesehen, keiner hat mir geholfen. Ich bin 14, es ist Sommer, ich denke nicht mehr daran, daß ich mal ein Underdog gewesen bin, ich bin froh genug, jetzt nur noch ein Außenseiter zu sein, und viele Jahre später, wenn ich doppelt so alt sein werde, werde ich mich an die Prügel und das Wegsehen erinnern und denken, daß es keine bessere Schule hätte geben können. Fürs Leben.
Mein Anorak ist dunkelblau, wasserabweisend, mit versteckten Bündchen in den Ärmeln. Er hat 200 DM gekostet und ich war sehr stolz, daß mein Vater ihn mir gekauft hat. Unsere Küche hat eine holzverkleidete Wand. Der Boden ist blau-weiß gefließt. Ich habe kleine, aber eitrige Pickel am Kinn und auf der Stirn, gottlob nur drei oder vier gleichzeitig. Ich wohne in einem wirklich sehr kleinen Dorf in Süddeutschland. Mein Vater und meine Mutter arbeiten beide in der Kreisstadt, in der auch ich zur Schule gehe. Sie nehmen mich meistens im Auto von der Schule mit nach Hause, manchmal muß ich auch den Bus nehmen, der nur selten fährt. Im Haus meiner Eltern fühle ich mich wohl, auch wenn es Phasen des Streites gibt: du lernst nicht genug, guck weniger fernsehen, lies nicht so viel, mach deine Hausuafgaben. Ich habe einen Schäferhund, mit dem ich viel spazieren gehe, und wir haben Pferde, eines davon wird sterben, wenn ich siebzehn bin, deshalb will ich mich nicht erinnern. An der Wand meines Zimmers hängen Cure-Poster, manche aus der Bravo, die ich mir nie selbst kaufe, weil ich es blöd finde und eine Geldverschwendung, aber in der Regel schenken mir die Klassenkameradinnen den Ausschnitt mit the Cure drauf, aber nur, wenn auf der Rückseite nicht über die New Kids on the Block oder David Hasselhoff geschrieben wird. Mein bester Freund ist mein Hund. Der schönste Mensch an meiner Schule ist die magersüchtige Agnes oder die seichte Alexandra, die später Arzthelferin wird und die ich sehr bewundere, weil sie eine Jeans mit dazu passender (!) Jeansjacke besitzt (dunkelgrün). Ich trage schwarz und schwitze mich im Sommer tot, aber ein richtiger Grufti bin ich nicht. Ich kenne nur die Grufties aus der Bravo. Ich denke manchmal, der häßlichste Mensch bin ich, aber das ist wohl die Pubertät, denn in ein paar Jahren werde ich mich auf den Fotos hübsch finden, vierzehn war ich damals, guck an. Oft sitze ich mit dem Hund im Garten, an diesen langen Sommerabenden, und glaube, daß mich die Welt verkennt, daß es nur die richtigen Menschen braucht, die erkennen, wie fantastisch ich eigentlich bin. In meiner Phantasie, in den von mir selbst ersponnenen Geschichten, bin ich die Heldin, die Märtyrerin, Aschenputtel, das häßliche Entlein. Ich denke nicht viel an Sex, aber viel an Liebe und Romantik.
Ich höre praktisch ausschließlich the Cure, mehrere Stunden am Tag. Ich bekomme 5 DM Taschengeld im Monat; eine Kassette kostet 20 DM; ich kaufe mir eine neue (alte), sooft es geht. Ich habe eine Biografie von the Cure, darin stehen alle Alben, die sie herausgebracht haben. Es sind mehr als zehn. Ich habe schon Disintegration, Standing on a beach, Kiss me, Concert/Curiosity, und the Top. The Top finde ich ein wenig schwierig. Ich verehre Robert Smith, ich möchte gerne Zeit mit ihm verbringen, aber ich möchte nicht seine Freundin sein, das erscheint mir zu kompliziert.
Ich habe mir gerade die Haare schwarz gefärbt, was an meiner Schule Aufsehen erregt hat. Wenn ich etwas an meinem Aussehen ändern könnte, dann wäre das mein kurzer Hals. Ich weiß nicht, ob ich gerne schlanker wäre. Irgendwie ist mir klar, daß ich auch dann nicht dazugehören würde. Es ist die Zeit, in der langsam eine Erkenntnis in mich hineinsickert, vom Kopf in die Seele: ich werde nie dazugehören, ganz egal, wie sehr ich mich anstrenge. Ich werde immer anders sein. Es wird immer schwierig für mich sein, zu verstehen, wo und wie ich anders bin als die anderen. In diesen Jahren lerne ich sehr, sehr langsam, nicht mehr zu versuchen, so zu sein wie die anderen. Je weniger ich es versuche, je mehr ich mir erlaube, ich selbst zu sein, umso mehr tolerieren mich die anderen. Manchmal mögen sie mich sogar.
Ich habe mit zwölf mit Swantje am Bachufer eine Zigarette geraucht, es hat mir nicht geschmeckt. Ich habe kein Interesse an Alkohol. Ich bin sehr engagiert in katholischer Religion, wo wir über Sucht diskutieren. In meiner Schreibtischschublade verstecke ich eine Tafel Schokolade, wenn ich es mir leisten kann. Vom Schulsport bin ich schon seit der 6. Klasse befreit, meine Mutter hatte Mitleid mit mir und wollte nicht, daß ich gedemütigt werde.
Als ich dreizehn war, war ich in Jan Heller verliebt. Schullandheim. Die Anzeichen waren gut, aber Sie wissen ja, wie ich bin: ich habe es ihm gesagt, er hat mich abblitzen lassen. Es hat sehr lange sehr weh getan.
Siezen muß man erst ab 16. Ich bin erst vierzehn, aber im Oktober werde ich schon fünfzehn.

Mal eben ums Blog – die Webloglesung des Handelsblattes

Ich traue mich und schreibe mal wieder einen (subjektiven) Bericht über eine Lesung.

Das Ambiente:
Berliner Lesungen finden ja meistens in zweifelhaften Stadtteilen in halblegalen Bars im dritten Hinterhof Souterrain statt, spärlich möbliert mit alten Sofas vom Sperrmüll. Die Lichtburg versetzte mir also einen kleinen Kulturschock: auf der Kö! Mit kostenlosem Buffett! Es war schon fast ein wenig verunsichernd. Sehen Sie sich einfach die Bilder an.

Zu Anfang der Lesung erklärten Thomas Knüwer und Julius Endert uns, was ein Weblog ist. „Das erste Weblog führte Martin Luther“, behaupten sie, und was mir zunächst wie ein schaler Witz vorkommt, entpuppt sich dann doch als anschauliche und humorvolle Erklärung für ein Weblog. Luther nagelte seine Thesen an das Kirchentor (=Internet). Die Thesen ordnete er – wie bei einem Weblog – umgekehrt chronologisch, also das neueste immer nach oben. Knüwer und Endert spielten dies mit Papier und Magnettafel nach, ein rot-weißes Absperrband symbolisiert Verlinkungen. Man mag das albern finden, aber Tatsache ist, daß es funktioniert: die Sinne der Zuschauer werden miteinbezogen; Knüwer und Endert hatten das Publikum am Haken.

Frau Modeste hatte die undankbare Aufgabe, als erste zu lesen. Zunächst war es etwas schwierig für sie, in den Text hineinzufinden. Mir gefällt sehr gut, wie sie ihre Stimme einsetzt: sinnlich und verführend. Die Lesung in Neuss hat mir von der Auswahl ihrer Texte her mehr zugesagt (der Hamstertext!), aber das ist sicherlich mein persönlicher Geschmack.

Don Alphonso. Zunächst ein kleiner Exkurs: die meisten, wenn nicht sogar alle Blogger, unterscheiden sich in der Wirklichkeit von ihrem virtuellen Charakter. Ich bin nicht Frau Fragmente. Aber Frau Fragmente ist ein Ausschnitt meiner Selbst. Das Alter Ego eines Bloggers ist meistens an die tatsächliche Persönlichkeit des realen Menschens, der dahinter steht, angelehnt. Don Alphonso bildet hier eine Ausnahme: er ist eine Kunstfigur, so wie Kurt Krömer oder Heinz Becker. Die Kunstfigur Don Alphonso provoziert gerne mit überzeichneter Arroganz: er ist erfolgreicher, hat mehr Geld und weiß viel mehr als wir alle anderen. Was mich immer verblüfft, das ist Don Alphonsos Fähigkeit, ohne Pause über sich selbst zu reden. Mit den Worten „ich werde also nicht anmoderiert?“ moderierte er sich selbst fünf lange Minuten an, bevor er begann zu lesen. Als Einführung für den ersten Text („Rolex“) war das gar nicht mal so schlecht – eine Kunstfigur wie Don Alphonso, mit genau diesen Eigenschaften, ist viel besser dazu geeignet, sich über den Niedergang der New Economy zu äußern als ein moralinsauerer Hartz IV Empfänger. Außerdem hat der Text eine gute Pointe.
Beim zweiten Text („die Sache mit dem Brokat“) fand ich die Kunstfigur des Don Alphonso dann etwas anstrengend. Vielleicht war mir der Text zu abstrakt, oder ich habe einfach die Pointe nicht begriffen.

Wirres. Ich habe Ix vor einem oder zwei Jahren mal auf einer Geburtstagsparty kennen gelernt. Mir ist er als schweigsam und ein wenig schüchtern in Erinnerung geblieben. Wie ein Abend so täuschen kann! Ix hat göttlich gelesen. Woran das lag? Seine Texte sind schon in geschriebener Form sehr komisch, und er hat sie sehr trocken vorgelesen. Außerdem scheint er in sich zu ruhen, mit sich zufrieden zu sein – ehrlich, ich war ein wenig neidisch.

Das Nuf. Das Weblog des Nufs empfand ich immer als sprudelig und perlend wie Sekt. Daher überraschte mich ihre ruhige und langsame Art zu lesen. Zu ihrem ersten Text habe ich nicht wirklich Zugang gefunden, dafür war der zweite – über Brad Pitt und des Nufs Nonna – kurzweilig und unterhaltsam.

Don Dahlmann kokettierte zu Anfang ein wenig unnötig mit seiner Schludrigkeit, hat aber gewohnt solide gelesen.

Knüwer und Endert haben ebenfalls sehr professionell gelesen. Knüwer las den fiktiven Teil aus der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt und verstellte dafür auch mal die Stimme. Endert gab im besten Nachrichtensprecherton die realen Pressemitteilungen wieder.
Insgesamt gebührt den beiden großes Lob, weil der Gestaltung des gesamten Abends ein Konzept und ein roter Faden auf angenehmer Weise zugrunde lag.

Neu kennengelernt: die Schwadroneuse. Lebendig, klug, interessant. Ich möchte Sie Ihnen, werte Leser, ans Herz legen (in meinem ist sie schon).
Bestaunt: Dirk Olbertz. Mir wurde groupiehaftes Verhalten vorgeworfen, weil ich bewundernd sagte: Dirk Olbertz! Aber hey – das ist der Mann, der blogger.de möglich gemacht hat. Da ist Bewunderung doch angebracht, oder?

Insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung. Dank an die Veranstalter und an alle Lesenden.

4

Four things, sagt DocDee.

Four jobs I’ve had:
– nicht gegen Bezahlung, aber: als Jugendliche habe ich im Hochsommer auf den elterlichen Wiesen Heu gemacht. Das funktioniert so: Gras wird geschnitten, dann trocknen gelassen und am Abend „zusammengerechelt“, also mit einem Rechen zu Walzen zusamengefaßt, damit es über Nacht nicht so viel Tau aufnimmt.
Am nächsten Morgen wird das Gras wieder verteilt, damit es möglichst gut trocknen kann. In der Mittagszeit oder am frühen Nachmittag wird das Heu gewendet, damit auch die andere Seite trocknen kann. Abends wird es wieder zu Walzen zusammengerechelt. Das macht man drei oder vier Tage hintereinander. Wenn es trocken ist, muß das Heu mit einer Gabel auf einen Wagen aufgeladen werden, wird in die Scheune gefahren und in den Dachstuhl „hochgegabelt“.
Ohne Maschinen Heu zu machen, ist die Hölle, besonders das Wenden zur Mittagszeit in der Gluthitze des Hochsommers. Andererseits: so habe ich eine gewisse Disziplin und ein Durchhaltevermögen erworben, auf das ich auch heute noch zurückgreifen kann.

– Kassiererin bei Schlecker: seitdem kein über eine gewisse Grundhygiene hinausgehendes Interesse an Pflegeprodukten mehr.

– Rezeptionistin in einem YMCA/ YWCA in Norwegen. Best job ever. Viele Leute kennengelernt, viel über den Umgang mit und meine Außenwirkung auf Leute gelernt, anschließend tolle Skandinavien-Reise gemacht.

– Roadie bei einer Zirkusproduktion. Natürlich sofort in den Clown verliebt. Sehr tragisch.

Four movies I can watch over and over:
Schwierig. Die Filme, die ich gut finde, sind meistens zu traurig, als daß ich sie oft sehen wollen würde:
– American History X
– die rote Laterne
– Pitch Black
(hier nur drei, bei den Serien dann fünf.)

Four places I’ve lived:
– kleines Dorf in Süddeutschland
– Regensburg
– Berlin
– Ruhrpott

Four TV shows I love:
– der Doktor und das liebe Vieh (sehr beruhigend)
– das Haus am Eaton Place (sehr beruhigend)
– Kingdom Hospital (schwächelt etwas zum Ende hin)
– King of Queens
– Deep Space Nine

Four places I’ve vacationed:
– Skandinavien
– England
– Usedom
– wo auch immer the Cure spielen: London, Paris, Brüssel, Dresden…

Four of my favorite dishes:

– Spaghetti Bolognese
– chinesisch süß-sauer
– indisch/ thailändisch mit Kokosnussmilch
Madagaskar (Schokolade, die übrigens auch von Lidl unter Eigenmarke vertrieben wird.)

Four sites I visit daily:
die Blogs auf meiner Blogroll plus die ca. 120 Blogs in meinem Rss-reader.

Four places I would rather be right now:
– Pennsylvania
– Dresden
– Berlin
– meine Wohnung

Four bloggers to tag with this:
Glamourdick und Zahnwart haben bereits geantwortet. Der Hammerschmitt macht bei sowas ja grundsätzlich nie mit.
Marie (Paßwort -> Mail an mich)
Remington
Parka Lewis
Frau Modeste

slow song

Für Zufriedenheit oder Glück gibt es keine Worte. Das Unglück, die Depression, sie mag man seitenlag beschreiben, ihnen Lieder und Gedichte widmen.
Aber das Glück entwindet sich allen Beschreibungen, quecksilbergleich. Und wirft mir zum Abschied Blicke über die Schulter: „bin ich’s wirklich?“
Ist es wirklich Glück, daß mir die Tage ruhig und glatt vergehen. Entspannt bin ich, gelassen, in Gewohnheit eingebettet, mit Blick auf Dinge, die mich freuen. Pläne, die mich tragen. Alles scheint mir zu gelingen. Nichts ärgert mich. Nicht einmal, was mir fehlt, fehlt mir. Der Körper hat ein kurzes Gedächtnis. Hat sich schnell daran gewöhnt, daß es nur meine Hand ist, die mich berührt. Den Geist streicheln die Worte ferner Freunde.
Ist es wirklich Glück oder nur gefrorene Zeit. Langsamkeit.

die Sache mit dem Haus

Ein Haus. Klein, damit man es mit Holz beheizen kann. Mit einem Obsthain. Apfelbäume, die Stämme bemoost. Kirschen und Zwetschgen. Ein großer Bauerngarten. Sanfte, grüne Hügel. Ein kleines Wäldchen.

Dort werde ich leben. Ein Hund wird mir Gefährte sein, ähnlich dem, der mir gestorben ist. Ein Mann wäre gut. Zum Holzhacken und auch, damit ich ihn wärmen kann. Die halbwilden Katzen kommen und gehen, wie es ihnen gefällt.
Ich weiß noch nicht, wo das Haus steht, das auf mich wartet. Vielleicht in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Oder im Osten Europas, wo die Preise niedrig sind. Womöglich dort, wo ich einmal gearbeitet haben werde: Pennsylvanien, Vermont, Kanada. Ich weiß nicht, was mich binden wird, in wessen Nähe ich sein möchte. Meine Arbeit wird es dann nicht mehr sein. Ich werde ein wenig Geld haben – verdient oder ererbt; ein Patent entwickelt. Ich werde Kartoffeln anbauen und damit meine Schweine füttern. Ich werde weinen, wenn sie geschlachtet werden und ihr Fleisch mit Ehrfurcht essen. Ich werde mit der Sonne aufstehen, die Tiere versorgen -Enten oder Gänse werden auch dabei sein-, den Garten bestellen und auch mal in der Hängematte liegen. Im Winter werde ich viele Bücher lesen.
Ich werde mich für alternative Energien interessieren; mit Windkraft und Solarenergie experimentieren. Wasser aus der eigenen Quelle.

Vielleicht werde ich etwas verkaufen. Fleisch von glücklichen Schweinen, selbstgemachte Marmelade. Entrümpelungen, Flohmarkt. Die Leute aus dem Dorf werden mich kennen und mich mögen, auch wenn sie mich für etwas seltsam halten.

Vielleicht wird mir dieses Leben nicht gefallen.
Aber ausprobieren werde ich es.

Vielleicht werde ich davon in einem Weblog erzählen.
Vielleicht wird es dieses hier sein.