a moving force

„Ihr ganzer Körper ist eingeschlossen von der Wäsche, ein absurder Schmuck an ihr, die nichts als allein den Atem braucht, um begehrenswert zu sein, nur eine bewegende Kraft hinter diesen Knochen, diesem Fleisch, der alles, was sie ist, trägt und bewohnt.“

Iain Banks, die Brücke

it could be sweet

Vor vielen Jahren hat mir mal jemand erzählt, der Schokolade mit der lila Kuh würde Rinderblut zugesetzt werden, um Kakao zu sparen und trotzdem eine dunkle Farbe zu erreichen. Mit größter Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um eine Fehlinformation, aber bei jedem der seltenen Male, die ich seitdem Schokolade dieser Marke gegessen habe, schmeckte ich Blut im Mund.

Es gäbe einiges zu sagen über das Treffen zwischen halb neun und zwei Uhr, aber er liest hier mit. Und ich möchte, daß es süß bleibt. Für uns beide.

zwischen halb neun abends und zwei Uhr nachts

Er sitzt an der Bar und trägt einen Anzug. Einen Moment lang bin ich ganz baff, weil er sehr attraktiv ist, ein fein geschnittenes Gesicht, freundliche Augen und eine starke männliche Ausstrahlung hat. Zum Glück habe ich keine Zeit zum Nachdenken, sonst hätte ich mich wohl eingeschüchtert gefühlt. Aber wir kommen sofort ins Gespräch, ich weiß nicht mehr, über was, doch es fühlt sich gut an, fast vertraut, wie eine Verlängerung des Austausches, den wir schon sehr lange per eMail und Chat hatten. Nur, daß er bereit ist, mehr von sich zu erzählen als bisher. Themen, die mit anderen Menschen oder in einer anderen Kommunikationsform oberflächlich abgehandelt werden würden, gewinnen an Tiefe und werden dadurch spannend. Ein spannender Mensch, der auch mir mit Interesse zuhört, hin und wieder nachhakt, mich aber auch zum Lachen bringt. Er fokussiert seine Aufmerksamkeit zu einhundert Prozent auf mich, wie ein Scheinwerferlicht. Manchmal fühle ich mich wie eine Zirkusartistin und genieße es, manchmal fühle ich mich wie ein Reh auf der Bundesstraße. Da ist viel Nähe, auch körperlich. Wir sitzen eng beieinander, sein Knie an meinem Oberschenkel, ich wehre mich nicht. Manchmal wird mir die Nähe bewußt und ich werde innerlich starr, dann wieder tritt alles, die Bar, die anderen Leute, auf angenehme Weise in den Hintergrund; auch ich fokussiere meine Aufmerksamkeit nur auf ihn.

Auf sehr charmante Weise bezahlt er meine Drinks. Als ich aufstehe und wir zu einer anderen Bar gehen, merke ich, daß ich betrunken bin wie schon lange nicht mehr. Später werden wir zur Modersohnbrücke gehen und den Zügen nachschauen, meine Trunkenheit wird einer anderen weichen, als er mir Komplimente macht. Er wird den Arm um mich legen, ich werde wollen, daß er nicht aufhört, es ihm aber nicht sagen können. Noch später werden wir aus einem nichtigen Grund unglaublich lachen müssen, kaum wieder aufhören können. Wir werden ein Segelboot sehen, mitten in Friedrichshain.
Sehr viel später werde ich in Berlins dreckigstem Hinterhof meinen Büstenhalter ausziehen; wir werden lachen und es lustig finden und vielleicht auch ein bisschen erotisch. Ich werde meinen Mantel wieder anziehen und er wird mich küssen. Seine Hand wird auf einer unverfänglichen Stelle meines Oberkörpers liegen, und zwar mit genau dem richtigen Druck, ich werde es wunderbar finden, dann aber doch sehr oft „nein“ sagen. Ich werde ihn sanft fragen, wo Nina sei.
Er wird nach Hause gehen zu Nina, ich werde die Treppe hoch in meine Wohnung gehen, das Gefühl des bärtigen Kusses auf meinem Mund.
Wir werden uns ein Wiedersehen versprochen haben, in einem Monat, bis dahin werde ich ein wenig über Nina nachdenken und über mein Glück, jemanden so sympathischen begegnet zu sein. All die Dinge, die er tut, damit ich mich wohl fühle,. ich nehme sie wahr, jedes einzelne, und für jedes einzelne bin ich dankbar. Ich weiß nicht, was für ihn dabei herausspringt, was ich ihm geben kann, das er nicht auch einfacher haben könnte. Aber mir ist klar, daß ich einen Preis zu bezahlen hätte, wenn… und was mir entgeht, wenn nicht.
Vielleicht rechnet er nicht, und ich sollte es auch nicht.

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Letzte Nacht gegen halb zwei hatte eine Frau einen Orgasmus.

Ich war es nicht. Ich saß, das Fenster offen, auf meinem Bett und hing meinen Gedanken nach. Als ich aufstand und in den Hinterhof blickte, blickten die vielen Fenster zurück, aber hinter welchem sich die Frau verbarg, ob sie allein oder wer bei ihr war, das blieb ihr Geheimnis.

Es hat mich gefreut, sie zu hören. Es hat mich an diesen Moment erinnert, in dem eine Frau nur von diesem einen Gefühl beherrscht wird. Keine anderen Gedanken, kein „ich muß Tomaten kaufen“ oder „wie kann man Penicillin herstellen?“ oder „gibt es eigentlich irgendein erfolgreiches Unternehmen, das seine Produkte nur über das Internet verkauft?“. Das sind die Fragen in meinem Kopf, aber in ihrem, da wird nur dieser einzige Moment sein, und zwischen ihren Schenkeln und in ihrer Seele.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb es den Menschen so wichtig ist. Keine Fragmente, sondern ein Ganzes zu sein, zumindest für ein paar Sekunden.

Zuerst ziehe ich die Schuhe aus

Zuerst ziehe ich die Schuhe aus und laufe zum Meer hin. Der Sand ist angenehm warm, sehr weich, ich rutsche immer ein bisschen weg und laufe torkelnd, bis ich in Wassernähe komme, zu dieser perfekten, ebenen Fläche, die die Wellen geschaffen haben. Ich erlaube einer flachen, kleinen Welle, über meinen Fuß zu spülen, das Wasser kommt mir sehr kalt vor, wie die Götterspeise, die ich manchmal aus dem Kühlschrank nehme.

Die Weite ist überraschend, der Strand erscheint endlos, ich laufe ohne Zeitgefühl, sehe Muscheln und Steine, beobachte Algen, höre den Wellen zu, wuschusch, wuschusch. Ich traue mich jetzt schon bis zu den Knien ins Wasser, die Hose hochgekrempelt.
Hundestrand, Nacktbadestrand, sagt mir das Schild, und ich sehe Hunde und Nackte. An einem Montag außerhalb der Schulferien ist der Strand fast leer, hier sind hauptsächlich Rentner und Rentnerinnen, manche mit nahtloser, tiefer Bräune, die die Haut ledrig erscheinen läßt. Ich bin verwundert ob der großen Vielfalt von Schwänzen in Besonderen und Leibern im Allgemeinen. Älteren Frauen fallen die Schamhaare aus, stelle ich fest. Dennoch bin ich neidisch auf diese Frauen, die mit solcher Gelassenheit ihre Käselaiben ähnelnden Körper zeigen. Ich suche mir eine ruhige Stelle, bin ergriffen von einer risikogefärbten Hochstimmung. Ich bin die Seiltänzerin in der Zirkuskuppel.
Ich ziehe mich aus. Ich bin Ende zwanzig, meine Brüste sind prall, meine Schamhaare dunkel gelockt, ich habe komische rote Streifen auf dem Bauch, das haben andere Frauen nicht. Was solls. Zielstrebig laufe ich ins Meer, ich werde erst langsamer, als mir das Wasser bis zur Mitte der Oberschenkel geht. Kaltes Wasser an den sensiblen Zonen, ich bleibe stehen, die Wellen rauschen bedrohlich bis fast an mein Delta.
Es gibt kein zurück. Ich verteile Meerwasser auf meinen Armen und auf meinem Oberkörper, dann werfe ich mich nach vorne und schwimme.

Ich schwimme! Ich bin sehr aufgeregt, ich schwimme, als ginge es um mein Leben, ich habe Angst, mit meinen Füßen nach Grund zu tasten, denn was täte ich, wenn da keiner ist? Dann wage ich es doch, und er ist noch da, der Boden, der feste Sand in Wellenform gepresst, das Wasser geht mir bis zum Hals. Dann schwimme ich weiter, ich merke, daß mein Atem stoßweise und keuchend geht, ich bin völlig außer mir und kann gar nicht verstehen, warum. Aber das ist jetzt auch nicht weiter wichtig, denn ich schwimme, ich schwimme weit hinaus und lasse die Wellenbrecher hinter mir, jetzt gibt es keinen Grund mehr, dennoch werde ich ruhiger und freue mich über dieses intensive Gefühl auf der Haut, und erst jetzt, nachdem ich schon lange geschwommen bin, merke ich, daß die Hautfalten zwischen meinen Beinen Platz machen für das kühle Wasser, so wohlverschlossen ist es da.
Ich werde langsam müde, noch immer paddle ich recht hektisch, und ich bin ziemlich weit draußen. Ich versuche die Rückenlage und bin verblüfft: das Meer trägt mich.

usedom2