wrokk

Mein Hund hat manchmal Gras gefressen, kein Rasengras, sondern langes, spitzes, scharfes Gras, mit dem man sich sogar in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger hätte schneiden können.
Dann lief sie auf der Wiese auf und ab, spannte immer wieder die Muskeln des Rumpfes an, würgte, machte wrokk, wrokk, wrokk…es öffnete sich ihr Maul, man sah alle Zähne, und sie spukte ein Knäul Gras wieder aus.

Am Anfang hatte mich das sehr besorgt, dann lernte ich, daß Hunde auf diese Art die Haare loswerden, die sie aufnehmen, wenn sie sich lecken und die ihnen im Rachen oder in der Speiseröhre stecken.

Ich wünschte, ich könnte es auch einfach hochwürgen, ausspucken – dieser schwarze Klumpen, der mir auf der Seele liegt.

Mein Hund sah jedenfalls danach immer froh und sehr mit sich zufrieden aus.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Glück und Lebensleistung?

Wenn mich jemand fragt, „bist du glücklich?“, dann neige ich dazu, Lebensleistungen oder auch das Nichterreichen solcher aufzulisten. Ich sage dann, ja, ich liebe meinen Beruf, ich habe Freude an meinem Tun, das Netz meiner Freundschaften ist dicht, und nein, das mit meiner Partnerlosigkeit und all den anderen –losigkeiten, das falle doch nicht allzu sehr ins Gewicht.
Auch bei der Abschätzung des Glückszustandes anderer Leute stelle ich dieses Aufrechnen meinerseits fest, zum Beispiel: beruflich gescheitert, dafür hochtalentiert und mit Kind – rein rechnerisch im positiven Bereich.

Das ist dumm und anmaßend von mir.

Dahinter steckt der Versuch, Glück zu einer berechenbaren Komponente zu machen. Dabei ist es ja ein Gefühl, also etwas, das unabhängig von rationalen Gründen eintritt – oder auch nicht. Im Umkehrschluß, wie ich in meinem vorletzten Beitrag erkenne muß, bezieht sich auch der Schwermut nicht auf objektive Tatsachen und Situationen. Es tritt eben ein, das Glück oder der Schwermut, egal wie es um einen herum aussieht.

Man kann versuchen, Voraussetzungen für das Eintreten des Glücks zu schaffen. Hier greift tatsächlich die Statistik und die Wahrscheinlichkeit läßt sich erhöhen. Erzwingen aber kann man nichts.

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Nachtrag: Lebensleistung. Was für ein Wort. Ich find`s auch eklig, aber wie will man es sonst bezeichnen?

was ist Glück?

Glück ist eine Momentaufnahme, etwas sehr flüchtiges. Oft erkennt man nur in der Rückschau, daß man in diesem Moment glücklich gewesen ist.
Glück hat viel mit dem Gefühl zu tun, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, die Lebenszeit zumindest in diesem Augenblick angemessen zu nutzen.
Der Kernpunkt meiner Definition von Glück ist aber, daß die Bruchstückhaftigkeit des Selbst nebensächlich wird. Das bedeutet nicht, daß man seine Fehler und Unzulänglichkeiten verdrängen oder vergessen würde. Nein, es ist wie in der Liebe: man sieht die Schwächen des anderen, aber sie haben keine Bedeutung.
Glück heißt, sich ganz zu fühlen, nicht an das zu denken, was vor einem liegt oder hinter einem, einfach zu genießen und da zu sein.

lustig, heiter.

„Warum gay? Gay heißt lustig, heiter. Was hat das mit schwul sein zu tun? Ein schwules Leben zu leben, das ist überhaupt nicht lustig.“

Gustavo Archilla (88), der nach 58 Jahren Partnerschaft seinen Lebensgefährten Elmer Lokkins (84) in Kanada geheiratet hat. Aus der Berliner Zeitung, 27./28.3.04.

shrink [und Bukowski, nacherzählt]

Bei Herrn Bov über die Simulation eines Psychiaters gestolpert.
Ich habe folgende Frage gestellt bekommen:

„Wie soll ich mit Ihnen reden, wenn Sie nichts sagen?“

Gute Frage. Ich werde mich also bemühen, aufzuschreiben, wie das Treffen mit Winnie am Sonntag und ihre Geburtstagsfeier gestern waren. Nein, ich werde mich bemühen, aufzuschreiben, was ich gefühlt habe…es ist ein bißchen, wie jemandem das Achterbahnfahren zu erklären, der noch nie Achterbahn gefahren ist. Der Wagen wurde ganz, ganz hoch gezogen, jetzt fällt man in die Tiefe, geht in die erste Kurve und man weiß, gleich kommt der Looping.

Ich wollte noch Bukowski einbringen. In seinem Buch Post Office erzählt er von seiner Arbeit als Briefsortierer bei der Post, d.h er sortiert nachts Briefe in die Kästen, die morgens von den Briefträgern ausgetragen werden. Irgendwann wird von ihm eine Weiterbildung verlangt, die er entweder besteht oder den Job verliert. Er soll Briefe, bei denen der Absender eine inkorrekte oder keine Postleitzahl angegeben hat, zuordnen. Dies bedeutet, daß er sämtliche Straßen samt der dazugehörigen Postleitzahl auswendig lernen muß. Bei einem Abschlußtest soll er 95 von 100 Straßen in 8 Minuten richtig zuordnen.
Er ist verzweifelt und weiß nicht, wie er das schaffen soll. Also schildert er seine Situation einem imaginären Psychiater. Dieser antwortet:

„Well, my boy, you`re not crazy for not wanting to study this. I`d be more apt to say that you were crazy if you wanted to study this. That`ll be $25.”

Und der Erzähler sagt:
„So I analysed myself and kept the money.“

Ich liebe diesen Satz.

(Am Ende muß er es dann doch lernen. Er hilft sich, in dem er sich die einzelnen Straßen als Personen vorstellt, die eine Orgie feiern. Jede Straße hat dabei besondere sexuelle Vorlieben. Die Eselsbrücke funktioniert.)

Poststation im Pazifik

Mitten im Pazifik – eine Poststation. Eine kleine Hütte auf einer schwimmenden Plattform aus zusammengebundenen Holzpaletten.
Hier lagern sie – alle Briefe an mich, die nie angekommen sind:
Liebesbriefe eines Russen, Mahnbriefe einer nordbayrischen Universität, gemalte Briefe meiner Kindergartenfreundin. Verwundert lese ich sie. Mitnehmen kann ich sie nicht, sie würden ja nicht trocken bleiben!
So bleibt mir nur, meine Flossen wieder anzuziehen, die Taucherbrille überzustreifen und hinauszuschwimmen ins Blau.

Stand der Dinge

im November schrieb ich:

a room of one`s own. küche mit aquarium. clownfische wären gut. die wochenenden frei. das geld eigen. die arbeit gebunden. steht im regal. ordnung, ruhe, stille. wie unter wasser.
mein traum. meine hoffnung. mein ziel.

Wie fühlt es sich nun an, das Ziel erreicht zu haben?
Ich hab immer noch kein Aquarium – es hat nur für zwei Bücher über Aquaristik gereicht.
Wenn ich über die Warschauer Brücke nach Hause gehe, passieren merkwürdige Dinge mit mir. Es ist, als ob der Wind durch mich durchbläst und alles Nebensächliche von mir löst. Nirgendwo sonst in der Stadt ist man so den Elementen ausgesetzt. Mein Blick reicht weit, es gibt wieder einen Horizont. Ich liebe meine Arbeit, mein Projekt, ich mag die Seite meines Selbst, die ich im Labor und im Umgang mit meinen Kollegen präsentiere. Es hinter sich zu lassen, jeden Abend, eine andere Seite aufschlagen, ursprünglicher, schlichter, ungekünstelt, unüberlegt sein, das alles macht es schöner, wieder zurückzukehren.

Nicht, daß ich jetzt ganz wäre, aber sagen wir mal: drei viertel.