Es war schön. Robert Smith hatte überraschend viel Schwung.
Ich hingegen bin müde.
(Mehr erst wieder nächste Woche).
Es war schön. Robert Smith hatte überraschend viel Schwung.
Ich hingegen bin müde.
(Mehr erst wieder nächste Woche).
Ich habe DocDee eine Geschichte versprochen, ohne zu berücksichtigen, daß sie nicht leicht zu erzählen ist. Ich weiß schon jetzt, daß meine Sprache unzureichend ist, um das Erlebte auszudrücken. Naja. Los geht’s.
Als ich 13 war, kaufte ich Disintegration, und seitdem bin ich ein Fan von The Cure. Nach
einigen Jahren strikten Taschengeldsparens hatte ich alle Alben beisammen, ich sammelte Aktenordner volle Zeitungsausschnitte und als ich endlich an die Uni ging, eröffnete sich mir eine neue Welt: Internet! The Cure haben eine unerschütterliche Fangemeinde und waren auch immer schon stark im Internet repräsentiert. Ich tauchte ein in die Cure-Community, las begeistert die Berichte über „following The Cure on Tour“ und wußte: das will ich auch. Das brauche ich, wie eine Häutung, wie ein Initiationsritual in die Welt der Erwachsenen, ich kann nicht sein, ohne diese Erfahrung gemacht zu haben.
Im Jahr 2000 brachten The Cure ihr Album „Bloodflowers“ heraus, die dazugehörige Tour nannte sich „Dream Tour“. Durch virtuell geknüpfte Kontakte kam ich an Karten zu zwei Promoshows: in Hamburg (Markthalle) und in Brüssel (Ancienne Belgique). Beide Konzerte waren fantastisch, die Atmosphäre der kleinen Hallen vertraulich. Ich hatte Blut geleckt.
München, Olympiahalle. Mein viertes Cure-Konzert im Jahr 2000, mein sechstes insgesamt. Natürlich war ich auf ein Treffen aus, in Brüssel hätte es fast geklappt. Immerhin hatte ich das Gesicht des Gitarristen durch eine halb geöffnete Tür gesehen; eine Freundin ließ sich mit ihm fotografieren, bis ein anderer Fan schrie: „let us in! Let us in! We buy your record, we pay your salary!“. Kam nicht so gut an.
Das Konzert in München war schön, wenn auch sehr groß. Danach tranken meine Freundin und ich noch etwas, ließen die Atmosphäre auf uns nachwirken, bis wir – recht früh, fand ich – von den Ordnern rausgeschissen wurden. Uns war noch nicht danach, heimzugehen. Wir gingen zum Auto, ich holte meinen Mantel raus, die Nächte im April sind kühl, und später würde sich dieser Mantel als Rettung erweisen. Ich sagte zur meiner Freundin: „laß uns doch einfach mal um die Olympiahalle rumlaufen“. Natürlich schwang die Hoffnung mit, vielleicht die Band zu treffen, aber wir waren uns sicher: die sind schon ins Hotel gefahren. Zumal es in der Olypmiahalle eine Tiefgarage gibt, in die der Bus fahren kann, so daß die jeweiligen Bands ohne Fankontakt einsteigen können.
Wir hatten Glück. Zum einen, weil The Cure tatsächlich noch da waren und feierten, eine der seltenen Aftershow Parties überhaupt auf dieser Tour. Zum anderen, daß sie einen Doppeldecker als Tourbus haben; ob der Bus nicht in die Tiefgarage reinpaßte oder ob sie in Laune für Fankontakt waren, vermag ich nicht zu sagen.
Die Freundin und ich stellten uns also zu der anderen Gruppe von Fans, die den Backstage Ausgang belagerten. Anfangs vielleicht vierzig oder fünfzig, schmolz die Gruppe zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens auf zwanzig bis dreißig zusammen, weil es kalt war und weil jeder der Roadies, der aus dem Ausgang rauskam, sagte: „die sind schon weg“. Ich glaubte an den Bus, ich kannte die Masche mit „die sind schon weg“ und wir waren beide satt, warm angezogen und viel zu aufgekratzt, um ins Bett zu gehen, also blieben wir.
Dann öffnete sich die Tür, und Roger kam heraus, ging zielstrebig zum Bus, der in einigen Metern Entfernung geparkt war, und sagte etwas in die Richtung von „bringe nur was in den Bus und gebe dann Autogramme“. Sprachs, und signierte. Zu gerne hätte ich ihn etwas gefragt, über sein Soloalbum zum Beispiel, aber ein anderer Fan hatte ihn in Beschlag genommen. Roger signierte mein Ticket, und ich drehte mich um und sah einen wirren Haarschopf, umringt von Fans. Eines von zwei Bildern, die sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt haben: wie ich mich umdrehe, und Robert Smith sehe, nicht auf einer Bühne, sondern auf gleicher Höhe. Er kam mir klein vor, und gar nicht so dick wie alle immer sagen. Zerbrechlich, feenhaft, in einen fluffigen, weichen Pullover gekleidet. Zwanzig oder mehr Fans standen im lockeren Halbkreis um ihn herum, alle respektvoll, nicht zu nah, hielten ihre Tickets oder Bilder hin und er signierte, ohne den Kopf zu heben. Robert Smith schaut viel auf den Boden, auf seine Schuhe, das ist wahr. Und alle diese Leute waren still, es fehlte sogar die normale Geräuschkulisse von knisternder Kleidung, Räuspern und Husten, Schritten. Es war nicht die Stille wie bei einer Beerdigung oder in einer Kirche, sondern eher wie das Warten auf einen großen Moment: die ersten Takte eines klassischen Konzertes, das Auftauchen eines Wals aus dem Meer, der Farbumschlag einer chemischen Reaktion.
Und Robert Smith signierte, ohne aufzuschauen, ich wußte, gleich bin ich an der Reihe, und dann war es soweit. Ich gab ihm meinen Stift, höre das Kratzen des Eddings auf der Rückseite meines Tickets, und stellte meine Frage. Er tratt einen Schritt zurück, und schaute mir ins Gesicht, und der Moment des Wahrnehmens wurde greifbar wie Materie. Man möchte es sich in Gläser einfüllen und aufbewahren für all die grauen Tage, in denen man nur einer von vielen ist, eine Nummer, unsichtbar. Dies ist das zweite Bild, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hat. Dann antwortete er, nicht so wie ich es erwartet hätte, sondern mit einem kleinen Witz, vielleicht die einzig richtige Antwort für ernste Fragen. Ich sagte noch etwas, ein Kompliment, meine Stimme wurde dünn am Ende, und dann war mein Moment vorbei. Fast. Nachdem ich mir noch ein Autogramm von Perry geholt hatte, stieg die Band in den Bus ein. Robert, noch immer umringt von Fans, fragte: „who owns this pen?“. Ich war verwundert, daß er sich die Mühe macht, wieso nicht einfach mitnehmen? Ich guckte dumm, und streckte dann die Hand aus. Er gab mir den Stift, schaute mich nochmals an, und hielt den Stift fest. Ich denke, er war ein bisschen betrunken, aber es war ein schönes Gefühl, wir beide, sanft den Stift festhaltend.
Am Sonntag spielen The Cure in Berlin. Ich glaube, es ist mein siebzehntes Konzert.
Gehen Sie hin. Es gibt noch Karten. Es wird magisch, ich verspreche es.
further reading:
Bild geklaut von hier
An neuer Stelle aufgetauchtes Weblog: Closedown
Wenn ich wieder darüber klage, daß meine Mailbox leer ist, sollte ich mich erinnern, daß es auch schon so aussah:
Das wir aus ihm & mir hat keine Perspektive. Um mich zu versöhnen, schreibt er:
„ich würde mich über alle Maßen freuen, wenn Du Deinen Traumprinzen triffst“.
Ach, denke ich, ein Prinz muß es nicht sein.
„Wann sehen wir uns wieder?“, frage ich, „vielleicht im Oktober?“.
„Du setzt mich unter Druck“, sagt er.
Ich seufze leise. Aber verstehen kann ich ihn schon.
Nackte, ineinander verschlungene Körper.
Frau Fragmente (ekstatisch): „du bist so ein Tier!“
Mann (hält inne): „was denn für ein Tier? Ein Goldhamster etwa?“
Scheint, als wäre ich nicht die einzige, die an ihrem Selbstbewußtsein arbeiten muß…
Dieses Mal hatte ich weniger Angst, daß ich ihm nicht gefallen könnte, dieses Mal hatte ich Angst davor, daß er mir nicht gefällt. Ob es doch nur der Zauber einer Nacht war, die Illusion eines Chatprogramms? Das erotische Empfinden einer Frau ist fragil wie ein deutscher Sommer, der Flügelschlag eines Schmetterlings, die falschen Schuhe, ein falsches Wort, dahin.
Abends ist der Bahnhof noch immer belebt, ich stehe neben einer Gruppe von Weltjugendtagsjüngern und bin ziemlich sauer und ein wenig nervös. Ich hasse den schäbigen, dreckigen Bahnhof, ich hasse das Warten. Dann sehe ich ihn, daumennagelgroß, am Ende des Gebäudes, in eine falsche Richtung gehend. Ich laufe ihm entgegen, bin ganz gerührt von diesem Moment des Wiedererkennens und daß ich sofort gewußt habe: das ist er. Er nimmt mich in die Arme, sein Bauch ist weich und warm und fühlt sich klasse an, er riecht fantastisch und alles ist gut.
Ich bin überrascht, wie gut wir miteinander harmonieren. Wie gut wir nebeneinander, miteinander schlafen können. Wie angenehm ich ihn empfinde, wie leicht es fällt, es ihm recht zu machen, und daß er es zu schätzen weiß. Wir frühstücken auf dem sonnendurchfluteten Balkon; gehen wieder ins Bett und dann in die Stadt, Hand in Hand. Am Schönsten ist es, als wir zusammen in einen großen Buchladen gehen, die Regale durchstöbern, einen Kaffee trinken und einander die Beute zeigen.
Ich mag seinen Körper, seine Wärme, wie er mir unermüdlich über den Rücken streicht und später seine Finger tief in mein weiches Fleisch gräbt.
Die Zeit ist abgelaufen. Ich bringe ihn zum Gleis und weiß, ich muß gehen, ohne mich umzudrehen. Ich hasse den Bahnhof. Das Bett wird noch ein paar Tage nach ihm riechen.
Ich ziehe mir den Mantel meines Alltags wieder an. Bin gelassener geworden, entspannter. Und um eine Erkenntnis reicher: daß es möglich ist, daß es Platz gibt in meinem Leben für jemand anderen, und daß dieser Platz einzunehmen ist ohne Mühe.
Ein kleiner Kater bleibt. der schrieb:
Equilibriumstheorie wieder bestätigt: die Menge an verfügbarem Wohlbefinden über eine gewisse Zeit ist konstant, Vorauszahlungen werden über Unwohlsein beglichen.
Aber aufzupassen, daß es mir nicht zu gut geht, darauf habe ich nun wirklich keine Lust.
Gestern, mit drei schweren Tüten aus dem Supermarkt bepackt, müde, ausgebrannt, wie ein Toastbrot im Regen, grauer Tag, graue Stadt. So stand ich vor dem Briefkasten, der an 25 von 30 Tagen leer ist und ansonsten Rechnungen enthält. Gestern aber: ein Brief von Justyna. Drei Seiten, handbeschrieben in purpurfarbener Tinte, und ich, gerührt. Daß sie an mich denkt, mehr als nur einen Moment, sich die Mühe macht, sich die Zeit nimmt. Was für ein Geschenk.
Mobiltelefon klingelt. Freundin aus Berlin.
Freundin (klassische Mobilfunk-Frage): wo bist du?
Frau Fragmente: ich bin auf dem Friedhof.
Freundin: oh..äh..wann kann ich dich denn mal auf dem Festnetz anrufen?
Frau Fragmente: ich hab‘ noch kein Telefon und eigentlich will ich auch keines. Aber du kannst mich in einer Stunde im Labor anrufen.
Freundin: aber in einer Stunde ist es 9 Uhr abends! Oder liegt das Ruhrgebiet in einer anderen Zeitzone?
Frau Fragmente: ich muß noch ein bisschen arbeiten.
Freundin: sag mal, wie geht’s dir denn?
Frau Fragmente: naja. Es ist Sonntag, ich bin auf dem Friedhof und gehe gleich arbeiten.
Freundin: okay. Naja. Dann bis später.
Frau Fragmente: bis dann!
Der Süße kommt zu Besuch und ich freue mich. Fürchte mich.
Auf uns. Vor mir.
Am Sonntag klingelt es an meiner Tür. Ich blicke durch den Spion: direkt vor meiner Wohnungstür steht ein älterer, bierbäuchiger Herr. Ich öffne. Es ist mein neuer Nachbar, für den ich die neue Nachbarin bin. Er wolle sich mal vorstellen, sagt Herr Meghar, er sei aus Algerien, er und seine Frau Gisela leben schon 13 Jahre in diesem Haus. „Komme Sie rüber, komme Sie rüber“; er unterstreicht seine Worte mit einer Handbewegung, sein Deutsch ist nicht gebrochen, sondern an den Kanten schon ganz weichgeschliffen. Es wäre gerade ungünstig, sage ich, im „Freizeitdreß“, die Beine unrasiert, habe ich mir heute überhaupt die Zähne geputzt? Ich komme morgen, verspreche ich.
Am nächsten Morgen begegne ich Herrn Meghar im Treppenhaus; ich bin auf dem Weg zur Arbeit, er holt gerade die Bildzeitung hoch. Ich verspreche nochmal, heute abend vorbeizuschauen, „auf ein Schwätzchen“, gegen sieben. Dann wird mir ein wenig mulmig, aber: es gibt kein Zurück. Im Seitenflügel in Berlin, vier Parteien, traf ich einmal meine Nachbarin, ich grüßte, sie grüßte nicht zurück. Solche Nachbarschaft bin ich gewöhnt. Und jetzt habe ich mit meinen soziophoben Tendenzen eine Einladung zu Familie Meghar.
Es ist sieben, ich gehe rüber. Herr Meghar macht mir einen Tee, schwarz, bitter, mit Pfefferminze, er zeigt mir das Bündel getrockneter Pfefferminze, das er aus Algerien mitgebracht hat, und läßt mich daran riechen. Gisela, übergewichtig, sitzt auf der ausgeblichenen Couch vor dem Fernseher und wirkt etwas depressiv. Sie hat, wie so viele Frauen in ihrem Alter, kurzes, lichtes Haar, das sie sich gerade in „aubergine“ färbt. Beide sind in der Rente; sie hat bei Spar an der Kasse gearbeitet. Man stelle sich immer vor, erzählt Gisela, das Rentnerleben sei so schön, endlich habe man Zeit, aber dann stellt man fest, man hat kein Geld. Ein Auto können sie sich nicht mehr leisten. Ihre Wohnung ist genauso groß wie meine, stelle ich fest, zwei Zimmer, 50 qm, Balkon. Ich fühle mich nicht mehr arm, so wie ich mich gestern fühlte, als ich Ausschau nach einem neuen Sofa hielt und feststellte, daß ich mir keines leisten kann. Die Aussätzige bei Möbel Hübner.
Wie die beiden sich kennengelernt haben, will ich wissen. Gisela ist verwitwet, ob Herr Meghar geschieden oder auch verwitwet ist, bleibt unklar, jedenfalls wohnten sie in der gleichen Straße, und da sind sie sich eben begegnet. Zwanzig Jahre ist das her.
Ob sie manchmal nach Algerien fahren? Ja, zweimal im Jahr, im November und im Februar, da sei es in Algerien schön warm, 20 bis 25°C, nachts aber sehr kalt, Wüste eben, baden könne man nicht, aber besser als der deutsche Winter.
Ein Licht im Rentnerleben, so schlecht scheint es mir nicht zu sein, zwischen Schrankwand in schwarzem Lack und aufgereihten Kuscheltieren auf der Sofalehne. Ich spüre eine Zärtlichkeit für diese beiden Leute, und ich habe keine Angst mehr. Vielleicht finde auch ich einen Herrn Meghar, mit dem sich auf die eine oder andere Art zusammenleben läßt, in zwei Zimmern mit Balkon, und einmal im Jahr ab in den Süden. Wie alt ich sei, fragt Herr Meghar, und schätzt: 25? Es klingt, als hätte ich mein ganzes Leben noch vor mir.