Steuerrad

Frau Novemberregen und ich sitzen in der Außengastronomie und bloggen. „Überrasch’ mich!“, hat Frau N. gesagt, als ich gefragt habe, wo wir essen gehen möchten. Naja. Das Lokal im Thurn und Taxis-Palais hat pleite gemacht und jetzt sitzen wir gegenüber bei einem Spanier und hatten eine gemischte Tapasplatte. Frau N. hat es nicht so richtig geschmeckt, se leugnet das aber beharrlich.

Frau N. ist gerade im Aufzug von einer mitfahrenden Frau angeflirtet worden – sie wird darüber wahrscheinlich in ihrem eigenen Blog berichten. Dazu muss man vor allem wissen, dass Frau N. sehr weit oben in den Wolken arbeitet und daher eine lange Aufzugfahrt hat, die durchaus Zeit für einen gehobenen Flirt lässt. Frau N. sieht heute in der Tat sehr hübsch aus, mit einer Bluse, die ihr sehr gut steht. Die Füße sehe ich zum Glück gerade nicht. Bin jedenfalls sehr froh, dass Frau N. jetzt gerade mit mir ausgeht und nicht mit der Dame aus dem Aufzug.

Zur großen Überraschung aller – vor allem zu meiner – habe ich am Samstag die Führerscheinprüfung Motorboot bestanden. Ich hatte noch eine weitere Fahrstunde mit einem anderen, sehr geduldigen Fahrlehrer, und habe sehr viel geübt, neben Theorie und Knoten vor allem Visualisierung der Manöver. Am Prüfungstag selbst war ich total überrumpelt, weil ich zuerst die praktische Prüfung ablegen sollte und nicht die theoretische. Ich konnte dann unter großem Druck und Streß alles abrufen, was ich gelernt hatte. Sehr überraschend. Der Fahrlehrer der ersten Stunde war während der Prüfung mit im Boot und ziemlich fassungslos.

Ich selbst habe die paar Tage vor der Prüfung echt gelitten und mich schrecklich gefühlt. Vielleicht erst einmal keine Prüfungen mehr für mich, außer denen, die einem das Leben ohnehin stellt.

Ich kriege öfter Komplimente für meine Intelligenz. Ich selbst finde mich gar nicht so intelligent. Insbesondere, wenn ich etwas neu lerne, dauert es oft ganz schön lange, bis ich es mir merken kann. Ich komme mir dabei regelrecht blöd vor. Ich halte mich allerdings für ziemlich hart, und kann eine Prüfungsvorbereitung auch durchziehen, wenn ich mich schrecklich dabei fühle. Ich habe Durchhaltevermögen und ich bin gut organisiert, ich glaube, das sieht von außen wie Intelligenz aus. Fühlt sich von innen aber nicht so an.

Es ist gar nicht so gut, hart zu sich selbst zu sein. Muss man gut dosieren, damit es schön bleibt. Hart, aber schön.

Meine Arbeit macht mir gerade ziemlich viel Spaß. Da ist es auch öfter mal hart, heute zum Beispiel ein Ritt wie auf einem schwarzen Hengst. Und ich werde niemals, niemals fertig, damit schließe ich so langsam, aaber doch eher widerwillig meinen Frieden. Ich kämpfe etwas damit, zu benennen, warum mir meine Arbeit Spaß macht. Es ist sehr abwechslungsreich, und das, was ich tue, erlebe ich oft als wirksam. Es hat auch oft etwas mit Ordnung schaffen zu tun, aufräumen, kanalisieren, anschieben, lenken.

Der zweite Fahrlehrer hat zu mir gesagt, ich solle nicht so fahren, wie mir der erste Fahrlehrer gezeigt hat. Ich solle es selbst entscheiden, wie ich fahre, und wie ich lenke. Denn ich bin die Schiffsführerin. Ich bin es, die am Steuer ist.

Lenken

Heute zum zweiten Mal in meinem Leben Motorboot gefahren, und zwar im Rahmen meiner Fahrstunde zur Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung Motorboot Binnen am Samstag. Das mit dem Führerschein ist eigentlich keine große Sache: man bimst sich 253 Multiple-Choice-Fragen ins Hirn, von denen dann 30 in der theoretischen Prüfung drankommen, davon dürfen 7 falsch sein. Man lernt 12 Knoten und ihre Verwendung, vielleicht sind es aber auch nur 9. Und man absolviert eine etwa fünfminütige praktische Prüfung, in der geprüft wird, was mir durchaus wichtig erscheint: ablegen, Kurs ansteuern, Mann über Bord („Mensch über Bord“, wird mit einer Boje simuliert), wenden, anlegen.

Leider hat sich heute gezeigt, dass ich kein Naturtalent bin. Die einzelnen Ablaufschritte, zum Beispiel fürs Ablegen, kann ich mir so einigermaßen merken. Mensch über Bord klappt sehr gut. Ich habe aber ein fundamentales Problem: ich kann nicht gerade aus fahren.

Sehen Sie: so ein Motorboot reagiert anders auf die Lenkung als ein Auto, nämlich mit einiger Verzögerung (weil, naja, Wasser). Das Steuer des Motorboots, mit dem wir üben, ist wie das Steuer eines Autos (rund), und ich drehe und drehe, und es passiert nichts, und dann passiert ganz viel, und dann drehe ich wieder in die andere Richtung, und wir fahren Schlangenlinien. Das ist, wenn man in einem engen Hafen anlegen möchte, recht blöd.

Der Fahrlehrer war so, wie auch manche Fahrlehrer beim Autofahren sind, oder Reitlehrer oder vielleicht auch Klavierlehrer, zumindest in meiner Jugend: dass es falsch ist, was ich mache, hat er mir deutlich gesagt. Warum machst du das? Du sollst nicht so drehen! Halte doch mal den Kurs! Und warum hast du jetzt das gemacht?? (Ja, man duzt sich in der Motorbootszene). Aber wie ich es anders hätte machen können, das habe ich heute nicht gelernt. Du denkst zu viel, ja, da hat er mich gut erkannt.

Als Krönung habe ich nicht nur einmal, sondern zweimal versehentlich Vollgas gegeben (man hat so einen Hebel, als würde man im Auto den ersten Gang einlegen, nur: danach ist nicht Schluss, sondern Vollgas). Riesenstreß beim Fahrlehrer und auch bei mir, und, äh, Kollisionsgefahr.

Nach anderthalb Stunden war ich einfach nur froh, dass es vorbei war. Ich darf – oder muss – noch einmal zur Fahrstunde kommen, viel Zeit ist ja nicht mehr. Der Fahrschüler, der heute mit mir auf dem Boot unterrichtet wurde, braucht auch noch eine Stunde, das ist ein Trost, obwohl er viel besser geradeaus fahren kann, bzw. überhaupt. Er sagt, er macht die Prüfung vielleicht nicht.

Wie ich mich fühle, hat mich heute jemand gefragt, und ich habe geantwortet: niedergeschlagen. Ich stecke das nicht so einfach weg, zumindest jetzt noch nicht. Es kommen alle Prüfungen wieder hoch, durch die ich gefühlt oder real durchgefallen bin: anorganische Chemie im Studium, wo mir heute noch im Traum manchmal der gekachelte Terracottaboden vor dem Aushang mit den Prüfungergebnissen erscheint. Diverse Vorträge während meiner akademischen Laufbahn, bei denen ich lausig vorbereitet war. Die Verteidigung, natürlich. Dann aber im gleichen Atemzug alles, wo ich erfolgreich war: 15 Punkte im Abitur, unter den besten 10% der Mitarbeiter/innen bei meinem Arbeitgeber, Bürgermeisterin von Gurkfeld. Gestern noch den COO von einer Genehmigung einer wichtigen Sache überzeugt.

Bisschen an diesen Eintrag gedacht, wo ich mir schwöre, in nächster Zeit keine Prüfung mehr abzulegen. Und jetzt stehe ich hier, und möchte mit meiner Mutter über Rhein und Main tuckern, der Wind sanft in unserem Haar, ein Lächeln auf dem Gesicht.

Nach der Fahrstunde habe ich mir einen Plan gemacht: ich werde mir die Manöver aufschreiben und gedanklich einüben, ich werde noch eine Fahrstunde absolvieren, ich werde die Prüfung antreten und vielleicht reicht es. Wenn ich durchfalle, werde ich noch eine Fahrstunde nehmen, vielleicht auch ein Skippertraining, dreieinhalb Stunden sind das, und dann werde ich die Prüfung noch einmal machen.

Es gibt also wirklich gar keinen Grund, sich aufzuregen, sich so niedergeschlagen zu fühlen. Aber ich merke, dass da eine Diskrepanz in mir ist, zwischen zwei Wahrheiten vielleicht, zwischen backbord und steuerbord, und ich möchte so gerne dagegenlenken, denn es ist eigentlich gar nicht die Prüfung, die mich so aufregt, sondern meine eigene nicht angepasste emotionale Reaktion. Ich möchte mich so nicht fühlen, ich möchte die Mitte finden, gerade aus blicken, lenken, aber ich weiß gerade nicht, wie.

eine Prise Magie

Ich sitze am Küchentisch von Frau Novemberregen und blogge. Frau Novemberregen telefoniert mit ihrer Mutter und macht User Support („was ist denn in der linken unteren Ecke?“… „ist der Bildschirm grün oder ist das so ein grünes Muster?“.. „wenn du das Kennwort eingibst, ist ja ganz rechts ein Pfeil,und vor dem Pfeil ist noch ein Kreis… jetzt sag mir bitte noch einmal, was genau dort steht…“). Um meine Beine schleicht der schwarze Kater, denn er weiß, dass ich weiß, wo die Schublade mit den Leckerchen ist, er lässt sich ein bisschen streicheln, und schon öffnet sie sich.

Ich bin müde gerade, auf so eine ganz wohlige Art. Frau N. und ich sind durch den Regen zum Steakrestaurant gelaufen, ein großer Regen, so groß, dass wir uns einen Moment in einen Hauseingang stellen mussten. Wir hatten beide Regenschirme dabei, das ist selbstverständlich, ich einen Schirm, den mein Vater mal vor ein paar Jahren bei einer Veranstaltung hat mitgehen lassen, es ist nicht ganz klar, ob es ein Versehen war oder ob er ihn schlichtweg geklaut hat. Es ist ein toller Schirm, groß und mit Holzgriff, mit grünem Stoff bezogen, für den großen Regen. Die Tropfen machen tock tock tock darauf, aber die Hosenbeine werden trotzdem nass, wenn es so dolle regnet, deshalb bleiben wir einen Moment stehen, während die Stadt im Schleudergang gewaschen wird, alles leer bis auf vereinzelte Gestalten, die irgendwo hin müssen oder wollen oder gänzlich über den Dingen stehen.

Ich mag es sehr, wenn es in der Stadt regnet, weil sich für eine kurze Zeit fast so eine Art von Parallellwelt öffnet, etwas leicht magisches, aber ich wiederhole mich. In der Autowaschanlage mit dem gigantischen Staubsaugerplatz war heute nichts magisch, aber ich konnte einem der Mitarbeiter ein Trinkgeld geben, und sein Lächeln hat hell gestrahlt. Es sind so feine soziale Konventionen, die es manchmal möglich machen, etwas zu geben, und manchmal gar nicht – neben dem magischen Realismus der Stadt auch ein spannendes Thema für einen kleinen Aufsatz, sollte ich irgendwann einmal dafür Zeit haben.

Im Steakrestaurant habe ich vor etwas mehr als einem Jahr das beste Steak meines Lebens gegessen. Ich habe dies sogar für die Ewigkeit mit einem Tweet festgehalten:

Ich habe seitdem mehrfach versucht, dieses Erlebnis zu replizieren. In diesem Lokal, in seinem Schwesterlokal, in anderen Lokalen. Es war nie wieder so gut, auch heute nicht. Ich beklage dies nicht, denn es war nichtsdestotrotz ein wirklich sehr gutes Essen, ich stelle es nur fest, denn es ist ja oft so, dass die wirklich magischen Momente nicht käuflich sind oder planbar oder herbeiführbar. Man kann nur versuchen, offen zu bleiben, Gelegenheiten zu schaffen, wie Frau N. immer so schön sagt, und es wertzuschätzen, wenn es passiert.

Auf dem Rückweg kein Regen mehr, wir schlendern vorbei an dem Einrichtungsgeschäft mit den sehr ausdrucksstarken, pompösen orientalischen Möbeln, dem großen libanesischen Imbiss mit separater Baklava-Theke, und dem Hinterhof, der sich plötzlich zwischen den Bäumen öffnet, und in dem sich letztes Jahr ein paar Jungs gerauft haben, weißt du das noch, frage ich Frau N, und sie haben uns mit einem lachen gefragt, ob wir die Polizei rufen werden, es bleibt im Gedächtnis, weil es nicht so recht einzuordnen ist, vielleicht als erster Satz in einem Roman.

Ich bin müde, auf eine angenehme Weise, satt von allem, auf die beste Art. Im Büro heute viel nachgedacht, so richtig tief überlegt, so dass auch mein Gehirn angenehm müde ist, wie ein Greyhound, der mal wieder kilometerweit gerannt ist. Viele Eindrücke heute, vergangenes wie auch gegenwärtiges. In den letzten Tagen hatte ich hin und wieder den Gedanken, dass ein glückliches und erfülltes Leben daraus besteht, das Glück und die Erfüllung im Alltag zu finden, im ganz gewöhnlichen – und nicht primär in den Errungenschaften, Meilensteinen oder Gipfeln, die wir erklimmen. Vielleicht ist da was dran, mal sehen, was ich darüber in 15 Jahren denke.

Frau N. sagt:“ dann ist euer Passwort jetzt geändert! Mach‘s gut, Küsschen, Grüße!“, legt auf, seufzt leicht und verschwindet im Badezimmer. Sie ist eine gute Tochter. Dann kommt sie zurück und fängt sehr schnell an zu tippen. Sie ist bestimmt gleich fertig, und ich – naja, ich auch.

Narbengeschichten

Frau Novemberregen ist nicht da, sie hat besseres zu tun. Wir sind für morgen verabredet und werden ein Steak essen gehen, also jeweils jede eines, da freue ich mich schon die ganze Woche drauf. Was sag ich – noch länger!

Vorher besuche ich noch einen magischen Ort: eine große Autowaschanlage mit gigantischen Staubsaugerplätzen. Dort werde ich im Abendlicht mein Auto so richtig durchsaugen, bisschen feudeln, Glasreiniger, dies das. Der Staubsaugerpark hat aber wirklich etwas magisches, diese kurze Gemeinschaft aus Menschen, die eine Aufgabe haben, die meinen, einander nicht zu sehen, und doch alles wahrnehmen, in einem völlig zweckmäßigen Umfeld. Ich kann es nicht so richtig in Worte fassen. Ich bin dort übrigens auch gerne mit Frau N., sie teilt meine Faszination.

Frau N. hat noch gar nix zum Wetter gesagt. Es wird maximal 18 Grad warm, wir sitzen natürlich draußen, ich überlege die ganze Zeit, ob meine dicke Strickjacke reicht, oder nicht vielleicht doch noch ein Mäntelchen, oder der Kaschmirschal. Für Frau N. ist es wahrscheinlich ein ideales Wetter. Nach dem Essen werden wir auf jeden Fall bloggen, sofern wir noch können, vielleicht gibt es auch nur ein Foto vom Steak, mal sehen.

Heute also am besten anderswo lesen. Formschub hat eine Serie ins Leben gerufen: Narbengeschichten. Hier sein Eintrag dazu.

Ich habe eine Narbe von einer Blinddarmoperation, eher unspektakuläre Geschichte, und eine vom scharfen Rand der Hundefutterdose. Mein linkes Bein ist immer noch ein bisschen verbeult, mehr als 15 Jahre später. Auf das Antibiotikum habe ich allergisch reagiert, mir fehlen da weiterhin ein oder zwei Tage, in der ich in meiner Wohnung lag, ohne Erinnerung. Interessant für mich, diese Einträge im Rückblick zu lesen: was ich damals genau erkannt, und was verkannt habe. Wie schwierig damals das Verhältnis zu meiner Mutter war. Wie schwer es mir gefallen ist, im Zustand der körperlichen Schwäche auf meine Freunde zuzugehen und um Unterstützung zu bitten. Was davon bis heute so geblieben ist. Was an mir damals schon so war wie heute, und wo ich gewachsen bin.

Hart aufgeschlagen.

Verletzungsphoto

Dr. Zorn

Dr. Zorn hat es eilig

Jetzt neu!

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal

Mein linkes Bein

Bob Ross

Frau Novemberregen sieht heute sehr gut aus, in einem schwarzen Shirt mit feinem geometrischen Muster, sehr bürotauglich, und das Licht gibt ihr einen sanften Glow. Die Geräusche um sie herum per Videokonferenz sind immer etwas unangenehm: die Waschmaschine quietscht und pfeift („gleich fertig!“, sagt sie, aber dann stimmt es nicht), ihr Timer piept (diesmal Apfelkuchen, letztes Mal gratinierte rote Beete), und hin und wieder tippt sie sehr laut, das hört sich an wie Gewehrschüsse oder Hagel, schnell und heftig.

Fast anderthalb Stunden haben wir nur geredet, über manche Themen kann ich mit niemanden so gut sprechen wie mit ihr, und alles, was sie erzählt, interessiert mich.

Meine Haare hängen heute schlaff herab, am Anfang unseres Gesprächs waren sie sogar noch ein bisschen nass, weil ich mit meiner Mutter im Regen spazieren war, ein ganz leichter Sommerregen, fast schon eine Art von feuchtem Nebel, schön war das. Schade, dass ich so wenig über meine Mutter bloggen kann, und Frau N. fast nichts über ihre Tochter.

Meine Haare hängen heute nicht nur wegen des Regens herab. Ich habe geduscht, aber vergessen, mir in der Dusche die Haare zu schamponieren. Ich wünschte, ich könnte sagen, das wäre mir seit Dekaden nicht mehr passiert, tatsächlich ist das letzte Mal erst ein paar Jahre her. Ich war heute morgen sehr durcheinander, weil ich einen Fehler auf der Arbeit gemacht habe. Über den Fehler kann ich leider aus Vertraulichkeitsgründen nichts berichten. Frau N. findet es nicht so schlimm, meine Mutter auch nicht, mein Chef so mittel und der Geschäftsführer weiss noch nichts davon. Man wird es heilen können, keine Frage, aber unangenehm ist es mir trotzdem. Ich weiß, dass es normal ist, Fehler zu machen, ich weiß, dass ich nicht besonders häufig Fehler mache, und ich weiß, dass es nicht gut ist, den Anspruch an sich zu haben, keine Fehler zu machen.

Als mich mein Chef heute morgen angerufen hat, und klar wurde, ich habe einen Fehler gemacht, da ist es mir so richtig durch Mark und Bein gegangen. Flattern in der Magengrube, Puls, schwitzige Handflächen, wackelige Stimme. Dann bin ich duschen gegangen (Home Office), habe mir die Haare nass gemacht, aber nicht schamponiert, mich gewaschen, mit Seife, mich abgetrocknet und angezogen. Die Ursache des Fehlers gesucht, Lösungsmöglichkeiten überlegt. Weitergemacht.

Frau N, hat heute vergessen, Backpulver in den Teig vom Kuchen zu geben. Und das als Bäckerstochter! Es wird trotzdem schmecken, sagt sie, vielleicht sogar besser, ein bisschen wie Apple Crumble. Not all mistakes are happy mistakes, but some are.

Kate Bush hat ein Lied dazu geschrieben: an architect‘s dream.

Das komische ist: wenn es vorbei ist, erinnere ich mich recht gerne an meine Fehler, und ich erinnere auch gerne meine Mutter daran, wenn sie sich Sorgen macht, dass sie vergesslich wird. Weißt du noch, wie ich den Pfandbon im Automat habe stecken lassen, sage ich dann. Oder wie ich meinen roten Geldbeutel auf dem Autodach in der Tiefgarage habe liegen lassen. Paar Stunden später habe ich es gemerkt, alles war noch da, hundert Euro oder mehr, Bankkarte, Kreditkarte, Führerschein, Fahrzeugschein.

Der schmerzhafteste Fehler auf meiner jetzigen Arbeit war ein von mir erstelltes und passwortgeschütztes Dokument, für das ich ein paar Monate später das Passwort vergessen hatte. Paar Nächte nicht geschlafen, hunderte Passwörter durchprobiert. Für einen nicht unerheblichen Betrag ein zwielichtiges Programm gekauft, das angeblich Passwörter solcher Dokumente knacken kann. Konnte es nicht. Auch gut zu wissen, wie sicher Verschlüsselung sein kann. Am Ende das Dokument neu geschrieben, aus dem Gedächtnis heraus.

Ich bin seitdem etwas ordentlicher.

Mein lustigster Fehler – also rückblickend – ist schon fast zehn Jahre her, ich arbeitete noch in einem ganz anderen Job und musste gelegentlich Emails „on behalf of“ für meinen Chef versenden. Eine solche Email sollte an einen größeren Verteilerkreis innerhalb der Firma in Großbritannien und in den USA gehen, alles hohe Tiere, natürlich vertraulicher Inhalt. Mein Chef hatte den Entwurf der Email überarbeitet, es konnte jetzt verschickt werden, und er war an diesem Tag nicht da. Wahrscheinlich nach Diktat verreist oder so. Ich schickte die Email also raus – Adressaten natürlich erst ganz zum Schluß eingesetzt – ging mir einen Kaffee holen, chilte ein bisschen und stelle dann fest, dass einer der Adressaten falsch war. Ich hatte aus dem Verzeichnis Cox, Derek herausgesucht, die Email sollte aber an Cox, Michael gehen. Message recall ist mein Freund, und zur Sicherheit – nachdem ich aufgehört hatte, zu hyperventilieren – habe ich auch IT Support in den USA angerufen. Dort wurde dann (6 Uhr morgens Ortszeit) sofort eine Task Force gebildet. Cox, Derek, hatte erfreulicherweise seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen, also: gar nicht, es war ein neuer Mitarbeiter. Die Email konnte restlos aus seiner Inbox gelöscht werden. Zur Sicherheit wurden auch die Magenttapes, auf denen die Sicherungen der Emails gemacht werden, gelöscht. Insgesamt ein eher größeres Unterfangen. Mein Chef hat dann, als ich gebeichtet hatte, seine Brille abgenommen, auf den Schreibtisch geknallt, den Kopf in die Hände gestützt und wurde so rot, dass ich dachte, gleich explodiert er. Er hat mich aber nur mit müder Stimme gefragt, ob ich verrückt sei, was ich verneinte. Ich bilde mir ein, dass ihn ein kleines bisschen beeindruckt hat, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon einiges an Lösungen in die Wege geleitet hatte, aber wer weiss schon, was er so alles dachte.

Der Kuchen von Frau N. ist fertig, sie hat ihn aber noch nicht probiert. Muss erst auskühlen und sich setzen, sagt sie. Ich würde gerne ein Stück probieren, noch warm und mit Schlagsahne, das wäre schön.

Runter vom Gas, Kupplung kommen lassen

Guten Tag gehabt heute. Arbeit macht mir gerade Spaß. Ich mag meine Arbeit ja generell gerne, und die Arbeit mag mich auch zurück, glaube ich, aber oft genug ist darin auch eine Schwere eingeflochten, etwas mühevolles, zähes, unbewegliches. Und oft auch schlicht zu viel. Gerade aber geht es ganz gut, kitzelt mich intellektuell ordentlich, bewegt sich und geht voran. Vielleicht bleibt es noch ein paar Tage so.

Frau Novemberregen sieht heute sehr seriös aus, trägt eine gestreifte Bluse und ein Strickjäckchen drüber, fast ein bisschen hanseatisch. Sie stand im Stau, ist aber natürlich trotzdem pünktlich, aber hungrig, bestellt nebenbei Pizza. Wir sprechen aus naheliegenden Gründen über Essen. Ich arbeite ja diese Woche im Büro in der Stadt und nicht im Büro in meinem Wohnzimmer. Gestern habe ich mich zum Essen einladen lassen – so kann man sich bei mir am besten für geleistete Dienste revanchieren – und wurde mit griechischer Vorspeise, Hauptspeise und sensationell leckerer Nachspeise verwöhnt, Galaktoboureko und Schokosouffle mit flüssigem Kern. Nice little restaurants where they know your name. Heute habe ich bei meinem Lieblings-Thai bestellt, Frühlingsrollen und Tom Kha Gai, da blieb sogar noch etwas übrig, das ich gerade als Abendessen verputzt habe.

Frau N. bekommt die Pizza geliefert, beisst rein und zählt dann die Katzen durch. Alle da. Herr N. hat auch eine Pizza bekommen, mit extra Käse, das ist wichtig.

Auf dem Weg zur Arbeit habe ich mir einen Vortrag von Esther Perel angehört, einer belgischen Paartherapeutin, die einen schönen Podcast hat: How’s work? Esther Perel postuliert, dass wir alle ein Relationship Diary mit auf die Arbeit nehmen, und in den zwischenmenschlichen Interaktionen im Büro dazu neigen, das auszuagieren, was wir an Beziehungsmustern in unserer Kindheit und Jugend erlebt haben. Büro ist Familienaufstellung.

Ich habe ihren Podcast sehr viel am Anfang dieses Jahres gehört, als ich einen Konflikt mit einer Mitarbeiterin hatte. Ich habe auch mit einem externen Coach an diesem Thema gearbeitet, weil es mich sehr belastet hat. Der Coach hat, wie das oft in solchen Sessions ist, eine Reihe von guten Sätzen gesagt, Sätze, die bei mir haften lassen. Einer davon war: die wertvollsten Lektionen erhalten wir von Menschen, die uns diametral entgegengesetzt sind. Die Mitarbeiterin ist tatsächlich ein starkes Gegenteil von mir, bis hin zum Äußeren. Klick hat es bei mir aber erst durch Esther Perel gemacht: die Mitarbeiterin hat mich sehr an meine Schwester erinnert, und daher war der Konflikt für mich nicht ein normaler Konflikt, wie er zur Berufstätigkeit dazu gehört, sondern so stark emotional aufgeladen, dass es mich über die Maßen belastet hat.

Der Mitarbeiterin habe ich gekündigt, und mit meiner Schwester rede ich nur etwa einmal pro Jahr small talk, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

Ein Konzept von Esther Perel, das in mir Widerhall gefunden hat, ist the power of the helpless (schön aufgedröselt in dieser Episode). Wenn man jemanden, der in einer verfahrenen Situation ist, immer wieder Vorschläge zur Veränderung unterbreitet, aber diese Vorschläge immer wieder abgelehnt werden, dann kommt es zu einer Verschiebung des Machtgefüges. Die hilflose Person ist in einer Position der Macht, wo sie wie eine Königin sagen kann: das nicht, und jenes nicht, und das schmeckt mir auch nicht, und dieses will ich auch nicht, und alles ist blöd, und du bist es auch. Und plötzlich fühlt man sich tatsächlich blöd, und am Ende genauso hilflos wie die hilflose Person. Die hilflose Person hat erfolgreich ihre Gefühle auf einen selbst übertragen. Ich neige dazu, diese fremden Gefühle sehr empathisch in mir zu fühlen, merke dann aber irgendwann, dass es nicht meine eigenen sind. Dann werde ich wütend, und hart, und erbarmunglos.

Mit Frau N. noch ein bisschen über Mitarbeiterführung gesprochen. Darin übe ich mich ja gerade, als Bürgermeisterin von Gurkfeld. Ich wünsche mir sehr, ein paar alte Strukturen aufzubrechen, Potentiale zu heben und Leistung zu bekommen, wie sie meinen Ansprüchen genügt. Andere durch mein Beispiel zu inspirieren. Klingt bescheuert, ist aber so.

Im Moment sieht es eher so aus, als ob meine Bemühungen nicht erfolgreich sind. Das ist das tückische an Beziehungen: man kann sich nie sicher sein, dass sie gelingen werden. Es gibt keine Proportionalität von Aufwand und Ergebnis. Vielleicht runter vom Gas, Kupplung kommen lassen?

Noch so ein Satz, der bei mir hängen geblieben ist:

You set boundaries, not because you want to end the relationship, but because you want it to continue.

Ist aber nicht von einer Psychologin, sondern von TikTok.