Gar nicht schlecht hier. In Baden-Württemberg würde sich das „Schloßpark“ nennen und wäre umsonst. Versteh’ ich nicht, wieso man in Marzahn einen Erholungspark braucht. Marzahn ist doch sowieso schon j.w.d. Ist lustig, da steht man in einer sorgfältig bepflanzten Parkwelt und in Hintergrund sieht man die zwanziggeschossigen Plattenbauten. Pastellblau.
Ich bin so ein Snob.
Direkt hinter dem Zaun des Parks fängt eine andere Art von Natur an, verwildert, mit langem Gras, manchmal umgeknickt, in Farben zwischen hellgrün, beige und braun. Fast schöner als der Park; ich habe Grille zirpen gehört.
Was sind hier für Menschen? Viele Familien mit Kindern unterschiedlichen Alters. Viele Rentner- oder Frührenterehepaare, manchmal auch zwei ältere Frauen, verwitwet oder geschieden.
Wie leben Frauen in meinem Alter? Sie kommen kaum vor, es sei denn, sie schieben einen Kinderwagen. Ich sehe ein paar aufgestylte Mäuschen, von denen ich annehme, sie arbeiten als Drogeriefachverkäuferinnen bei Schlecker. Ruth behauptet, ich wäre ein Beruferassisist.
Ich suche jemand, dem ich ähnele. Gar nicht so einfach. Mir fallen die vielen verlebten Gesichter auf, abgearbeitet, kaputtgearbeitet für den einen oder den anderen Staat. Ich glaube nicht, daß ich verhärmt aussehe. Ich bin eine priviligierte Tochter einer intellektuell angehauchten Mittelstandsfamilie, ich bin nicht verprügelt worden, keiner hat gesoffen, meine Existenzängste waren keine wirtschaftlichen. Es ist also nicht mein Verdienst.
Ich sehe eine junge Frau, die mit ihrem Vater hier ist und sich bei ihm untergehakt hat. Sie hat kurze rotgefärbte Haare, eine schlanke Figur und ein geringeltes Oberteil an. Sie ist schöner als ich, auch deswegen, weil sie unbeschwert wirkt, wie jemand, der es nicht nötig hat, sich herauszuputzen, sich darzustellen.
Ich sehe eine Frau in Cargohosen und Trekkingsandalen, begleitet von zwei ebenfalls sportlich gekleideten jungen Männern. Ich habe mich vor etwa fünf Jahren auch so angezogen, unisex bis burschikos. In ihr sehe ich meine Vergangenheit.
Ich sehe eine Nonne in schwarzer Ordenstracht, eine Dominikanerin oder Elisabethin. Ich sollte weniger schwarz tragen. In meinem Ausschnitt der goldene Anhänger, croix de languedoc, ein Erbstück, sicher, aber wie wirkt das denn. Eine Frau in schwarz, allein auf der Bank im Schatten, Erholungspark Marzahn. Als wäre ich in Trauer.
Andererseits: als ich auf dem Fahrrad herfuhr, da haben sie mir in den Ausschnitt gestarrt. Man kann sagen, was man will, aber die Brüste sind okay.
Eine Familie mit zwei Kindern, sie streiten sich. Der Mann schreit den Sohn an, die Mutter versucht zu schlichten. Es muß ein großer Druck sein, am Sonntag die heile Familie mimen zu müssen.
Ich bin gerne allein.
Ich mag Gamelan, diese unvertrauten Harmonien, die Tonfolgen, die auf überraschende Weise aufgelöst werden. Der Tanz ist wie immer von spektakulären Kostümen geprägt.
Ich sehe viele Menschen, die die Aufführung fotografieren. Das ist mir unverständlich. Ich kann verstehen, daß man im Urlaub Fotos macht. Ich stelle mir vor, wie die Menschen später in ihrem Wohnzimmer im pastellblauen Plattenbau sitzen; auf der Couchgarnitur mit Onkel Ernst, und die Fotos zeigen. „Wann wart ihr denn in Indonesien?“. „Das war im Erholungspark Marzahn.“
Dann begreife ich, daß es den meisten Leuten nicht um das Festhalten dieses Augenblickes geht, sondern um Fototechnik. Ich sehe viele hochmoderne, komplizierte Digitalkameras. Ich stelle mir die Kommentare vor: „dieses Bild ist besonders gut geworden, da habe ich den Weißabgleich auf 240 gestellt und im Sportmodus fotografiert“. „Und was sieht man da?“. „Oh, irgendsoeinen Volkstanz.“
Ich merke, daß ich der Vorführung nur mit halber Aufmerksamkeit folgen kann. Mit der anderen Hälfte kontrolliere ich, ob sich jemand vor mich stellt und mir die Sicht verdirbt. Ich bin in letzter Zeit so sehr darauf bedacht, daß ja niemand meine Rechte beschneidet. Im selben Moment ärgert es mich, daß ich so engstirnig reagiere. So hart geworden bin.