unter der Narrenkappe

Ich hatte es vergessen, und jetzt spüre ich es wieder. Das ist mir nicht recht, ich suche nach dem Kniff, der mich vergessen macht, der alles verblassen läßt. Man hätte die Tür nicht öffnen sollen, aber wer hätte schon gedacht, daß es mich so von den Füßen haut. Am Ende schlägt man immer hart auf, ich falle so ungern, weil ich das weiß. Und rüttle doch an den Naturgesetzen, die – nur halb entschüsselt – mein Leben zu bestimmen scheinen. Konstruiere ich etwas, um so zu empfinden? Oder ist es tatsächlich mein Schicksal, die story of my life? Macht es einen Unterschied? Liesse sich etwas verändern, oder bliebe man machtlos, egal ob Naturgesetz oder Trick der eigenen Psyche?
Ich spüre, und ich will nicht, und ich will doch, aber ohne unten zu zerschellen. Sei mir nah, und bleib mir fern.
Das ist hier nicht Griechenland. Komm, Leben, überrasch mich, schreib mir einen anderen Schluß. Sonst muß ich in diesem Dschungel aus Zeilen nach dem Rezept fürs Vergessen suchen.

Nummer sieben

Miss Monolog ist krank. Magen-Darm-Geschichte. Da bietet sich ein Verletzungsphoto nicht unbedingt an. Das schöne Wort „Verletzungsphoto“ habe ich übrigens von Emily’s Beatbox geklaut, die bereits viel früher über einen Trend zu Verletzungsphotos nachdachte. Meiner Ansicht nach gibt es aber keinen Trend, denn nach meinen Informationen posten bislang nur zwei Personen Verletzungsphotos: beyond the void (1) und meine Wenigkeit (6). Und was ich tue, das kann nicht hip sein, habe ich doch schon immer zu den Uncoolen gehört.

Meine wahre Bewunderung gilt ohnehin jenen, die das Grauen allein durch Worte zu vermitteln verstehen, insbesondere: Malorama.

Ihnen allen wünsche ich: gute Besserung! Ich gehe jetzt mal den Song von VNV Nation suchen, den ich damals so klasse fand. Nicht jedoch, ohne mich mit einem Verletzungsphoto (Nr. 7!) zu verabschieden:

bein ende januar

und ob ich schon wanderte im finstern Tal

nesselsucht

Es ist sehr viel schlimmer geworden. Wenigstens sind es nicht die Masern, sondern eindeutig Nesselsucht als allergische Reaktion auf das Antibiotikum. Ich nehme jetzt ein anderes, hoffe, daß ich es vertrage und hoffe weiterhin, daß der Höhepunkt der allergischen Reaktion bald erreicht ist. Das Gesicht ist komplett zugeschwollen, ich habe Lippen wie Daisy Duck und sogar die Ohrmuscheln und Augenlider sind betroffen. Die Quaddeln sind mehr oder weniger überall, auch an so ungünstigen Stellen wie am Venushügel, aber so genau wollen Sie’s sicher nicht wissen.
Ich hatte heute aber auch ein Quentchen Glück. Mein Glück trug einen grünen OP-Anzug, ist die Vertretung von Dr. Zorn, heißt Dr. Matuschek (gab es da nicht mal eine Krimiserie) und hat mich nicht aufgeschnippelt. Stattdessen hat er sich kurz, aber gründlich mit mir unterhalten und ich fühle mich schon viel besser informiert. Er schätzt die Lage ernster ein als Dr. Zorn und hat mir strengste Bettruhe verordnet, weil das Bein nicht belastet werden soll. Er unterstützt mich in meinem Wunsch, um eine Operation herum zu kommen, meint aber auch, falls es schlimmer wird: Notarzt rufen, Krankenhaus, nicht zögern. Insgesamt habe ich den Eindruck, daß er mich viel gründlicher untersucht hat und nicht Pi mal Daumen, sondern mit mehr Sachlichkeit behandelt.
Eine Kollegin hat mir eine Heilpraktikerin empfohlen und ich habe mir – trotz Skepsis – einen Termin für Donnerstag geben lassen. Ich hoffe, daß ich von ihr einen guten Rat zum Thema „Operation oder nicht“ bekommen werde. Von diesen Globuli und homöopatischen Mitteln bin ich nicht so überzeugt, aber mich dürstet nach einer fundierten Diagnose.

Für die Genesungswünsche bedanke ich mich sehr herzlich!

Jetzt neu!

Frau Fragmente mit Ausschlag!

ausschlag

Nicht nur da, sondern auch im Gesicht, am Rücken und an den Oberschenkeln. Vielleicht eine allergische Reaktion auf das Antibiotikum.
Es ist ein schmaler Grad zwischen Selbstmitleid und Amüsement. Manchmal fühle ich mich recht gut unterhalten von der Komödie, die mir mein Leben gerade spielt.
Beruflich beschäftige ich mich seit ein paar Wochen mit einer Prozedur, die nicht das gewünschte Ergebnis bringt. Irgendwo in der Prozedur steckt ein Fehler; ich nehme sie Stück für Stück auseinander: wo ist der Fehler?
Auch in meinem Körper scheint ein Fehler zu sein, in meiner Behandlung ist ein Fehler, in meinem Leben ist ein Fehler.
Fehlersuche, jede wache Minute, und gleichsam der Gedanke, daß ich auch mit meinen Fehlern leben könnte.
Der Körper ist die wundersamste Maschine von allen: meistens heilt er sich, ohne daß wir verstehen, wie. Oder wo der Fehler lag.

Dr. Zorn hat es eilig.

Er ist kein unfreundlicher Mensch. Er hört mir zu, er nimmt mich ernst in diesen vier oder fünf Minuten, die wir miteinander reden, aber bleibt immer das Gefühl, als würde er gleich weg müssen, als würde er sich gleich mit einem Kopfnicken und einem Lächeln wegdrehen und verabschieden. Im Behandlungsraum gibt es einige mit einem Vorhang abgetrennte Kabinen, darin ein Stuhl und eine Liege. Ich sitze auf dem Stuhl, er steht am Türrahmen. Keine Zeit für ein Gespräch, nur ein Austausch von Sätzen. Er möchte am Dienstag das Bein ambulant in seiner Praxis operieren; das geronnene Blut herausholen, das einen Klumpen bildet und sich infiziert hat. Er sagt, ich würde eine Narkose bekommen und davon nicht viel mitkriegen. Ich rede davon, daß die Infektion schon sehr stark zurückgegangen ist. Ich rede von Risiken, die ein Eingriff immer mit sich bringt, von Narben, von versehentlichen Verletzungen von Nerven und Sehnen, von Narkoserisiken, von Medikamentenallergien. Wenn ich versuche, mich an seine Antwort zu erinnern, finde ich nur eine blanke Stelle. Ich frage ihn, was passiert, wenn man nicht operiert, auch hier fehlt mir die Antwort. Vielleicht habe ich mich nicht verständlich genug gemacht, ich bin aufgeregt und klinge wie ein Mädchen. Ich versuche, unsere Sätze zu entwirren, am Ende bleibt wenig Sachlichkeit.
Er zeichnet mit Kugelschreiber einen Kreis um die Schwellung, am Dienstag will er so beurteilen, wie weit die Schwellung zurückgegangen ist. „Kommen Sie um elf“, sagt er, „nüchtern, und dann sehen wir, ob wir operieren müssen.“
Er muß weiter, schnell, die Zeit drängt. Zum Abschied eine Handvoll Merkblätter, auf denen ich Worte wie Vollnarkose, Intubation, Begleitperson lese.

Später bleibe ich – wie in einer schlechten amerikanischen Vorabendserie – im Auto sitzen, unfähig, auszusteigen. Versunken im Gedanken, gefangen im Gefühl. Ich habe große Angst. Und vor allem habe ich große Zweifel. Was passiert da und ist es wirklich nötig? Würde er mir auch zu dieser Operation raten, wenn er es nicht selbst in seiner Praxis durchführen könnte?
Ich muß mich für oder gegen eine Operation entscheiden, und ich habe nicht genügend Wissen, um es entscheiden zu können. Es könnte ein großer Fehler sein, sich operieren zu lassen; es könnte aber auch ein großer Fehler sein, sich nicht operieren zu lassen.
Ich bin allein. Angst ist ein Luxus, den ich mir nicht erlauben kann.

Am Montag also die Ochsentour, mit einem schweren Joch auf den Schultern: Hausärztin, Sachlage erklären, ihr einen Überweisungsschein abringen. Zu einem anderen Arzt gehen, eine zweite Meinung einholen.
Eine Entscheidung fällen.

Es ist lächerlich, Angst zu haben, und dennoch: ich habe große Angst.

Abschied

Manchmal träume ich von meinem Hund. Es ist immer ein freudiges Wiedersehen nach einer langen Trennung. Es kommt vor, daß sie mich fragt, warum ich mich so lange nicht um sie gekümmert habe, warum ich sie nicht besucht habe. Ich bin selbst verwundert darüber, es ist doch so schön, Zeit mit ihr zu verbringen. Erst lange nach dem Aufwachen erinnere ich mich, daß ich mich nicht mehr um sie kümmern kann, daß es mir nicht frei steht, sie zu besuchen, wann immer ich will. Ich erinnere mich an den Tag, als ich beschließen mußte, daß man ihr die Spritze gibt, und ich nach zehn Jahren Abschied nehmen mußte.
Letzte Nacht träumte ich wieder von ihr. Mein träumendes Selbst wußte von ihrem Tod und freute sich umso mehr, sie zu sehen: wie sie mit hoch erhobenem Kopf einen Stock apportiert. Wie sie mit gewohnten Bewegungen vorne weg trabt. Wie sie den Kopf dreht. Wie sie pustet. Wie sie guckt. Ihre Zunge, ihre Zähne, ihre großen Ohren.
Wir gingen gemeinsam durch die Gänge der Universität, an der ich recht erfolglos studiert hatte, bevor ich nach Berlin gegangen bin. Ich war nur auf der Durchreise, die Berliner Zeit abgeschlossen, eine neue Stelle an einem fernen Ort schon sicher. Nun war ich hier, um drei meiner ehemaligen Professoren zu besuchen und ihnen zu sagen: „seht ihr, ich habe es doch geschafft. Es ist doch noch etwas aus mir geworden.“

Ein Traum voller Abschiede. Freudig und gleichzeitig wehmütig der Abschied von meinem Hund, triumphierend und nicht gerade von Größe zeugend der Abschied von Wegbegleitern des vermeintlichen Scheiterns.
Auch im Leben immer wieder Abschied. Von Orten, von Sehnsüchten, von Lebensabschnitten. Im Wachen fällt es mir schwer, ich hasse Veränderungen. Ich wünschte, es gäbe eine Gebrauchsanweisung. So oder so: ich muß lernen, Abschied zu nehmen, denn man kann nichts festhalten. Im Leben genauso wenig wie im Traum.

so I’ll see your face in dreams
where nothing’s what it seems
you still appear some kind of friend

Dr. Zorn

Ich bin dann doch zu Dr. Zorn gegangen. Erstens habe ich selbst genügend Zorn, um jedem Doktor entgegentreten zu können, und zweitens machte mein Bein mit heftigen Schmerzen darauf aufmerksam, daß es gerne in ärztliche Behandlung möchte. In der Nacht von Samstag auf Sonntag schwoll es auf bislang nicht gekannte Größe an, wurde rot und pochte. Schlaf war nur in zwei-Stunden-Häppchen möglich. Okay, dachte ich, dann kriegt mein Bein eben seinen Willen. Ich laß‘ mir doch nicht die Nachtruhe versauen.
Nach zweieinhalb Stunden Warten (empfehlenswert: Nicolas Bouvier, „japanische Chronik“) nahm sich Dr. Zorn vier Minuten Zeit für mich. In den ersten zehn Sekunden und beim ersten Blick aufs Bein diagnostizierte er eine Infektion des angeschwollenen Gewebes durch die offene Wunde. Dennoch hielt er es ungeachtet meiner Schmerzenslaute für nötig, am Bein rumzudrücken, wo die Frauen sanft gestreichelt haben. So ist das eben mit den Männern. Schmerz kann aber auch etwas katharsisches haben.
Als ich nach Hause ging, war mir etwas zum Heulen zumute. Eine Woche krankgeschrieben, das kann ich mir eigentlich gar nicht erlauben. In vielerlei Hinsicht.
Ist kein gutes Jahr bis jetzt.

zorn

Dr. Zorn

Ich bin dann doch zu Dr. Zorn gegangen. Erstens habe ich selbst genügend Zorn, um jedem Doktor entgegentreten zu können, und zweitens machte mein Bein mit heftigen Schmerzen darauf aufmerksam, daß es gerne in ärztliche Behandlung möchte. In der Nacht von Samstag auf Sonntag schwoll es auf bislang nicht gekannte Größe an, wurde rot und pochte. Schlaf war nur in zwei-Stunden-Häppchen möglich. Okay, dachte ich, dann kriegt mein Bein eben seinen Willen. Ich laß‘ mir doch nicht die Nachtruhe versauen.
Nach zweieinhalb Stunden Warten (empfehlenswert: Nicolas Bouvier, „japanische Chronik“) nahm sich Dr. Zorn vier Minuten Zeit für mich. In den ersten zehn Sekunden und beim ersten Blick aufs Bein diagnostizierte er eine Infektion des angeschwollenen Gewebes durch die offene Wunde. Dennoch hielt er es ungeachtet meiner Schmerzenslaute für nötig, am Bein rumzudrücken, wo die Frauen sanft gestreichelt haben. So ist das eben mit den Männern. Schmerz kann aber auch etwas katharsisches haben.
Als ich nach Hause ging, war mir etwas zum Heulen zumute. Eine Woche krankgeschrieben, das kann ich mir eigentlich gar nicht erlauben. In vielerlei Hinsicht.
Ist kein gutes Jahr bis jetzt.

zorn

Verletzungen

„Sei nicht traurig“, sagt Frau Modeste, „sei nicht traurig.“
Es sind immer die gleichen Geschichten, die mir passieren. Kleine Anekdoten von Verrat, die man mit siebzig beim Kaffeekränzchen erzählen kann. Games people play, scripts people live. Der Vorteil ist, daß man schon weiß, wie die Geschichte ausgeht. Man weiß, daß die, die einen so unbedingt verletzten wollen, Kleingeister sind, emotionale Krüppel, und daß es nur Verlierer gibt, keine Gewinner. Es trifft einen dennoch unvorbereitet, wie einen Autounfall, ein Schockmoment. Aber man kennt die Geschichte, man erholt sich schneller.
Was bleibt einem auch übrig. Was soll man tun. Wie soll man leben. Müde fragt man sich, weshalb alles Gute immer kaputt gemacht wird. Wieso alles Gute immer geborgt ist auf Zeit. Und eines Tages stehen die Kredithaie vor der Tür und schlagen einem ein paar Zähne aus, und man versetzt die Stereoanlage und das Heiligenbild und kommt gerade noch einmal davon. Und fängt wieder von vorne an. Besinnt sich auf den Reichtum im Inneren, streichelt allen Makeln, die man mit Namen kennt, über den Kopf. In der Summe bin ich ganz okay.